Eine Gruppe unentwegter Radler trotzt dem schlechten Wetter und dreht als Protest gegen die „autogerechte Stadt“regelmäßig ihre Runden. Foto: Dietrich Quelle: Unbekannt

Bei der letzten „Critical Mass“-Fahrradtour durch Stuttgart waren laut Veranstalter 1419 handgezählte Radler dabei. Die Bewegung ist nach Esslingen geschwappt, auch dort geht es einmal im Monat auf Tour. Erheblich kleiner, aber bei jedem Wetter.

Von Peter Dietrich

Immer am dritten Freitag im Monat um 18 Uhr ruft das Bündnis „Esslingen aufs Rad“ zur „Critical Mass“. Möglichst viele Radfahrer sollen gemeinsam ihren Platz im Straßenverkehr beanspruchen. Das ist als Protest gegen das Konzept der „autogerechten Stadt“ und als Werbung fürs fröhliche Radfahren gedacht: Hallo, es gibt uns, und wir sind ganz viele. Wichtig ist dabei Paragraf 27 der Straßenverkehrsordnung (StVO): Nach diesem dürfen ab 16 Personen Radler als „geschlossener Verband“ zu zweit nebeneinander fahren. „Viele wissen das nicht“, sagte Tourleiter Thomas Albrecht, „selbst Polizisten nicht.“

Was aber, wenn es kurz vor Tourbeginn in Strömen gießt? Trotzdem kamen rund 25 Fahrer. Wobei der Jüngste im Bunde im Anhänger fuhr, jüngste Selbsttreterin war die achtjährige Milena. Sie war erstmals und mit dem Papa dabei. Die Tour, meinte dieser, solle zur familiären Dauereinrichtung werden. „Und die Mama müssen wir auch mitbringen.“

Johanna Renz aus St. Bernhardt fuhr zum zweiten Mal mit - um ihrer Kinder, vier und sieben Jahre alt, willen. „Immer wenn ich mit ihnen mit Fahrrad und Laufrad in der Stadt unterwegs bin, habe ich Angst. Da muss etwas geschehen, es braucht sichere Wege.“ Sie habe auch erlebt, dass der Busfahrer zur erlaubten Zeit Kind und Rad ablehnte, weil ein Rollstuhl Vorrang habe. Deshalb wieder aussteigen müssen, okay, aber auf Verdacht gar nicht einsteigen dürfen? Das nicht, findet Renz.

Wie vielfältig Radfahren ist, zeigten Räder und Kleidung: Ob unmotorisiertes Mountainbike oder Pedelec, Tandem oder Liegerad, alles war vertreten, die Radlerkleidung genauso wie die wenig regentaugliche Jeans. Auffällig war das Rad, mit dem Roland Oehmann aus Stuttgart gekommen war: Sein Vorderrad mit gewolltem Höhenschlag sorgte für ein stetes Auf und Ab. Was bringt das? „Spaß“, sagte Oehmann, der sein Rad „Exzentrix“ getauft hat. „Man kann damit 23 oder 24 Kilometer pro Stunde fahren.“

Kritik an Sperrung des Uferwegs

Die Critical-Mass-Tour bewegte sich nur mit Tempo 15 voran, von Musikbeschallung begleitet, wozu natürlich „Bicycle Race“ von Queen gehörte. Jürgen Grad hatte seinem auf einem Anhänger montierten Lautsprecher ganz neu eine schützende Holzverkleidung verpasst. Aus aktuellem Anlass ging es diesmal dem Neckar entlang, wo die Stadt Esslingen ein Stück Radweg sperren will.

Die neue Unterführung in Mettingen, durch welche die Alternativroute führt, bewertete die Gruppe grundsätzlich positiv. Lob fanden die gute Ausleuchtung und der helle Boden. Albrecht kritisierte aber die Pfützen: „Das sind im Winter Glatteiskandidaten.“ Glatt sind bei Nässe auch der Holzsteg vor der Unterführung und die steile Holzrampe unterhalb der Pliensaubrücke. Durch die enge Verschwenkung kam es dort schon zu Stürzen.

Die geplante Sperrung des Neckaruferwegs stieß auf massive Kritik. Auf der Alternativroute wurden besonders die Fleischmannstraße mit ihren vielen parkenden Fahrzeugen, die Kreuzung bei den Stadtwerken Esslingen und die Überquerung des Bahnhofsvorplatzes als gefährlich angesehen. Eigentlich habe die Fleischmannstraße laut Stadt einmal Fahrradstraße werden sollen, sagte der grüne Stadtrat Jürgen Menzel, doch davon höre man nichts mehr. Menzel kündigte einen Antrag seiner Fraktion an, die Befahrung des Neckaruferwegs „auf eigene Gefahr“ weiterhin zu erlauben und den Belag aus laufenden Unterhaltsmitteln der Stadt in Stand zu setzen. Der Belag ist aktuell extrem holprig. „Wenigstens wurde am Rand gemäht“, lobte eine Fahrerin. Auch die seit langem diskutierte Alternativroute am früheren Stellwerk der Bahn vorbei fand wenig Gegenliebe: Hoch zur Brücke, dann wieder runter? Für Radler sind das verschenkte Höhenmeter.

Bis Altbach reichte die Spanne vom Radlertraum am Neckarfreibad bis zum schmutzigen Radpfad im Industriegebiet. Zurück ging es auf einer empfehlenswerten Nebenstrecke, von Albrecht als „Panoramastrecke“ bezeichnet. Kritisch ist diese auf dem Abschnitt direkt an der Hauptstraße zwischen Zell und Oberesslingen, bis zum Beginn des Aufstiegs ins Weihergebiet. Dort parkte auch noch ein Auto auf dem Gehweg, Milena entging nur knapp einem Sturz.

„Das Stopp-Schild reicht nicht“, sagte Albrecht in Oberesslingen an der Kreuzung der Georg-Deuschle-Straße mit der Fahrradstraße. Dort gehöre ein großes Radsymbol auf die querende Straße gemalt, so wie in Stuttgart in der Tübinger Straße. Dass das Land den Radschnellwegprojekt von Plochingen nach Stuttgart übernommen habe, findet Albrecht gut, denn die Planung der Stadt Esslingen könne sonst länger dauern. Dann kam der Regen zurück und ließ die Tour vorab im Café Maille enden - trocken, warm und radpolitisch.