Für freies und offenes WLAN in der Stadt hat sich der Jugendgemeinderat ebenso stark gemacht wie für die Nachtbusse und den Erhalt der Jugendkneipe Fuenfbisneun. Foto: Archivbild: Bulgrin

Von Dagmar Weinberg
Dass Politik zuweilen dem Bohren dicker Bretter gleicht, haben die Mitglieder des Jugendgemeinderats (JGR) erlebt. Schon das Vorgängergremium hatte sich gemeinsam mit den Jugendorganisationen der Parteien für freies WLAN in der Stadt stark gemacht. „Wir haben in dieser Legislaturperiode zusammen mit den Jugendparteien ein weiteres Treffen zum freien WLAN organisiert“, berichtet die JGR-Vorsitzende Leonie Spieth. Wie bei den Nachtbussen, die den JGR über mehrere Legislaturperioden hinweg begleitet haben, läuft es auch beim WLAN ziemlich zäh. „Da das letzte Treffen leider keine Ergebnisse gebracht hat, muss der neue Jugendgemeinderat das Thema wohl nochmals aufgreifen.“ Mitunter könnte ein eigenes Antragsrecht für den Jugendgemeinderat, über das einige Gemeinderäte nachdenken (siehe Anhang), künftig Entscheidungsprozesse beschleunigen.

20 Sitze sind zu vergeben

Auf die Erfahrungen der Vorsitzenden kann das neue Gremium, das in der kommenden Woche an allen weiterführenden Schulen in Esslingen gewählt wird, bei diesem und anderen Themen übrigens wieder zählen. Wie neun weitere bisherige JGR-Mitglieder stellt sich auch Leonie Spieth zur Wiederwahl. Insgesamt haben die Esslinger Schülerinnen und Schüler die Wahl zwischen 30 Kandidaten. Dass sich so viele junge Männer und vor allem Frauen – zwei Drittel der Kandidaten sind weiblichen Geschlechts – für einen der 20 Sitze im JGR bewerben, freut nicht nur die Vorsitzende. „Das große Interesse zeigt, dass die Jugendlichen das Gremium kennen. Und es ist eine Bestätigung der Arbeit des Jugendgemeinderats“, sagt Oliver Appelt, der bei der Stadtverwaltung für den JGR zuständig ist und die Wahl organisiert.
Das Jugendgremium hat sich aber nicht nur für einen offenen Zugang zum Internet stark gemacht. Auch die Diskussion über die Zukunft und den Standort der Esslinger Stadtbücherei hat der JGR begleitet und in mehreren Presseerklärungen klar Stellung bezogen. „Das ist ja Lokalpolitik pur und ein Thema, das uns als Jugendliche natürlich stark betrifft. Da sehen wir uns auch in Zukunft klar gefordert“, erklärt Leonie Spieth, deren persönliche Bilanz durchweg positiv ausfällt.

„Leute, auf die ich bauen konnte“

Ob es um Statements zur Stadtbücherei oder zur drohenden Schließung der Jugendkneipe Fuenfbisneun ging: Die Vorsitzende fühlte sich nie allein gelassen. „Es waren immer Leute da, auf die ich bauen konnte. Sie sind sofort aktiv geworden, haben Pressemitteilungen geschrieben oder Kontakt zu anderen aufgebaut.“ Zudem haben die Mitglieder des Jugendgremiums auch dann nicht die Flinte ins Korn geworfen, wenn mal wieder alles etwas länger gedauert hat. „Es war uns sehr wichtig, eine Stadtführung für jugendliche Flüchtlinge anzubieten“, erzählt die Vorsitzende. Damit sich die jungen Geflüchteten schneller in Esslingen zuhause fühlen, hat der JGR sie mit den „Hotspots für Jugendliche“ bekannt gemacht. „Weil damals aber die Strukturen in der Flüchtlingshilfe noch nicht so aufgebaut waren wie heute, war es sehr, sehr aufwendig, die Stadtführung zu organisieren.“

Wer am Wahltag 14 Lenze zählt, aber noch keine 20 Jahre alt ist, darf bei der Wahl zum Esslinger Jugendgemeinderat seine Stimme abgeben. Jugendliche, die zwar in Esslingen zuhause sind, aber auf eine auswärtige Schule gehen, können am Mittwoch, 18. Oktober, zwischen 16 und 20 Uhr im ehemaligen Aktivbüro im Erdgeschoss des Neuen Rathauses ihre Stimme abgeben.

„Wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen“

Stadträtinnen und Stadträte der SPD, CDU und der Grünen nehmen regelmäßig an den öffentlichen Sitzungen des Jugendgemeinderats (JGR) teil. Wie sie das Gremium in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben, schildern Michael Wechsler (SPD), Enrico Bertazzoni (CDU) und Ursula Strauß (Grüne).

Michael Wechsler: Die Tagesordnung der öffentlichen Sitzungen des Jugendgemeinderats geben zwar nicht immer viel her, und in den Sitzungen geht es oft um Organisatorisches. Dennoch ist das Gremium politischer geworden. So hat sich der amtierende Jugendgemeinderat nicht nur in die Debatte über die Stadtbücherei mit Pressemitteilungen, sondern auch bei der Jugendkneipe Fuenfbisneun und bei anderen Themen eingemischt. Die Stadtführung für geflüchtete Jugendliche war eine wirklich tolle Sache. Denn das macht sonst niemand. Dass die Jugendlichen im Ausschuss für Bildung, Erziehung und Soziales, in dem der JGR als beratendes Mitglied sitzt, nicht von ihrem Rederecht Gebrauch machen, war für die SPD-Fraktion Anlass, sie zu uns einzuladen. Bei diesem Treffen ist den Mitgliedern unserer Fraktion sehr deutlich geworden, dass die Jugendlichen durchaus politisch sind, ihnen aber direkte Anknüpfungspunkte zum Gemeinderat fehlen. Den Jugendlichen ist nicht so recht klar, wo sie ihre Wünsche und Ideen einspeisen können. Statt ihnen das vorzuwerfen, müssen wir uns im Gemeinderat an die eigene Nase fassen. Der Rat und die Expertise der Jugendlichen werden bisher von der Kommunalpolitik nicht direkt abgefragt. Dies zu ändern, sehe ich als Auftrag für den Gemeinderat.

Enrico Bertazzoni: Nicht alle, die im Jugendgemeinderat sitzen, engagieren sich gleichermaßen. Aber das ist auch in Vereinen oder anderen Organisationen üblich. Insgesamt agiert der Jugendgemeinderat aber durchaus politisch. Jedoch ist seine Einflussnahme aufgrund der Gemeindeordnung relativ gering. Und darüber müssen wir nachdenken. Denn wir als CDU sehen den Jugendgemeinderat auch als Gremium, um den Nachwuchs für die Kommunalpolitik zu interessieren. Wir brauchen junge Leute, egal bei welcher Partei, die sich am Ende aufstellen lassen. Damit die Jugendlichen aber nicht den Spaß an der Politik verlieren, könnte ich mir durchaus vorstellen, dass man ihnen künftig die Möglichkeit gibt, zu jugendspezifischen Themen auch Anträge zu stellen, über die im Gemeinderat diskutiert wird. Mich ärgert, dass offensichtlich nicht alle Esslinger Schulen den Jugendgemeinderat ernst nehmen. So musste Herr Appelt, der die Wahl sehr gut und engagiert organisiert, manche Schulen mehrfach wegen der Wahl anschreiben. Dabei sollten doch eigentlich auch die Schulen ein Interesse daran haben, dass es in Esslingen einen Jugendgemeinderat gibt.

Ursula Strauß: Der Jugendgemeinderat ist sowohl vom Alter als auch vom Bildungsniveau und dem heimatlichen Hintergrund der Mitglieder her eine bunt gemischte Truppe. Das gefällt mir, denn der JGR bildet einen guten Querschnitt der Esslinger Jugendlichen ab. Viele Mitglieder des Jugendgemeinderats, vor allem natürlich die, die schon länger dabei sind, haben sich eine gute Fachlichkeit und politische Routine angeeignet. Und es ist erfrischend, ihre Sicht auf die Dinge mitzubekommen. Denn die Jugendlichen gehen oft pragmatischer und mit einem unverstellteren Blick als wir Erwachsenen an die Sache ran. Sehr lobenswert ist, dass jetzt 30 junge Leute kandidieren und sich damit für zwei Jahre verpflichten, in dem Gremium mitzumachen. Denn das ist in dem Alter eine ziemlich lange Zeit. Umso wichtiger ist es, dass die Mitglieder des Gemeinderats den Jugendgemeinderat bewusster wahrnehmen. Damit sich die Jugendlichen nicht als Bittsteller fühlen, sollten wir bei wichtigen Fragen ihre Stellungnahme einholen und sie somit integrieren. Der JGR darf nicht zum Alibi werden. Deshalb wäre ein Antragsrecht von Vorteil. Wie alle anderen Parteien brauchen auch wir dringend Nachwuchs. Damit der aber bei der Stange bleibt, braucht er Erfolgserlebnisse.