Rochade mit Plastikfiguren: An einem Modell aus dem 3D-Drucker kann probiert werden, wie viel Platz ein Rollstuhl braucht. Foto: Bulgrin

Von Dagmar Weinberg

Esslingen - Wer in den Hauptverkehrszeiten unterwegs ist, kann seinen Weg oft problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Außerhalb der Stoßzeiten muss man aber manchmal lange auf den nächsten Bus warten und erliegt mitunter der Versuchung, doch wieder ins eigene Auto zu steigen. „Anstelle einer starren Taktung wäre es viel besser, wenn man Busse nach Bedarf durch den Ort fahren lassen könnte“, sagt Professor Alexander Müller von der Fakultät Fahrzeugtechnik der Hochschule Esslingen. Den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) flexibler zu gestalten und ihn damit attraktiver zu machen, ist das Ziel des „Reallabors Schorndorf“ in dem der Professor gemeinsam mit Stefanie Beyer, Ingenieurin für Fahrzeugtechnik, forscht. So weiß er auch, warum die Stadt Schorndorf für das vom Wissenschaftsministerium geförderte Projekt (siehe Anhang) ausgewählt wurde. „Die Mittelstadt Schorndorf hat insofern eine typische Struktur, als es dort viel Pendelverkehr zwischen dem Zentrum und dem Umland gibt.“

Der Nutzer steht im Mittelpunkt

Die Idee, den ÖPNV durch flexible Angebote attraktiver zu machen, ist zwar nicht neu. „Bisher hat man aber noch nie die Nutzer mit all ihren Belangen von Beginn an einbezogen“, sagt Stefanie Beyer. Dass die Bürgerinnen und Bürger in Schorndorf gefragt werden, wie der Nahverkehr der Zukunft funktionieren und die Fahrzeuge aussehen sollen, gefällt der Ingenieurin gut. „Wenn die Nutzer partizipieren können, ist die Akzeptanz in der Regel höher.“ Wie ein Bus aussehen muss, in den Menschen jeden Alters gerne einsteigen, dieser Frage geht das Esslinger Forschungsteam nach. „Wir werden das von uns entwickelte Fahrzeug aber nicht real auf die Straße bringen, sondern unsere Ergebnisse veröffentlichen, so dass die Industrie darauf aufbauen kann“, erklärt Alexander Müller. Er findet es „faszinierend“, nicht im stillen Kämmerlein ein Fahrzeug zu entwickeln. „Es ist sehr wertvoll, dass das Projekt im Feld stattfindet und dass wir im Reallabor auch Kommunikationsprofis mit dabei haben. Denn bei diesem Projekt steht ja der Nutzer im Mittelpunkt der Fahrzeugentwicklung.“

Ein Bus, in dem sich alle wohlfühlen

Um einen Bus zu konzipieren, der allen Anforderungen gerecht wird, hat das Esslinger Team verschiedene Fahrgastgruppen definiert: Morgens steigen vornehmlich Pendler und Schüler ein, tagsüber seien sowohl Mütter mit Kinderwagen als auch Menschen mit Einkaufskörben, Rollatoren oder Rollstühlen unterwegs. Und am Abend, so die Annahme der Fahrzeugentwickler, würden auch Gruppen in den Bus steigen, die gemeinsam ins Kino oder die Kneipe fahren. „Das Fahrzeug muss demnach so gebaut sein, dass sich sowohl Menschen, die sehr mobil sind, als auch Senioren darin wohlfühlen“, erklärt der Professor.

Noch in der Testphase

So geht es bei der Entwicklung nicht nur um die Karosserie oder den Antrieb des Minibusses. „Wir machen uns auch Gedanken darüber, wie der Innenraum ausgestattet und gestaltet werden soll.“
Ein weiteres wichtiges Thema ist der barrierefreie Ein- und Ausstieg. „Da muss das Fahrzeug auf jeden Fall deutlich besser sein, als das, was bisher auf den Straßen unterwegs ist.“ Weil die kleinen, wendigen Busse, für die die Fahrgäste über eine Smartphone-App ihren Fahrwunsch absetzen können, weder nach festgelegten Fahrplänen verkehren, noch feste Haltestellen ansteuern sollen, „muss man auch diesen Aspekt berücksichtigen und zum Beispiel die Rampe so konzipieren, dass die Fahrgäste ohne menschliche Unterstützung an jedem Ort ein- und aussteigen können“, erläutert Alexander Müller. Denn es ist eher unwahrscheinlich, dass der flexible Kleinbus der Zukunft überhaupt noch von Menschenhand gesteuert wird. Zwar sind autonom fahrende Vehikel noch in der Testphase. „Wir gehen aber davon aus, dass man in wenigen Jahren so weit ist, dass autonome Fahrzeuge eingesetzt werden können“, sagt Stefanie Beyer. Zumal führerlose Gefährte einen weiteren Vorteil haben: „Andere Projekte, bei denen Busse individuell angefordert werden konnten, sind vor allem an den zu hohen Betriebskosten gescheitert“, weiß die Ingenieurin. „Deshalb geht es im Reallabor nicht nur um ein neues Mobilitätskonzept. Wir entwickeln ein vollelektrisch betriebenes, niederflurfähiges Modell, das auch autonom fahren kann.“ Für die Konstruktion des Busses greifen die Entwickler nicht nur auf rechnerunterstützte Programme zurück. Ihre am Computer entwickelten Modelle haben sie an einen 3D-Drucker geschickt. Neben Karosserieteilen und Sitzbänken hat der auch Fahrgäste ausgespuckt. Mit denen können Alexander Müller und Stefanie Beyer ausprobieren, wie sich ein Rollstuhl in den Bus schieben lässt oder wie viel Platz ein Rollator oder Kinderwagen benötigt. „In der dritten Schleife unseres Projekts wird es vielleicht ein 1:1-Modell aus Holz geben, in das man dann auch einsteigen kann“, erzählt der Esslinger Professor.

Erkenntnisse aus der Praxis

Zunächst sind aber wieder die Nutzer am Zug. Seit dem Fahrplanwechsel im vergangenen Dezember sind der hybride ELENA-Bus der Hochschule Esslingen und ein barrierefreier Mercedes-Benz-Minibus im „bedarfsgerechten Linienverkehr“ in Schorndorf unterwegs. „In dieser Testphase können wir genau beobachten, wer wann unterwegs ist und diese Erkenntnisse dann in unsere Entwicklung des Fahrzeugs mit einfließen lassen“, sagt Alexander Müller.