Besonders in Notaufnahmen ist das Aggressionspotential von Patienten hoch. Foto: dpa - dpa

Immer mehr Patienten treten dem Krankenhauspersonal im Südwesten mit Aggression gegenüber, vor allem in der Notaufnahme. So auch im Kreis Esslingen.

Kreis EsslingenWenn die Nerven blank liegen und die Not groß ist, dann ist der Schritt zur Gewalt oft klein. Das gilt zunehmend auch für Kliniken. Nach Angaben der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) machen aggressive Patientinnen und Patienten den Kliniken im Südwesten jedenfalls verstärkt zu schaffen. Laut Berichten der Mitgliedskrankenhäuser der BWKG habe die Gewalt gegen Mitarbeiter in den vergangenen Jahren zugenommen, wie eine Sprecherin der Deutschen Presseagentur mitteilte. Viele Kliniken im Land setzten daher auf Sicherheitsdienste, genaue Zahlen hierzu lägen aber nicht vor. Als Gründe für die Zunahme der Gewaltbereitschaft werden unter anderem lange Wartezeiten und krankheitsbedingte Stresssituationen genannt. Hinzu kommt die große Anzahl von ambulanten Notfällen in Krankenhäusern oder die unklare Struktur, wer für welchen Notfall zuständig ist, wie die Kassenärztliche Vereinigung berichtet.

Diese Ursache kann Anja Dietze vom Klinikum Esslingen nicht bestätigen. Dass der Laie einschätzen könne, wer für welchen Notfall zuständig ist, war laut der Unternehmenssprecherin früher nicht besser. Das sei auch nicht die Aufgabe der Patienten. Sie sieht vielmehr eine Mischung aus gesellschaftlichen Veränderungen, gesunkener Hemmschwelle und der gestiegenen Erwartungshaltung bei den Patienten als Ursache für den Aggressionsanstieg, der sich in Esslingen vor allem verbal und in der Notaufnahme entlädt.

„Das ist auch ein bisschen ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Dietze. Sie respektiere jeden, der für sich eine Not empfindet, denn das mit dem Einschätzen der Situation sei gar nicht so leicht. „Wenn aber das Fachpersonal zu dem Schluss kommt, dass andere Fälle schlimmer sind, dann würde ich mir wünschen, dass man nicht ungehalten reagiert.“ Um knifflige Situationen zu entschärfen, lernen die Mitarbeiter in Esslingen in Schulungen und Deeskalationstrainings, wie sie reagieren können. „Wir wollen lieber die eigenen Mitarbeiter stärken. Es ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, wenn man in Kliniken mit Sicherheitsdiensten arbeiten muss“, sagt die Unternehmenssprecherin. „Wir wollen das so lange wie möglich hinauszögern, zumal das auch zu weiterer Aggression führen kann.“

Jan Schnack von den Medius Kliniken im Landkreis Esslingen, die an Tagen mit einer zu erwartenden Patientenflut einen Wachdienst einsetzen, nennt noch ein weiteres Problem der Sicherheitsdienste: „Wer soll das finanzieren?“ Wenn nur eine Person im Einsatz wäre, bedeutet das einen Drei-Schicht-Dienst an 365 Tagen. Zumal es nicht so ist, dass seine Kolleginnen und Kollegen an den Medius-Standorten Ruit, Nürtingen und Kirchheim „täglich übelste Gewalt erleben. Aber es gibt schon immer wieder überraschende Auseinandersetzungen.“ Auch hier äußert sich die Aggression meist in verbaler Gewalt, auch hier liegt der Schwerpunkt in der Notaufnahme, aber auch auf Station und selbst in der Geburtshilfe habe es bereits Erfahrungen mit körperlicher Gewalt gegeben. „Grundsätzlich sind die Patienten nett und verständnisvoll, aber früher waren aggressive Vorfälle die Ausnahme, heute ist das fast schon die Regel.“ Die geänderte Anspruchshaltung, der vermehrte Alkoholkonsum, die Zunahme von synthetischen Drogen – all das seien Ursachen für den Anstieg der Aggression.

Zumal einige Patienten auch zum Hausarzt könnten und nicht in die Notaufnahme müssten, wie der Sprecher sagt. Und im Wartebereich bekämen die Patienten beispielsweise auch gar nicht mit, ob ein Notfall mit dem Krankenwagen eingetroffen ist. „Wenn dann eine halbe Stunde keiner der Wartenden dran kommt, dann wird das Personal schon mal rau angegangen“, sagt Schnack. Dabei werden die Patienten nach dem so genannten Manchester Triage System in Dringlichkeitsstufen eingeteilt. Ein Patient mit Herzinfarkt kommt vor einem mit Rückenproblemen dran.

So ist das auch im Klinikum Stuttgart, das die Fälle von Gewalt gegen das Personal seit Jahren erfasst. Von 19 im Jahr 2013 stieg die Zahl immer weiter auf 63 im vergangenen Jahr. Und die Dunkelziffer ist um einiges größer, berichtet Unternehmenssprecherin Ulrike Fischer. Brennpunkte sind die Notaufnahmen, die Psychiatrie und die Intensivstation. „Die Zunahme von Gewalt ist ein allgemeines Phänomen, das sich nach unserem Eindruck nicht auf einzelne Gruppen beschränkt“, sagt Fischer. Sicherheitspersonal, Deeskalationstrainings, Notrufsysteme, Nachbetreuung – das Thema Gewalt wird auch in Stuttgart ernst genommen.

Es kommentiert: Fabian Schmidt