Wolfgang Drexler Foto: oh

Kreis Esslingen - Lange haben die Sozialdemokraten auf ihrem Bundesparteitag mit sich gerungen – am Ende stimmten die Delegierten mit knapper Mehrheit für Verhandlungen über eine Große Koalition mit der Union. An der Basis wird der Parteitagsbeschluss intensiv diskutiert. EZ-Redakteur Alexander Maier hat sich bei Sozialdemokraten im Landkreis umgehört.

Nicolas Fink, Bürgermeister in Aichwald: Der Parteitag war eine Werbung für die Demokratie, weil sehr offen und ehrlich diskutiert wurde. Besonders hat mich gefreut, dass es so viele engagierte junge Leute in unserer Partei gibt, die sich sehr klar äußern. Daraus kann etwas richtig Gutes erwachsen. Jetzt kann die SPD auch der FDP zeigen, wie man in einer schwierigen Lage handeln muss. Es ist richtig, dass wir uns der Verantwortung stellen. Gestalten kann man nur in einer Regierung. Deshalb habe ich mit anderen Bürgermeistern eine Erklärung unterzeichnet, in der wir die Aufnahme von Koalitionsgesprächen unterstützen, weil in den Sondierungen gute Ergebnisse für die Kommunen erreicht wurden. Das Gute gilt es nun zu konkretisieren.

Sven Dietrich, Kreisvorsitzender der Jungsozialisten: Wir Jusos im Landkreis haben uns mit sehr großer Mehrheit gegen eine Große Koalition ausgesprochen. Das hat nichts mit Oppositionssehnsucht zu tun – es geht um die Suche nach dem richtigen Weg. Dass das Ergebnis auf dem Bundesparteitag am Ende so knapp ausgefallen ist, zeigt doch, dass nicht nur die Jungsozialisten eine neuerliche Große Koalition sehr kritisch sehen. Gut finde ich immerhin, dass der Parteitag in einigen Punkten substanzielle Korrekturen gefordert hat – etwa bei befristeten Arbeitsverhältnissen oder der Krankenversicherung. Jetzt müssen wir die Verhandlungen abwarten, und dann muss jedes Parteimitglied für sich entscheiden, ob die Chancen oder die Risiken überwiegen. Ich glaube, das wird am Ende noch eine sehr enge Kiste.

Elisabeth Nill, langjährige Esslinger Landtagsabgeordnete: Die Entscheidung des Parteitags ist richtig, weil sich nach dem Scheitern von Jamaika eine neue Situation ergeben hat. Jetzt müssen wir einen Weg gehen, der den Wählern und dem Land gegenüber verantwortungsvoll ist. Die jüngsten Debatten waren ein gutes Zeichen für eine lebendige demokratische Partei. So muss das auch weiterhin sein. Das Sondierungsergebnis ist besser als viele glauben. Jetzt ist die Zeit da, um Europa zu gestalten, es gibt finanziellen Spielraum, um sozialpolitisch etwas zu tun, und es findet keine Aufrüstung statt. Mit der Entscheidung für eine GroKo wäre es nicht getan. Parallel zu den positiven Akzenten, die wir in der Regierung setzen könnten, muss konsequent die inhaltliche Erneuerung unserer Partei angegangen werden.

Wolfgang Drexler, Esslinger SPD-Landtagsabgeordneter: Die Entscheidung des Bundesparteitags spiegelt die Diskussionen in der SPD Esslingen wider. Ich finde die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen richtig, aber auch, dass mit der Union nochmals intensiv über die konkrete Ausgestaltung eines Koalitionsvertrags diskutiert wird. Dabei geht es um Themen, die in den Sondierungen noch nicht genau festgelegt wurden oder gar nicht zur Sprache kamen, aber auch um Fragen wie die Krankenversicherung. Hier wurden ja wesentliche Punkte, die das aktuelle System ungerecht machen, noch nicht aufgegriffen.

Christa Müller, Esslinger Stadträtin: Erst einmal bin ich stolz auf meine SPD, die in dieser schwierigen Situation so inhaltsreich und sachlich diskutiert hat. Solche Debatten vermisse ich bei der Union. Beim Parteitag hätte ich mir ein besseres Ergebnis für die GroKo gewünscht, weil ich die Argumente dafür stärker fand. Wir werden nie 100 Prozent unserer Forderungen in einer Koalition durchsetzen können. Jetzt gilt es, so weit wie möglich substanzielle Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. Darüber muss noch hart verhandelt werden. Das knappe Parteitagsergebnis sollte der Union zeigen, dass sie sich in einigen Punkten noch deutlich bewegen muss, wenn die SPD-Mitglieder zustimmen sollen.

Simon Bürkle, SPD-Ortsvereinsvorsitzender in Wendlingen: Ich bin weiterhin gegen Koalitionsverhandlungen. Die Debatten haben gezeigt, dass eine neuerliche Große Koalition sehr gute Argumente braucht, die über den Appell an unsere staatspolitische Verantwortung hinaus reichen. Ich hätte nicht gedacht, dass das Ergebnis auf dem Parteitag so knapp ausfallen würde, obwohl vorher Zugeständnisse an die GroKo-Gegner gemacht wurden. Das muss unsere Parteiführung in den Verhandlungen durchsetzen, sonst wird es ganz eng beim Mitgliederentscheid. Wenn die SPD nicht inhaltlich überzeugt, läuft sie Gefahr, weiter an Zustimmung einzubüßen. Egal, wie die Verhandlungen enden: Jetzt ist es Zeit, den innerparteilichen Erneuerungsprozess anzupacken und die SPD noch stärker für die Zukunft aufzustellen.