Wenn das Obst im Herbst reif ist, bleiben an vielen Bäumen vor allem in guten Jahren oft die Früchte hängen, weil die Besitzer mit der Ernte überfordert sind. Ein gelbes Band am Stamm signalisiert, dass auch andere sich bedienen dürfen. Foto: oh - oh

Der Landkreis Esslingen besitzt bundesweit die größte Streuobstfläche mit geschätzt 768.000 Bäumen. Hier dürfen sich künftig auch Spaziergänger bedienen.

EsslingenJedes Jahr ist es dasselbe Bild: Wenn im Herbst das Obst reif ist, bleiben an vielen Bäumen Äpfel, Birnen und Früchte einfach hängen. Vor allem in Jahren mit reichem Erntesegen schafft es so mancher Stücklesbesitzer nicht mehr, all seine Bäume abzuernten. Weil der Landkreis Esslingen mit 9600 Hektar und geschätzt rund 768 000 Obstbäumen die bundesweit größte Streuobstfläche besitzt, zeigt sich dieses Problem hierzulande besonders deutlich. Deshalb hat die Kreisverwaltung in diesem Jahr das Ernteprojekt „Gelbes Band“ gestartet: Wer es selbst nicht mehr schafft, seine Obstbäume abzuernten, kann sie kennzeichnen und damit signalisieren, dass er oder sie nichts dagegen hat, wenn sich andere am reifen Obst bedienen. So soll verhindert werden, dass Äpfel, Birnen und andere Früchte einfach verfaulen. Eine Reihe von Kommunen hat sich diesem Projekt bereits angeschlossen – künftig will Esslingen dabei sein. Linke-Stadträtin Johanna Renz hatte die Esslinger Stadtverwaltung per Antrag zum Mitmachen aufgefordert. Im Ausschuss für Technik und Umwelt (ATU) des Gemeinderats nahm Grünflächenamts-Chef Burkhard Nolte die Steilvorlage auf und signalisierte, dass die Stadtverwaltung 2020 dabei sein will und in ihrem Bürgerbüro die gelben Bänder zum Abholen bereitstellen wird.

Die Filderstädter hatten die Ernteaktion schon vor einigen Jahren gestartet, andere Kommunen wie Köngen oder Beuren hatten die Idee aufgegriffen. Der Kreis Esslingen war Vorreiter, als es galt, die Aktion landkreisweit zu etablieren. „In anderen Landkreisen der Umgebung sind es zumeist nur einige Gemeinden wie Schlierbach im Landkreis Göppingen oder Mössingen im Landkreis Tübingen, die gelbe Bänder ausgeben“, hat Burkhard Nolte jüngst im ATU berichtet. „In diesem Jahr konnten Streuobstwiesen-Besitzer die gelben Bänder in 36 der insgesamt 44 Städte und Gemeinden im Kreis Esslingen in Rathäusern und Bürgerbüros abholen – künftig auch in Esslingen. Dass die Nachfrage diesmal in manchen der beteiligten Kommunen noch nicht allzu groß war, überrascht Nolte nicht, schließlich war die Obsternte 2019 nicht allzu üppig.

Der Grünflächenamts-Chef ist überzeugt, dass eine Aktion wie diese sehr gut in die Zeit passt. Denn im Esslinger Rathaus weiß man, dass der Altersdurchschnitt der Streuobstwiesen-Besitzer kontinuierlich steigt und dass es vielen mit zunehmendem Alter immer schwerer fällt, all ihre Bäume selbst abzuernten. Weil sich jedoch nicht jeder einfach am Obst anderer bedienen darf, muss eine besondere Kennzeichnung her, wenn der Baumbesitzer anderen das Ernten erlaubt. Ist ein Baum mit einem gelben Band gekennzeichnet, gelten automatisch drei verbindliche Spielregeln: Beim Abernten dürfen keine Äste abgebrochen oder Bäume beschädigt werden. Die Grundstücke dürfen nicht verschmutzt werden und müssen so wieder verlassen werden, wie sie angetroffen wurden. Und das Abernten auf den fremden Grundstücken geschieht auf eigene Gefahr.

Esslingen beteiligt sich 2020 zum ersten Mal ganz offiziell am Ernteprojekt „Gelbes Band“. Ganz neu ist der Gedanke für die Stadt allerdings nicht: Auf den städtischen Streuobstwiesen-Parzellen vor Ort bietet das Grünflächenamt seit vielen Jahren die Möglichkeit, dass sich Bürgerinnen und Bürger, die gerne Obst ernten wollen, im Laufe des Jahres melden und einen oder mehrere Bäume kostenlos zum Abernten reservieren können. Die städtischen Bäume sind nummeriert und mit dem Namen des Nutzers gekennzeichnet, damit jeder weiß, wer sich am entsprechenden Baum bedienen darf. „In den vom Grünflächenamt betreuten Obstwiesen auf der Rüderner und der Krummenacker Heide, dem Stöckenberg und der Hegensberger Heide mit rund 650 Obstbäumen werden über dieses Verfahren etwa 80 Prozent der Bäume abgeerntet“, hat Burkhard Nolte nun dem gemeinderätlichen Ausschuss für Technik und Umwelt berichtet. Bäume auf städtischen Streuobstwiesen, die von niemandem reserviert wurden, darf jeder abernten. Und das hat sich offenbar bewährt, wie der Grünflächenamts-Chef den Ratsmitgliedern nun berichtet hat: „Es hat sich gezeigt, dass es einen konstanten Interessentenkreis aus der Bürgerschaft gibt, sodass Obst aus städtischen Streuobstwiesen nicht ungenutzt bleibt. Dieses bewährte Vorgehen soll auch künftig beibehalten werden.“