Ein starkes Stammtisch-Team ist stets auf Ballhöhe: Uli Stöberl, Albert Schneider, Ralph Käser, Enzo Modica, Birgit Bosse, Michael Hütt (hinten von links) sowie Max Pickl, Andreas Heinkel, Abdelkrim Ouhcine, Rainer Heilemann, Gerd Schneider und Jörg Krauß (vorne von links) Foto: Bulgrin - Bulgrin

Wenn in Russland um Weltmeister-Ehren gespielt wird, sind die Experten am WM-Stammtisch unserer Zeitung im Esslinger Hotel Park Consul stets auf Ballhöhe.

EsslingenDie Enttäuschung über das debakulöse Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der Fußball-Weltmeisterschaft sitzt bei vielen Fans tief. Den Experten am WM-Stammtisch unserer Zeitung geht es nicht anders. Doch als Kenner der internationalen Fußballszene betrieben sie im Esslinger Hotel Park Consul nicht nur Ursachenforschung – sie fragten sich auch, welche Lehren aus dem frühen Ausscheiden zu ziehen sind. Wenn Frankreich am Sonntag den WM-Titel holen sollte, wäre das für die meisten Stammtischler keine Überraschung.

Max Pickl muss über die Gründe für die deutsche WM-Pleite nicht lange nachdenken. Er zitiert ein Interview, in dem sich der Bundestrainer kurz vor dem Turnier zu der Feststellung hinreißen ließ, die deutsche Mannschaft könne es endlich mit Teams wie Brasilien und Spanien in puncto Kreativität und spielerischer Leichtigkeit aufnehmen. „Für mich ist das ein typischer Fall von Selbstüberschätzung“, urteilt Pickl. Und Albert Schneider, dessen Name untrennbar mit den besten Zeiten des Esslinger Fußballs verbunden ist, findet: „Unsere Mannschaft soll guten Fußball spielen, aber sie darf darüber Einsatz und Kampf nicht vergessen. Genau das ist passiert. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn es schiefgeht.“ EZ-Chefredakteur Gerd Schneider nimmt dafür Jogi Löw in die Verantwortung: „Kürzlich hat er erklärt, er sehe sich weniger als Trainer denn als Visionär und Entwickler eines modernen Fußballs. Dass da der eine oder andere abhebt, ist doch klar.“

Abdelkrim Ouhcine, Direktor der Gastronomie im Park Consul, hat während des Turniers erst den Marokkanern und dann den Franzosen die Daumen gedrückt, doch er hatte auch das deutsche Team im Blick – und da hat er von der ersten Minute an festgestellt: „Da hat vieles nicht gestimmt.“ Michael Hütt glaubt: „Spieler und Trainer haben die Bodenhaftung verloren. Offenbar hat es auch in der Mannschaft nicht gestimmt. Wenn ich sehe, wie der gesperrte Boateng fröhlich auf der Tribüne sitzt, während es auf dem Platz um alles geht, gibt das zu denken. Bei anderen Mannschaften sitzen verletzte Spieler im Trainingsanzug auf der Bank und feuern die anderen an.“ Ralph Käser glaubt, „dass sich diesmal eine ganze Reihe von Kleinigkeiten derart summiert hat, dass die Mannschaft irgendwann nicht mehr aus ihrem Leistungstief herauskam“. Er denkt dabei zum Beispiel an den Ärger um Mesut Özil und Ilkay Gündogan, das verkorkste Krisenmanagement des DFB, das Hickhack ums WM-Quartier, die unsichere Zukunft von Jérôme Boateng oder die umstrittene Entscheidung, auf unbequeme Spieler wie Wagner oder Sané zu verzichten. „Sané alleine hätte uns auch nicht mehr gerettet“, glaubt derweil Uli Stöberl. Und Jörg Krauß hätte einen anderen Kandidaten im Blick: „Vielleicht hätten wir statt Spielern wie Leroy Sané oder Sandro Wagner diesmal lieber Jogi Löw zuhause lassen sollen.“ Gerd Schneider hätte schon früher auf die Bremse getreten: „Löw hätte nach dem Titel vor vier Jahren zurücktreten müssen. Meist kommt nach solch einem Erfolg nicht mehr viel.“

Ganz so hart mag Ralph Käser nicht urteilen: „Jogi Löw hat viel für den deutschen Fußball getan – da muss man ihm jetzt die Chance geben, die Scharte wieder auszuwetzen.“ Für Michael Hütt ist dagegen klar: „Nach dieser Katastrophe muss ein radikaler Schnitt her. Einfach nur weiterwurschteln und zwei, drei Spieler austauschen – das reicht nicht.“ Das sieht auch Rainer Heilemann so, und er würde an der Spitze beginnen: „Für mich ist es eine Fehlentscheidung, dass Löw den Neuanfang in die Hand nehmen soll. Er hat entscheidende Fehler gemacht und sollte die Verantwortung dafür übernehmen. Ein, zwei Bauernopfer genügen nicht. Da muss sich einiges grundlegend ändern.“ Doch daran glaubt Bechtle-Geschäftsführer Andreas Heinkel nicht: „Ich habe Zweifel, ob die DFB-Spitze stark genug ist, um einen Neuanfang auf den Weg zu bringen. Die stützen sich gegenseitig, weil einer ohne den anderen nicht überleben könnte.“ Und Max Pickl fürchtet: „Wahrscheinlich wird nicht mal richtig Ursachenforschung betrieben. Grindel, Bierhoff und Löw setzen darauf, dass die Mannschaft nach der WM besser spielt und dass nach ein, zwei Siegen alles vergessen ist.“ Doch da warnt Albert Schneider: „Diese Hoffnung hatte man auch nach dem Vorbereitungsspiel gegen die Österreicher, und dann wurde alles nur noch schlimmer. Wenn man sich weiter in die Tasche lügt, geht es noch tiefer bergab.“

Wenn Andreas Heinkel Bundestrainer wäre, wüsste er bereits, wie es nach dem WM-Debakel weitergehen muss: „Ich würde auf die Spieler setzen, die im vergangenen Jahr beim Confed-Cup so positiv überrascht haben. Und dazu würde ich noch den einen oder anderen Erfahrenen einbauen. Aber eine deutliche Verjüngung muss her.“ Das findet auch Abdelkrim Ouhcine: „Die jungen Mannschaften haben bei dieser WM am ehesten begeistert.“ Enzo Modica jedenfalls hofft, dass die deutsche Mannschaft wieder zu alter Stärke zurückfindet: „Sonst ist sie ja für uns Italiener kein Gegner mehr. Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn man so frühzeitig scheitert.“ Auf solchen Trost hätte Uli Stöberl liebend gern verzichtet: „Wenn schon die Italiener mit uns Mitleid haben, weiß man, wie dramatisch die Lage ist. Jetzt fehlt nur noch, dass uns die Holländer bedauern.“

Und wer wird den WM-Titel mit nach Hause nehmen? Hotel-Direktorin Birgit Bosse tippt auf die Franzosen: „Die haben für mich mit den besten Fußball gespielt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich den Titel noch nehmen lassen.“ Das sehen die meisten unserer Stammtischler ähnlich. Jörg Krauß formuliert jedoch eine Außenseitermeinung: „Vom Spielerischen her müssten die Franzosen das Ding schon holen. Aber im Fußball zählen manchmal auch andere Dinge. Wie sich die Kroaten in jedem Spiel reinhauen, finde ich klasse. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass Kroatien Weltmeister wird.“