Die Stadträte sind sich einig, dass in Esslingen mehr bezahlbare Wohnungen geschaffen werden müssen. Auf dem Güterbahnhofgelände wird jetzt schon gebaut: Hier sollen in den nächsten Jahren einige hundert neue Wohnungen entstehen. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Melanie Braun

Mit einem in zweierlei Hinsicht ungewöhnlichen Etat haben sich die Stadträte gestern im Gemeinderat beschäftigt. Denn bei der Generaldebatte über die Finanzen der Zukunft wurde erstmals in Esslingen über einen Doppelhaushalt diskutiert. Noch dazu stellt sich die Finanzlage in den kommenden zwei Jahren außergewöhnlich gut dar: Man geht für 2018 und 2019 jeweils von einem Plus von rund fünf Millionen Euro aus. Dennoch will man nicht übermütig werden: Die Stadträte mahnten trotz des guten Ergebnisses zu einer sparsamen Haushaltsführung.

Im Fokus der Debatte stand bei fast allen Fraktionen und Gruppen die Forderung nach mehr bezahlbarem Wohnraum, nach einem zukunftsfähigen Mobilitätskonzept sowie baldigen Entscheidungen in punkto Stadtbücherei und Flächennutzungsplan. Aber auch die Wirtschaftsförderung ist der Mehrheit in dem Gremium ein großes Anliegen, ebenso die Förderung des Erhalts der Weinbergmauern durch die Stadt. Auch der Einzug der Digitalisierung in Schulen ist ihnen wichtig. Aber auch über diese Themen hinaus gibt es so einige Forderungen für die Zukunft.

Angesichts der guten Finanzlage gab Andreas Koch, Fraktionsvorsitzender der SPD, dem Etatentwurf 2018/2019 den Titel „Haushalt mit Perspektive - Esslingen mit Zukunft“. Denn der Haushaltsentwurf mache nicht nur Nötiges, sondern teilweise zusätzlich auch Wünschenswertes möglich. Ganz oben auf der kommunalpolitischen Agenda sehe die SPD das Thema Wohnen. Unter anderem fordert sie deshalb eine Konzeption zur Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum. Angesichts der jüngsten Debatten um Kopfsteinpflaster in der Krämerstraße und der Allmandgasse wollen die Sozialdemokraten zudem eine neue Leitplanung für mehr Barrierefreiheit in der Altstadt. Außerdem will die SPD eine bessere und frühzeitige Beteiligung der Bürger bei Entscheidungsprozessen - bislang würde diese entweder gar nicht oder zu spät eingebunden.

Wirtschaftsförderung als A und O

Jörn Lingnau, Fraktionschef der CDU, wies angesichts der „historisch hohen Einnahmen“ auch auf die erheblichen Ausgaben hin, die die Stadt zu schultern habe. „Wir dürfen nicht auf Kosten unserer Kinder leben“, mahnte er. Um auch künftig gut dazustehen, komme man um neue Konsolidierungsrunden nicht herum. Zudem sei die Wirtschaftsförderung das A und O, um finanzielle Spielräume zu sichern. Wegen zunehmender Probleme mit Lärm, wildem Parken und Parksuchverkehr in der Altstadt fordert die CDU zumindest nachts eine verkehrsberuhigte Altstadt, die Planung eines neuen Parkhauses sowie mehr Kontrollen. Unzufrieden sind die Christdemokraten außerdem mit der Kommunikation der Verwaltung, die oft nicht optimal laufe.

Die bemängeln auch die Grünen: Es werde oft gar nicht oder zu spät mit Betroffenen und auch mit den Stadträten gesprochen, kritisierte Carmen Tittel, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Nicht zufrieden sei ihre Fraktion zudem mit dem Thema Radverkehr: Hier gehe viel zu wenig voran. Lobenswert hingegen sei die lebendige Kulturszene in Esslingen, deren Relevanz fürs Gemeinwohl allerdings noch stärker beachtet werden müsse. Außerdem fordern die Grünen, dass bei künftigen Sanierungen in der Altstadt immer ein Streifen barrierefreies Pflaster eingebaut werden müsse. Zudem will die Fraktion ein Antragsrecht für den Jugendgemeinderat und eine Stelle für einen Flächenmanager, der sich darum kümmern soll, Baulücken und Leerstände an den Markt zu bringen.

Die Freien Wähler warnen eindringlich davor, sich vom guten Haushaltsergebnis blenden zu lassen - schließlich sei das Plus zu großen Teilen nicht selbst erarbeitet. Der gute Etatentwurf sei daher „mehr Schein als Sein“, betonte Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionschefin der Freien Wähler. Deshalb gelte es auch in Zukunft, Disziplin und Sparsamkeit walten zu lassen. Zudem sei insbesondere die Wirtschaftspolitik wichtig, um lokale Unternehmen zu stärken. Außerdem müsse endlich ein Knopf an den Flächennutzungsplan gemacht werden - die Freien Wähler wünschten sich hier unter anderem auch mehr Gewerbeflächen.

Die FDP-Rätin Rena Farquhar nimmt das gute Ergebnis des Haushaltsentwurfs für die kommenden zwei Jahre zum Anlass, darauf zu drängen, sich von der „irrwitzigen Idee“ zur Einführung einer Bettensteuer zu verabschieden. Auch solle man sich dringend überlegen, von der geplanten zweiten Erhöhung der Grundsteuer abzusehen: „Man kann politisch nicht Wohnungskosten und Wohnungsnot beklagen und eine Minute später selbst durch höhere Wohnraumkosten zum Problem beitragen“, betonte sie. Die FDP sehe den Flächennutzungsplan als zentrales Instrument, um mehr Bauflächen zu schaffen. Außerdem sei es wichtig, Esslingen als attraktiven Wirtschaftsstandort zu erhalten, um die Finanzstärke der Stadt zu erhalten. Und trotz guter Finanzlage müssten zusätzliche Ausgaben mit Augenmaß angegangen werden.

Die Linke hat sich beim Blick auf den Haushaltsentwurf die Frage gestellt: „Sparen oder Investieren?“ - und diese Frage mit einem klaren „Investieren!“ beantwortet. Und zwar auch in Bereichen, die bei den anderen Mitgliedern im Gemeinderat weniger im Fokus stehen: „Während die anderen Fraktionen von Personalkosten reden, reden wir mit und vom Personal“, betonte der Stadtrat Martin Auerbach. So fordere die Linke etwa die Wiedereingliederung der städtischen Gebäudereinigung nach dem Motto „Gute Arbeit - Gutes Geld“. Zudem fordert die Linke unter anderem eine monatliche Pauschale für Mitarbeiter der Stadt zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs sowie ein besseres Gesundheitsmanagement für Verwaltungsmitarbeiter.

Auch Dilek Toy von FÜR forderte ein besseres Wohnraummanagement, zudem den Ausbau erneuerbarer Energien und außerdem weitere Geräte zur Messung von Feinstaub und Stickstoffdioxid in der Luft.

Auswahl der anträge und forderungen der fraktionen und gruppen

SPD: Evaluation Wohnraumversorgungskonzept; neue Stelle für aktives Wohnraum- und Flächenmanagement; Erneuerung Leitplanung Straßen und Plätze der Altstadt; mehr Anreize zur Mitarbeitergewinnung und -bindung bei der Stadtverwaltung; Aufnahme Planungen Neubau Schelztorsporthalle; Priorisierung Sporthallensanierungen

CDU: zukünftige Mehreinnahmen ausschließlich zur Schuldentilgung nutzen; Aufstockung kommunaler Ordnungsdienst um zwei Stellen; Entwurfsplanung für Parkhaus im Burgberg; nächtliche Verkehrsberuhigung Altstadt; Förderung Erhalt von Weinbergmauern; Streichung Gelder für Meisterkonzerte; Verkehrskonzept für ganze Stadt; Erhöhung Straßenbaumittel um 500 000 Euro; Sperrung eingeplante Mittel für Neckaruferradweg und -park, bis Co-Finanzierung gesichert

Freie Wähler: Klärung Nachnutzung Feuerwache Wäldenbronn; Förderung zum Erhalt der Weinbergmauern; Prüfung Sanierungsgebiet in östlicher Altstadt unter Einbeziehung des Standortes der künftigen Stadtbücherei; Überprüfung Förderrichtlinen im Bereich Kultur; Sperrung der Mittel für den Neckaruferpark, Freigabe erst nach detailliertem Bericht; Prüfung, ob Investitionsrücklage sinnvoller für Sanierung der Neckarbrücken oder für neue Stadtbücherei angelegt

Grüne: beratender Sitz für Inklusionsbeirat im Sozialausschuss; Bevorzugung Recyclingbeton bei eigenen Bauvorhaben; Antragsrecht für Jugendgemeinderat; Bewerbung für Landesgartenschau; neue Stelle für Flächenmanager; Ausweitung Lärmschutz Neckarstraße; Planung Sanierung Pliensauturm; Einrichtung eines Mobilitätsausschusses; Richtlinie: barrierefreie Streifen bei Sanierungen von Altstadtgassen; Förderung Erhalt Weinbergmauern

FDP: Verabschiedung von Idee der Bettensteuer; Prüfung, ob geplante zweite Grundsteuererhöhung eventuell nicht umgesetzt wird; Einrichtung eines branchenunabhängigen Existenzgründungszentrums

Linke: Wiedereingliederung Gebäudereinigung in die Stadt; monatlicher Mobilitätszuschuss für Beschäftigte der Stadt; neue Stelle Verkehrsplanung für nicht motorisierten Individualverkehr; Aufstellung weiterer Pfandringe; Ausbau barrierefreier Bushaltestellen; Barrierefreies Wegenetz durch Altstadt; Wiederherstellung Waldweg vom Landratsamt zum Zollberg; Verzicht auf hohe Strafen für Obdachlose, die im öffentlichen Raum Alkohol trinken; Überprüfung Wohnraumversorgungskonzept

FÜR: aktives Wohnraummanagement; Ausbau Nutzung erneuerbarer Energien; kostenlose Schülermonatstickets für Nahverkehr, kostenlose Kitas und Kindergärten