Bis 1983 konnten sich Schüler und Lehrer im Land freuen: Wenn es im Sommer zu heiß wurde, gab es „Hitzefrei“. Seit 34 Jahren aber gibt es diese Regelung für Schulen nicht mehr. Sie wäre in der heutigen Zeit kaum durchsetzbar, da oft beide Elternteile arbeiten und auf die Ganztagesschule angewiesen sind. Während das Schelztor-Gymnasium am Donnerstag Hitzefrei ausrief, mussten Lehrer und Schüler der Katharinenschule trotz der Rekordhitze die Schulbank drücken.
Schulleiterin Barbara von Lauenstein mag es heiß. „Ich liebe den Sommer mehr als die kalte Jahreszeit.“ Dennoch hat sie Verständnis für die hitzegeplagten Kinder und Lehrer. „Bei der Hitze, wie wir sie gerade haben, muss der Unterricht angepasst werden.“ Konkret heißt das: Fächer, die die volle Konzentration abverlangen, werden in die Morgenstunden verlegt. „Am Nachmittag fangen wir erst um halb drei wieder an und gestalten die Lehrstunden so interessant wie möglich.“ Die Schulleiterin ist froh, dass sie in einem alten Gebäude unterrichtet. „Das Schulhaus wurde 1902 gebaut und ist mit den dicken Mauern gut isoliert. Da wird es nicht so schnell unerträglich warm.“ Dennoch bleiben die Jalousien über Nacht unten und die Türen der Klassenzimmer während der Schulstunden offen. „Wenn es im Raum zu warm wird, verlegen wir den Unterricht in den Hof unter die Bäume.“ Barbara von Lauenstein stellt fest, dass die Kinder bei heißen Temperaturen nicht etwa lethargisch oder müde werden, „das Gegenteil ist der Fall, die Hitze macht sie temperamentvoll, und es kommt viel schneller zum Streit.“ Kleiderregeln gibt es an der Katharinenschule keine, wie die Schulchefin bestätigt. „Wir haben viele muslimische Kinder, da achten wir besonders drauf, dass sie nicht überhitzen.“ Aber auch wenn die Kleidung zu freizügig ist, haken die Lehrer ein.
Das Thema Hitzefrei beschäftigt Barbara von Lauenstein schon seit Jahren. „Der organisatorische Aufwand ist kaum zu bewältigen: Da müssen die Eltern frühzeitig informiert sein, die Kapazität der Mensa darf nicht strapaziert werden, und wer weiß, ob das Wetter nach einer Ankündigung dann so kommt, wie erwartet.“ Die Pädagogen beklagten sich bisher nicht über die Hitze. „Die Klassenlehrer sind frei in der Entscheidung, bei heißen Temperaturen mit ihrer Klasse ins Freibad zu gehen.“
Kurz nach acht Uhr morgens büffelt die Klasse 4 C Mathe bei Klassenlehrerin Simone Hermann. Die Schüler haben ihre Geheimtipps, wie sie mit der Hitze umgehen. Emma bindet sich zur Kühlung einen Zopf. Judita trägt bei heißen Temperaturen am liebsten kurze Hosen und bringt sich viel Wasser zum Unterricht mit. Karlotta schwört auf luftige Kleidung und geht so oft wie möglich ins Neckarfreibad. Sara weiß sich mit offenen Schuhen gegen die Hitze zu helfen, und Ali bleibt am liebsten im Schatten. Lehrerin Simone Hermann gewährt ihren Schülern und sich viele Trinkpausen und denkt an den Schulschluss: „Lehrer und Schüler freuen sich beide aufs Eis nach der Schule.“ Auf dem Schulhof steht Klassen- und Sportlehrerin Eva Carolin Bayer und motiviert die Schüler der 5 A zur morgendlichen Fitness. „In der Turnhalle ist es bei den hohen Temperaturen nicht auszuhalten“, sagt sie. Aber auch im Schatten der Bäume mutet sie ihren Schülern nicht zu viel zu. „Bewegung soll sein, doch wir machen nichts Anstrengendes.“ Die Kinder machen mit, hätten jedoch lieber Hitzefrei. „Ich finde es doof, bei der Hitze hat man keinen Bock auf Schule“, sagt Caner, und Keanu ergänzt. „Dann könnte ich ins Freibad gehen oder mich mit Freunden treffen.“ Und damit ist er nicht alleine, denn auch Melisa wäre bei der Affenhitze lieber im Freibad. Tanith bringt es auf den Punkt: „Wenn es so richtig heiß ist, kann man nicht mehr so klar denken.“ Bei Nelson ist es schlimmer: „Ich kriege bei den hohen Temperaturen immer Kopfweh.“ Auch Eva Carolin Bayer gewährt während des Sportunterrichts immer wieder Trinkpausen und schickt ihre Schüler unter die schattenspendenden Bäume. „So lässt sich die Hitze aushalten“, sagen einige Mädels.
Schulleiter entscheiden über Hitzefrei
Eben erst aus den Pfingstferien zurückgekehrt, müssen Schüler und Lehrer mit hohen Temperaturen klarkommen. Wohl dem, der in altem Gemäuer unterrichtet wird. Diese sind in der Regel bei den derzeit herrschenden Temperaturen gut gekühlt. In aufgeheizten „Glaspalästen“ hingegen scheint das Lehren und Lernen wenig vielversprechend. Da ist bei Temperaturen von 30 Grad Celsius und mehr „Hitzefrei“ sinnvoll. Die Entscheidung dazu liegt bei der Schulleitung. Am 15. Dezember 1975 erschien eine Bekanntmachung des Kultusministeriums, die Verhaltensrichtlinien bei hohen Temperaturen vorgab. Bei Außentemperaturen von mindestens 25 Grad Celsius im Schatten um 10 Uhr ist ein verkürzter Unterricht möglich. „Diese formelle Regelung gilt seit 1983 nicht mehr“, klärt Christine Sattler vom Kultusministerium auf. „Die Schulleiter entscheiden in eigener Zuständigkeit, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Hitzefrei geben. Entscheidend ist das körperliche Wohl der Schülerinnen und Schüler entsprechend der konkreten örtlichen Verhältnisse.“ Die konkrete Lage der Schule und Gebäudeverhältnisse könnten durchaus verschieden sein, sodass generelle Vorgaben nicht aussagekräftig sind. Gebäude mit viel Glas mitten im Ort und gut isolierte Bauten in geschützter Lage können nicht verglichen werden. Viele Schulleitungen, sagt Sattler, orientieren sich aber noch an den alten Regelungen. So gibt es Hitzefrei frühestens nach der vierten Stunde vom allgemeinen Unterrichtsbeginn der Schule an gerechnet. Benachbarte Schulen stimmen sich ab und entscheiden möglichst gleichmäßig. Und: Hitzefrei gibt es nicht für die beruflichen Schulen sowie auch nicht für die gymnasiale Oberstufe. Schulleiterinnen und Schulleiter müssen zudem beachten, dass die zugesicherte Betreuung gewährleistet sein muss. Kinderbetreuung in der Ganztagesschule gelte auch bei Hitzefrei. „Die Schule muss die Betreuung gewährleisten“, sagt Christine Sattler vom Kultusministerium. Schließlich müssen sich die Eltern darauf verlassen können, dass die gebuchte Betreuung auch durchgeführt wird. Aufenthaltsräume und Beaufsichtigung müssen zur Verfügung gestellt werden.ede