Georg Wötzer am Grab des Kantors Maier Levi, der in der jüdischen Abteilung des Ebershaldenfriedhofs seine letzte Ruhe gefunden hat. Foto: Petra Weber-Obrock - Petra Weber-Obrock

An den Kantor Maier Levi erinnert heute nur noch ein Grab auf dem Ebershaldenfriedhof. Mit einem internationalen Symposium wird jetzt im Theodor-Rothschild-Haus an ihn erinnert.

EsslingenMaier Levi (1813-74) war Kantor der jüdischen Gemeinde in Esslingen. Obwohl er der erste „Chasan“ in Württemberg war, der die komplizierten Gesänge der jüdischen Liturgie in einem Kompendium zusammenfasste, erinnert heute nur noch ein Grab auf dem Ebershaldenfriedhof an ihn. Georg Wötzer, Vorsitzender des Vereins der Freunde jüdischer Kultur, findet schon lange, dass Maier Levi zu Unrecht dem Vergessen anheimgefallen ist.

Wötzer, selbst Komponist und emeritierter Dozent der Musikhochschule in Stuttgart, ist fasziniert von der sorgfältigen Arbeitsweise des akribischen Sammlers. „Meine Beschäftigung mit Maier Levi verdankt sich allein dem Zufall. Dann aber begann ich am „Jewish Music Research Centre“ der hebräischen Universität in Jerusalem über ihn zu forschen.“ Dabei stieß Wötzer auf die 600 Seiten umfassende Dissertation des New Yorker Rabbiners und Musikologen Geoffrey Goldstein, von dem jetzt ein Buch erschienen ist, das Maier Levis Lebensleistung würdigt. Um dessen wissenschaftliche Aufarbeitung weiter zu fördern, findet am Sonntag im Theodor-Rothschild-Haus unter dem Titel „Between tradition and modernity“ ein öffentlich zugängliches Internationales Symposium statt.

In Esslingen gab es im 19. Jahrhundert mit dem jüdischen Waisenhaus, dem Lehrerseminar und der Synagoge ein reiches jüdisches Leben. Maier Levi war nicht nur Kantor, sondern auch Dozent am 1811 gegründeten Lehrerseminar, wo jüdische und christliche Lehrkräfte ausgebildet wurden. Für seine jüdischen Studenten notierte er erstmals die wichtigsten Gesänge der jüdischen Liturgie. „Diese waren vorher nur mündlich überliefert“, berichtet Wötzer.

Während Maier Levi sie von rechts nach links schreibt, gibt Goldberg sie benutzerfreundlich in einer Notierung von links nach rechts wieder, unterlegt mit Textzeilen in einem alten jüdischen Dialekt. „Manchmal stehen auch Anweisungen wie zum Beispiel ,Mit Rührung’ dabei“, erklärt Wötzer. Viele Melodien orientieren sich ganz weltlich am Volkslied und am Minnesang: „Den Juden war es verboten, christliche Messgesänge zu übernehmen.“ Maier Levi wurde in Rottweil geboren, kam 1816 mit seiner Mutter nach Esslingen und erreichte 1831 seinen Abschluss am Lehrerseminar. Ab 1844 war er Kantor in Esslingen, ein sogenannter Chasan, der tausende von Gesängen im Kopf hatte und sie bei Bedarf abrufen konnte. „Am besten fängt man als Kind mit dem Auswendiglernen an“, meint Wötzer. Neben dem Gesang zur Thora umfasst die Aufgabe eines Kantors auch ganz allgemein die Leitung des Gottesdienstes: „Der Kantor ist der ‚Gesandte der Gemeinde‘ und gibt auch Religionsunterricht.“

Bei der Erforschung der Archive des Lehrerseminars entdeckte Wötzer, dass sich das Studium der evangelischen und der jüdischen Studenten in vielen Bereichen überschnitt. Interessant wird die Beschäftigung mit Maier Levi vor allem, wenn man den Konflikt zwischen ihm und dem Stuttgarter Rabbiner Joseph von Maier betrachtet. Dieser hatte sich die Integration der Juden in die deutsche Gesellschaft zum Ziel gesetzt. Dafür initiierte er die Einführung eines deutschsprachigen Gesangbuchs auf der Basis des vierstimmigen württembergischen Choralbuchs: „Da wurden die christlichen Bestandteile einfach herausgeschrieben.“ Von Maier war der Gegenpol zu Maier Levi, der sich an der orthodoxen Tradition des aschkenasischen Judentums orientierte. Der Stuttgarter Rabbiner konnte auf die Unterstützung des württembergischen Königs und der Protestanten bauen und saß so am längeren Hebel.

Näheres zu Maier Levi und seiner Zeit erfährt man beim Symposium, das am 10. November um 9 Uhr am Eberhaldenfriedhof beginnt und im Theodor-Rothschild-Haus fortgeführt wird. Neben dem Vortrag von Geoffrey Goldberg sind Referate der Professoren Edwin Seroussi aus Jerusalem, Joachim Kremer aus Stuttgart, Georg Wötzer aus Esslingen und Jascha Nemtsov aus Weimar-Potsdam zu hören. Es singt der Oratorienverein unter der Leitung von Jörg Dobmeier und der Kantor Amnon Seelig aus Mannheim. Zum Abschluss findet eine Feierstunde für die Opfer der Shoa des ehemaligen Jüdischen Waisenhauses statt.

www.freunde-juedischer-kultur-esslingen.de