Inklusion muss politisch gewollt sein. Über These 1 sind sich Matthias Berg (links), Martin Sowa, die Rollstuhlfahrerinnen Imma Stozek und Heike Traub sowie Organisatorin Petra Mittmann (hinten) einig. Foto: Bulgrin

Von Roland Kurz
Imma Stozek sitzt im Rollstuhl und wartet an einer Haltestelle. Der Bus kommt, hat aber keine Rampe für Rollis oder Kinderwagen. „Warten Sie doch auf den nächsten Bus“, sagt der Fahrer, „vielleicht hat der eine Rampe.“ Dann fährt er los. Nach 100 Metern stoppt der Bus wieder. Fahrgäste steigen aus und rufen Imma Stozek zu: „Kommen Sie, das schaffen wir irgendwie!“ Dieses frustrierende und ermutigende Erlebnis hat die Rollstuhlfahrerin beim Fachtag „Inklusion – Mobilität und Sport“ im Esslinger Landratsamt erzählt. Es zeigt, welche Hürden sich täglich behinderten Menschen stellen und wie schnell sich manche beiseite räumen ließen, wenn Menschen einfach handeln. „Am öffentlichen Nahverkehr hängt viel Leben und Freiheit“, fasst Imma Stozek zusammen.
Inklusion passiert unten – oder auch nicht. Seit einigen Jahren wird sie von oben angeschoben. Ganz oben hat die UN-Behindertenrechtskonvention 2009 einen Meilenstein gesetzt. Bundes- und Landesregierung haben daraus Aktionspläne entwickelt. Auch ein Bundesteilhabegesetz gibt es seit einem knappen Jahr. Jetzt sind viele Landkreise dabei, den Landesaktionsplan mit seinen 230 Maßnahmen umzusetzen. Es werden kommunale Behindertenbeauftragte eingestellt, Mittel für Niederflurbusse beantragt oder barrierefreie Toiletten auf Rathäusern oder in Museen eingerichtet. „Inklusion findet im Alltag statt, nicht im Ministerium“, sagt Petra Clauss, die das Ministerium für Soziales und Integration auf dem Esslinger Fachtag vertritt.
Ähnlich sieht es Professorin Annette Plankensteiner. Sie beschreibt die Abkehr von separierenden Einrichtungen hin zur Teilhabe, zu einer Gesellschaft, in der das Leben mit behinderten Menschen zur Selbstverständlichkeit wird. „Das gelingt, wenn alle Bürger dafür Verantwortung übernehmen“, sagte die Professorin vom Stuttgarter Institut für Sozialwissenschaften. Die erste ihrer zehn Thesen richtet sich jedoch an die Politik: „Inklusion muss politisch gewollt sein.“ Inklusion brauche Vorbilder, Strukturen und Ressourcen – die „Abers“ möge man weglassen.
Auf dem Weg zur Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr hat der Landkreis Esslingen erste Schritte gemacht. An die Vergabe der Buslinien knüpft er Bedingungen. Die Unternehmen müssen weitestgehend Niederflurbusse einsetzen, berichtete Klaus Neckernuß, der im Landratsamt für den Bereich ÖPNV verantwortlich ist. Der Anteil dieser Busse soll auf 75 Prozent erhöht werden. Sie sollen zudem eine doppelbreite Türe haben, eine Rampe oder einen Hublift und die Möglichkeit zum Absenken des Fahrzeugs (Kneeling). In jedem Teilort soll es eine barrierefreie Haltestelle geben, vor Krankenhäusern oder Pflegeheimen sowieso. Noch weist die Kreiskarte aber viele rote Punkte auf, wo Haltestellen auf den Umbau warten.
Nicht immer wendet sich alles für alle zum Besseren. Der umgebaute Esslinger Busbahnhof bedeute für Menschen mit Seheinschränkung „einen Rückschritt“, sagte Marc Fischer in der Talkrunde mit Moderator Sven Fries. Wenn er nach den Bedienelementen in Hüfthöhe taste, fänden das nicht alle Mitmenschen gut. Schwierig ist für den Sehbehinderten auch, dass er den leisen E-Bus nicht hört. Der Gehörlose Paul Neu schlug vor, dass die aktuellen Lautsprecher-Ansagen in Bus und Bahn auch in Schriftform geliefert werden. Sonst erkenne er nur an der plötzlichen Bewegung anderer Fahrgäste, dass irgendetwas los sei.
Aus dem Bereich Sport zählte Martin Sowa von Bison (Baden-Württemberg inkludiert Sportler ohne Norm) eine Reihe ermutigender Beispiele auf. Derzeit entwickelt er mit dem VfB Stuttgart das Projekt Pfiff, an dem drei Gruppen aus Esslingen teilnehmen. Allerdings sollen erst im zweiten Schritt auch Sportler ohne Behinderung in dieses Training kommen. Wenn sich Nichtbehinderte in den Rollstuhl setzen, um mit ihm zu fechten, das findet Felix Schrader super. Der 14-Jährige vom SV 1845 Esslingen holte kürzlich bei den Deutschen Meisterschaften eine Gold- und eine Silbermedaille.
Im Schlusswort kündigte Katharina Kiesel, die Sozialdezernentin des Landkreises, weitere Schritte an. Man plane man den Aufbau eines inklusiven Netzwerkes. Im Personennahverkehr werde man die Personalschulung forcieren und die Inklusionskonferenz fortsetzen.