Quelle: Unbekannt

Hessen diskutiert über Schulen ohne Noten. Auch in Esslingen verzichten bereits einige Schulen darauf. Vielen Kindern sind die Noten aber wichtig, vielen Eltern ebenfalls.

EsslingenSchule ohne Noten – in Hessen ist das bald möglich. Die schwarz-grüne Landesregierung dort stellt es Schulen künftig frei, ob in Zeugnissen Zahlen oder schriftliche Bewertungen stehen. Ganz neu ist das nicht. Auch in Baden-Württemberg gibt es bereits einige Schulen, die zumindest teilweise auf Noten verzichten.

An Gemeinschaftsschulen wie der Esslinger Seewiesenschule bekommen die Schüler detaillierte, schriftliche Rückmeldungen. Ab der fünften Klasse fallen Noten und Zeugnisse weg – das sei auch von den Eltern so gewünscht, meint Schulleiterin Marion Katuric. Stattdessen gibt es sogenannte Lernentwicklungsberichte und Kompetenzraster, in denen die Stärken und Schwächen der Schüler im jeweiligen Fach festgehalten werden. Diese können also genau erkennen, wie sie beispielsweise bei Grammatik oder Rechtschreibung abschneiden. Das sei hilfreich, meint Lavina Amos, die jetzt in der Abschlussklasse ist: „Auf der Realschule wäre ich mit einer Drei als Gesamtnote bei einer Arbeit zufrieden gewesen, jetzt sehe ich, in welchen einzelnen Punkten ich mich verbessern kann.“ Neuntklässler Simon Pulvermüller stimmt dem zu: „Eine Note sagt: Du kannst ein Thema oder du kannst es nicht. Durch die spezifischen Rückmeldungen kann man gezielt die Schwachstellen angehen und muss nicht nochmal alles wiederholen.“ Der Leistungsdruck sei damit allerdings nicht weg, bemängelt er. Zeugnisse bekommen die Seewiesenschüler erst wieder zum Abschluss oder für Bewerbungen.

Anfangs hätten viele Eltern dem System skeptisch gegenübergestanden, erzählt Aglaia Handler, die langjährige Vorsitzende des Gesamtelternbeirats Esslingen war. Mittlerweile hätten sie sich aber daran gewöhnt. Und je länger die Kinder an der Schule seien, desto weniger wollten die Eltern die Noten einsehen.

Klassische Beispiele für Schulen ohne Noten sind auch die privaten Waldorfschulen, an denen die Lehrer ausführliche schriftliche Bewertungen schreiben. „Die Schüler sind mehr als eine Zahl“, erklärt Jörn Thiessen, Lehrer an der Freien Waldorfschule Esslingen. „Wir versuchen, sie über den Unterricht zu begeistern, nicht über Noten und Leistungen“. In der Oberstufe werden aber auch hier ganz regulär Zeugnisse ausgestellt; ab da wüssten die Schüler, wie sie die Noten einzuordnen hätten, meint Thiessen.

An Grundschulen bekommen Schüler erst ab Mitte der zweiten Klasse Noten und Zeugnisse. Die Kinder müssten erst ankommen und sich an die Abläufe gewöhnen, erläutert Barbara von Lauenstein, kommissarische Leiterin der Katharinenschule. Anfangs schreiben auch Grundschullehrer Lernentwicklungsberichte und gehen dabei auf die Leistungen in den einzelnen Fächern ein. Aber sowohl bei Eltern als auch bei Schülern hätten Noten nach wie vor einen hohen Stellenwert, sagt von Lauenstein: „Sie sind den Kindern ganz wichtig, speziell in der Grundschule. Die Kinder möchten sich aneinander messen und sind scharf darauf zu erfahren, wo sie in der Klasse stehen.“ Manche Eltern würden ihre Kinder außerdem Klassen wiederholen lassen, um bessere Noten zu erreichen. „Eltern legen noch großen Wert auf Noten“, bestätigt auch Handler. Auch die Arbeitgeber seien noch voll auf Noten eingestellt. Dort müsste auch ein Umdenken stattfinden, meint Handler.

Laut Handwerkskammer der Region Stuttgart geben gute Noten den Betrieben Sicherheit, zumindest in den für den Beruf relevanten Fächern. Viele würden aber vor allem auf soziale Kompetenzen achten. „Zuverlässigkeit und Belastbarkeit können für Betriebe wichtiger sein als gute Noten“, sagt Julia Fuchs, Pressesprecherin der Handwerkskammer. Immer häufiger bleiben Lehrstellen auch unbesetzt, sagt Andrea Bosch, Geschäftsführerin Beruf und Qualifikation bei der Industrie- und Handelskammer Stuttgart. Auch da könne es lohnen, weniger auf die Noten zu schauen.

Während in Hessen theoretisch auch an Gymnasien und Realschulen die Noten wegfallen können, ist das hier kein Thema. „Wir brauchen Noten als Qualifikation, um Versetzung, Ausbildung oder Abschlüsse zu ermöglichen“, sagt Michael Burgenmeister, Vorsitzender der Direktorenvereinigung Nordwürttemberg und Leiter des Theodor-Heuss-Gymnasiums Esslingen. Die Noten seien in der Kommunikation oft eindeutiger, sie könnten motivieren oder warnen. Schriftliche Bewertungen würden oft unterschiedlich ausgelegt. Die Noten sollten aber immer in einen Kontext gestellt werden: „Noten vergeben ohne Erklärung hat wenig Wert.“

Auch die Katharinenschule war eine Zeit lang Gemeinschaftsschule und hat somit Erfahrung mit alternativen Bewertungsmethoden. Im Ansatz findet Schulleiterin von Lauenstein diese gut – „sie können aber auch zur Farce werden“. Die individuellen Bewertungen seien aufwendig, die Lehrer müssten sich absprechen. Wenn die Zeit dafür fehle, würden die schriftlichen Bewertungen kaum mehr aussagen als klassische Noten. Grundsätzlich sei es schwierig, Schüler fair und pädagogisch sinnvoll zu bewerten: „Es gibt wahrscheinlich kein System, das den Kindern wirklich gerecht wird.“