Die japanischen Journalisten Yuzuru Takano (links) und Tomoko Shioda schauen Jörg Ilzhöfer (Mitte) beim Kochen über die Schulter. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Alexander Maier

Jörg Ilzhöfer sprüht vor Ideen. Der Esslinger Koch und Betreiber einer Kochschule am Hafenmarkt ist für Neues stets zu haben, und am liebsten tut er Dinge, die nicht nur ihm, sondern auch anderen guttun. Dass er dabei weniger auf den Eigennutz als aufs Gemeinwohl schaut, spricht für ihn. So kocht er immer wieder für die Gäste im Esslinger Hospiz, die sich bei ihm ihr Leibgericht bestellen dürfen - ganz egal, ob bodenständige Kutteln oder Finessen der Haute Cuisine. Weil dieses Angebot alles andere als alltäglich ist, haben Medien quer durch die Republik darüber berichtet. Nun wurde man auch in Fernost auf Ilzhöfer und seine kulinarischen Stippvisiten im Esslinger Hospiz aufmerksam: Die japanischen Journalisten Yuzuru Takano und Tomoko Shioda waren jüngst in Ilzhöfers Kochschule zu Gast, schauten ihm beim Zubereiten eines Wunschgerichts zu und begleiteten ihn hinterher ins Hospiz. Die japanische Tageszeitung Asahi Shimbun, die eine Morgenauflage von rund acht Millionen Exemplaren erreicht, hatte ihre 50 Korrespondenten in aller Welt beauftragt, Geschichten über „gelebtes Glück“ zusammenzutragen. Im Mittelpunkt des deutschen Beitrags steht Jörg Ilzhöfer.

Gaumenfreuden auf dem Sterbebett

Manchen mag es schwerfallen, ein Hospiz und seine Gäste mit „gelebtem Glück“ in Verbindung zu bringen. Wer dort einzieht, hat den Tod bereits vor Augen. „Da ist es umso schöner, wenn man diesen Menschen eine Freude bereiten darf“, sagt Ilzhöfer. „Wer sein Leben lang gern gegessen hat, soll in seiner letzten Lebensphase nicht auf Genuss verzichten müssen. Jeder Mensch hat Gerichte, die er sehr mag - nicht nur, weil sie ihm besonders gut schmecken, sondern weil er sie vielleicht mit Erinnerungen in Verbindung bringt. Wenn es uns gelingt, diese wohligen Gefühle wieder lebendig werden zu lassen und ein wenig Freude zu bringen, ist das etwas vom Schönsten, was man erleben kann. Das ist nicht nur für diejenigen, die sich ihr Leibgericht zum letzten Mal wünschen, sondern auch für mich gelebtes Glück.“ Jörg Ilzhöfer hat in den besten Häusern dieser Republik gekocht. Entsprechend breit ist die Palette der Rezepte, die er beherrscht.

Hausmannskost wie Maultaschen serviert er ebenso gern im Hospiz wie ein feines Cordon Bleu oder einen Kalbstafelspitz. „Kürzlich hat sich eine Dame ein Nudelgericht mit Lachs gewünscht“, berichtete Ilzhöfer seinen japanischen Gästen. „Das war ein Essen, das man in ihrer Familie immer an Familienfesten gekocht hat. Dass die Dame diesen Genuss nochmal mit ihren Angehörigen teilen durfte, war ihr so wichtig wie das Essen selbst. Wenn man einem Menschen auf dem Sterbebett auf diese Weise ein Lächeln entlocken kann, spürt man, was Glück bedeutet.“

Yuzuru Takano und Tomoko Shioda arbeiten für eine der größten Zeitungen Japans, ihr Korrespondentenbüro haben sie jedoch in Berlin. Schon deshalb sind sie mit der deutschen Küche vertraut - sogar mit der schwäbischen, schließlich kommt Tomoko Shiodas Ehemann aus der Stuttgarter Region. Ihren Arbeitsbesuch in Esslingen haben sie auch genutzt, um ihren geschmacklichen Horizont zu erweitern. Zum Beispiel mit den hiesigen Klassikern wie Kutteln, die Chefkorrespondent Takano staunen ließen: „Dieselben Zutaten verwendet man in Japan, das entsprechende Gericht schmeckt allerdings ganz anders.“ Dass die feine Küche viele Möglichkeiten eröffnet, weiß Jörg Ilzhöfer nur zu gut, schließlich hat er ein Faible dafür, scheinbar vertrauten Gerichten immer neue Seiten abzugewinnen: „Maultaschen kann man nicht nur mit Hackfleisch und Brät zubereiten. Die müssen Sie mal mit Hummer und Langustinos probieren. Das ist ein Erlebnis.“ Viel mehr brauchte er Tomoko Shioda nicht zu sagen - ihr lief prompt das Wasser im Mund zusammen: „Oh, oh, ja, ja - das klingt sehr lecker.“

Zwei- bis dreimal im Monat kocht Jörg Ilzhöfer für Menschen im Esslinger Hospiz. Für ihn bedeutet das jedes Mal doppelten Stress, schließlich muss er nebenbei meist noch den Mittagstisch zubereiten, den er in seiner Kochschule anbietet. Trotzdem mag er sein ehrenamtliches Engagement nicht missen: „Uns geht es so gut. Wenn wir anderen, die das Leben weniger verwöhnt, etwas Gutes tun können, ist das sehr bereichernd.“ Tomoko Shioda und Yuzuru Takano durften dem Koch über die Schulter schauen, wie er Kalbsgeschnetzeltes, Knödel und grüne Bohnen für einen der Gäste im Hospiz zubereitete. Nebenbei verriet er einiges über seine kulinarische Philosophie: „Wenn ich fürs Hospiz koche, lege ich besonderen Wert auf die Zutaten - die dürfen gern ein bisschen wertiger sein.“ Und gewürzt wird auch etwas intensiver, weil die Geschmacksnerven bei schwerkranken Menschen oft nicht mehr ganz so sensibel sind.

Für die japanischen Journalisten war’s in vielerlei Hinsicht ein Erlebnis, Ilzhöfer bei der Arbeit zuzuschauen. Besonders die Knödelzubereitung hat Tomoko Shioda erklärtermaßen beeindruckt: „Ich kenne Knödel, habe sie aber noch nie selbst gemacht. Das sollte ich mal ausprobieren.“ Klar, dass am Ende auch ein Geschmackstest nicht fehlen durfte, der den beiden so manches „Ah“ und „Oh“ entlockte. „Mein Mann wird ziemlich neidisch sein, wenn er erfährt, was ich genießen durfte“, meinte die Journalistin hinterher augenzwinkernd. Ihr Kollege wollte es derweil noch etwas genauer wissen und erkundigte sich nach dem einen oder anderen Anekdötchen, das den japanischen Zeitungslesern Freude machen könnte. Da hatte Ilzhöfer natürlich einiges zu erzählen - etwa die Geschichte eines todkranken Kochs, der sich als als letzte ganz besondere Mahlzeit Kutteln gewünscht hatte und seinen Kollegen hinterher mit ungeteiltem Lob für die besten Kutteln aller Zeiten adelte. Solche Momente sind es, die Jörg Ilzhöfer auch im Angesicht des Todes eines anderen Menschen Glück spüren lassen: „Man darf etwas vom eigenen Glück an andere weitergeben. Das ist ein gutes Gefühl.“