Saskia Lächler ist als Sachverständige für Justiz und Polizei tätig. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Saskia Lächer ist als Sachverständige für Justiz und Polizei tätig. Sie ist darauf spezialisiert, Personen auf Bildern zu identifizieren.

EsslingenSaskia Lächler steht mitten im Saal des Esslinger Amtsgerichts. Hoch konzentriert blickt die 33-Jährige dem Mann auf der Anklagebank immer wieder ins Gesicht und macht sich dann Notizen auf dem Papier, das sie auf einem Klemmbrett in der Hand hält. Nach kaum zwei Minuten sagt sie: „Ich habe jetzt noch 25 weitere Merkmale hinzugefügt.“ Damit meint sie 25 markante Punkte im Gesicht des Mannes, die mit Auffälligkeiten auf einem Blitzerfoto übereinstimmen. Für Lächler ist damit klar: Mit mehr als 99 Prozent Wahrscheinlichkeit ist dieser Herr der gleiche wie der auf dem Blitzerfoto.

Für Saskia Lächler ist der Einsatz am Amtsgericht damit beendet. Die Diplom-Biologin ist darauf spezialisiert, Personen auf Bildern und Videos zu identifizieren und wird dafür von Gerichten, der Polizei oder der Staatsanwaltschaft als Gutachterin bestellt. In diesem Fall ging es um ein Verkehrsdelikt: Der Betroffene hatte einen Bußgeldbescheid bekommen, weil er viel zu schnell mit dem Auto unterwegs gewesen und dabei geblitzt worden war. Er bestritt jedoch, der Mann auf dem Blitzerfoto zu sein und legte Einspruch gegen den Bescheid ein. In der Verhandlung sollte nun geklärt werden, ob eine Verwechslung vorliegen könnte – deshalb kam Saskia Lächler ins Spiel.

Ohr ist hilfreich für Identifikation

Für die 33-Jährige war es eine der leichteren Übungen. Schon vor der Gerichtsverhandlung hatte sie ganze 68 Übereinstimmungen zwischen dem Gesicht auf dem Blitzerfoto und dem auf einem Passbild des Mannes ausgemacht. Und das, obwohl das Bild der Geschwindigkeitsüberwachung für einen Laien alles andere als eindeutig wirkt: Es ist dunkel und unscharf, außerdem trägt der Mann darauf eine Sonnenbrille. Doch für Lächler ist das Foto auch deshalb so brauchbar, weil darauf das Ohr des Mannes zu sehen ist: „Das Ohr ist so individuell, dass es fast am besten ist zur Identifikation einer Person.“ Allein am Ohr ließen sich rund 20 verschiedene individuelle Merkmale feststellen, darunter der Verlauf der Außenkante, die Form des Mittelrandes oder wie das Ohrläppchen gewachsen ist: etwa breit oder schmal, spitz oder rund.

Als sie den Mann vor Gericht in Natura sah, hatte Lächler neben einigen weiteren Merkmalen etwa die steile Ohrachse, die leicht vorstehende Nase mit hängender Nasenspitze oder die prominente Unterlippe als weitere Übereinstimmungen mit dem Blitzerbild erkannt. Damit hatte sie insgesamt mehr als 90 Ähnlichkeiten ausgemacht, davon mehrere sehr charakteristische Merkmale. Deshalb stufte sie ihre ursprüngliche Einschätzung, dass der Mann zu 95 bis 99 Prozent Wahrscheinlichkeit mit der Person auf dem Blitzerfoto übereinstimme, auf eine Wahrscheinlichkeit von 99 bis 99,87 Prozent hoch. Das entspricht der zweithöchsten Stufe der Wahrscheinlichkeit, die Lächler als Sachverständige für die Identifikation von Personen auf Bildern abgeben kann.

Es gibt allerdings auch Fälle, die sich weit schwieriger gestalten. So sei die Identifikation bei Charaktergesichtern oder solchen mit einer Narbe oder einem Muttermal wesentlich einfacher als bei Gesichtern ohne besondere Auffälligkeiten, sagt Lächler. Bei Frauen komme oft erschwerend hinzu, dass die Haare die Ohren verdeckten. Manche Fälle lägen mehrere Tage auf ihrem Schreibtisch, weil sie sich die Gesichter immer wieder anschauen müsse, erzählt die Sachverständige. Oft frage sie auch Kollegen nach ihrer Einschätzung – aber wenn es zu wenig Anhaltspunkte für eine Einschätzung gebe, ob es sich um die gesuchte Person handeln kann oder nicht, gebe sie den Fall mit einer kurzen Stellungnahme zurück. „Wir produzieren keine unnötigen Kosten, das zahlt ja die Staatskasse“, stellt Lächler klar.

So habe sie etwa einmal mit einem Mann zu tun gehabt, den sie vor Gericht kaum wieder erkannt habe, weil er sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte. Auch nach Nasen-Operationen sei die Identifikation höchst schwierig: „Nicht ersichtliche körperliche Veränderungen erschweren unsere Arbeit sehr.“ Allerdings versage in diesen Fällen auch jedes andere Gesichtserkennungsprogramm. Doch ihre Zunft verzichte ohnehin auf PC-Unterstützung. Computerprogramme seien nämlich viel fehleranfälliger als das menschliche Auge – vor allem, weil sie Personen nur erkennen könnten, wenn sie sich in der gleichen Position befänden wie auf dem Abgleichbild. „Wenn die Aufnahmerichtung zwischen zwei Bildern, die zu vergleichen sind, nicht übereinstimmt, ist eigentlich nur das menschliche Auge in der Lage zu identifizieren.“

Aber auch Lächler und ihre Kollegen können keine hundertprozentige Sicherheit garantieren, richtig zu liegen. „Es gibt mal mehr und mal weniger Sicherheit. Aber wir sagen die Irrtumswahrscheinlichkeit immer dazu“, erklärt die Gutachterin. Klar sei jedoch, dass man stets äußerst sorgfältig arbeiten müsse, schließlich habe man eine große Verantwortung – gerade, wenn es um Verurteilungen in Strafprozessen gehe. Manchmal könne die Verantwortung auch sehr belastend sein. Sie habe zum Beispiel einmal einen Menschen identifizieren müssen, dem ein Mordversuch an einer Tankstelle vorgeworfen wurde. Um sicher zu gehen, ein faires Gutachten erstellen zu können, habe sie den Angeklagten noch einmal am Original-Tatort fotografiert.

Im Grunde aber mag Lächler auch die komplizierten Fälle. „Wenn ich zur Fallaufklärung beitragen kann macht mir die Arbeit Spaß.“ Deshalb sattelte sie auf ihr Biologie-Studium auch noch einen Master in Kriminologie und Polizeiwissenschaft. Inzwischen wird sie von Gerichten im ganzen Land beauftragt. Wenn sie in die Verhandlung kommt, steht ihr Gutachten bereits, denn der erste Abgleich der entsprechenden Bilder findet am Schreibtisch statt. Im Gericht studiert Lächler die jeweilige Person noch einmal von Angesicht zu Angesicht. „Im Zweifelsfall muss ich mein Gutachten revidieren“, sagt sie. Das passiert allerdings äußerst selten. Vielmehr sind laut Lächler auch Identifikationen möglich, die man kaum für möglich hält. So habe sie einmal einen Motorradfahrer identifizieren können, der mit Helm auf dem Bild zu sehen war – weil er seine Augenbrauen und seine Nase derart charakteristisch waren.

Serie: Das Amtsgericht ist eine Institution, die tief in Esslingen verankert ist. Hier werden Urteile über Straftaten gesprochen, die in der Stadt und Umgebung begangen wurden, hier wird über Nachbarschaftsstreitigkeiten und Familienkonflikte verhandelt. In einer Serie stellen wir verschiedene Aspekte sowie Personen vor, die das Amtsgericht prägen. Die Serienteile erscheinen in loser Folge.