Jürgen Lieven ist Vorsteher des Finanzamtes Esslingen in der Entengrabenstraße. Hier werden jährlich 80 000 Steuerfälle bearbeitet. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Die Belege der Steuerklärung weiter anzuhängen, nervt die zuständigen Beamten eher. Was noch zu beachten ist, erklärt der Leiter des Esslinger Finanzamtes Jürgen Lieven.

EsslingenEs ist wieder soweit: Am 31. Mai läuft auch im Kreis Esslingen die Frist zur Abgabe der Einkommenssteuererklärungen ab. Doch es hat sich in diesem Jahr einiges geändert: So kann der Steuerpflichtige sein Zahlenwerk, wenn er es elektronisch mittels des Elster-Programms verfasst, auch erst bis 31. Juli einreichen. Für den Chef des Esslinger Finanzamts, Jürgen Lieven, hat diese Variante der Steuererklärung beruflich, aber auch privat Vorteile. Denn auch als Finanzbeamter findet er an dem jährlichen Zahlenwerk wenig zu lachen. Das und mehr verrät der 62-Jährige im Interview.

Die Steuererklärung muss bis 31. Mai eingereicht werden. Was passiert, wenn ich sie erst am 1. Juni abgebe - ohne eine Verlängerung der Frist zu beantragen?
Da passiert überhaupt nichts. Ein bis zwei Tage sind unbedeutend, das ist eine geringfügige Fristüberschreitung.

Was passiert bei längerer Überschreitung?
Bei einem allgemeinen Mahnlauf im August wird geprüft, ob die Steuererklärung im Amt ist oder nicht. Wenn sie noch nicht da ist, wird der Bürger zunächst schriftlich auf die Frist hingewiesen. Dann folgt eine Androhung von Zwangsgeld. Wenn die Steuererklärung immer noch nicht abgegeben wird, dann wird ein Zwangsgeld in Höhe von etwa 250 € pro Erklärung festgesetzt. Kommt die Steuererklärung dann immer noch nicht, wird das Finanzamt schätzen und die Steuer festsetzen. Besser ist natürlich im Vorfeld eine Fristverlängerung zu beantragen.

Wie verfassen die Menschen im Kreis Esslingen ihre Steuererklärung am liebsten?
Viele machen sie noch selber. Die, die viele Einkunftsarten und hohe Einkünfte haben, lassen einen Steuerberater ihre Erklärung fertigen. Etwa 60 Prozent nutzen Elster und geben elektronisch ab. Uns ist es natürlich am liebsten, wenn alles elektronisch abgegeben wird, weil wir damit schneller sind. Schon mit dem Einscannen der Papiererklärungen in Karlsruhe können in Hochzeiten ein bis zwei Wochen ins Land gehen.

Man muss keine Belege mehr beifügen. Wenn man es doch tut, wird man gebeten, das zu unterlassen. Warum denn?
Auf der einen Seite wollen wir, dass es der Bürger etwas einfacher hat. Auf der anderen Seite liegt uns an der Verfahrensbeschleunigung. Wir vertrauen auf das, was der Steuerpflichtige erklärt. Neben der Schlüssigkeit prüfen wir, ob die Angaben glaubhaft sind. Ohne Belege sind wir einfach schneller.

Fordern Sie Belege oft nach?

Wir sind darauf angewiesen, das auf Ausnahmefälle zu beschränken. Wir fordern Belege an, wenn Angaben nicht schlüssig sind oder wir Zweifel an der Richtigkeit haben. Uns ist es wichtig, dass im Formular die Angaben konkret beschrieben werden. Nicht nur „Spende 100 Euro“, sondern „Spende ans Deutsche Rote Kreuz“. Um über den Text schon die Schlüssigkeit prüfen zu können.

Ist durch die Digitalisierung die Zahl der Finanzbeamten drastisch gesunken?
Das könnte man meinen, aber das Steuerrecht ist nach wie vor kompliziert. Wir haben nur eine geringe Anzahl von Fällen, die vollautomatisch bearbeitet werden. Dies ist dann der Fall, wenn unser maschinelles Prüfsystem keine Risikohinweise auswirft. Und die Zeit, die wir durch die Automatisierung gewinnen, wollen wir bei der personellen Bearbeitung der schwierigen Fälle nutzen.

Die Steuererklärung auf dem Bierdeckel: Wird der Traum irgendwann Realität?

Das ist ein Wunschdenken. Wir würden uns sicherlich freuen. Aber es bleibt ein Traum. Man versucht ja auch ein gerechtes Steuersystem gesetzgeberisch zu gestalten. Und das ist kompliziert.

Können Ihre Mitarbeiter auch über die abgegebenen Werke lachen?
Ich habe im Haus rumgefragt und es scheint: Eine Steuererklärung abzugeben ist eine ganz nüchterne Sache. Da geht es um Zahlen, Daten und Fakten. Da gibt es eigentlich nichts groß zu lachen.

Das heißt, Sie haben bei der Arbeit nicht viel Spaß?

Doch natürlich Steuerrecht ist interessant und Lachen ist ganz wichtig fürs Klima und die Zufriedenheit. Man findet auch immer eine Gelegenheit, aber nicht bei den Steuerfällen.

Was ist der häufigste Fehler?
Er ist eigentlich banal: Die Unterschrift wird häufig vergessen.

Gibt es viele Steuersünder im Kreis Esslingen? Oder zahlen die Bürger eher mehr als sie müssten?
Beim Finanzamt Esslingen erheben wir die Zahl der Steuersünder nicht, aber ich schätze das ist eher im Promille-Bereich. In der Regel sind die Steuerbürger steuerehrlich. Steuerzahlen fällt aber natürlich schwer. Jeder hat das Recht seine Steuerlast zu minimieren mit Ausgaben, die steuerlich relevant sind. Bei Bürgern ohne steuerliche Beratung kann es schon sein, dass sie entweder keine Erklärung abgeben oder Ausgaben vergessen, die die Steuerlast minimieren. Mein Rat ist, die Anleitung zum Steuererklärungsvordruck sorgfältig zu lesen, weil darin alles beschrieben wird, was steuerlich relevant sein kann.

Freuen Sie sich darauf, Ihre eigene Steuererklärung zu machen?
Also die Freude hält sich in Grenzen. Aber ich hab eine relativ einfache Steuererklärung abzugeben. Ich gebe meine Erklärung authentifiziert, also elektronisch, ab. Insofern sind die digitalen Daten wie Arbeitslohn und Krankenversicherungsbeiträge schnell erklärt.

Haben Sie sie schon gemacht oder geben Sie das immer auf den letzten Drücker ab?
Nein, noch nicht. Ich mach sie nicht ganz auf den letzten Drücker. Aber ich bin von Unterlagen abhängig, die ich erst im August erhalte. Darum beantrage ich Fristverlängerung.

Die Fragen stellte Greta Gramberg.

Zur Person:Jürgen Lieven ist in Esslingen aufgewachsen und studierte Jura in Berlin und Tübingen. Nach dem zweiten Staatsexamen begann er 1985 seine Beamtenlaufbahn beim Finanzamt Göppingen. Nach zahlreichen Stationen im Großraum Stuttgart wurde Lieven 2007 Vorsteher des Finanzamtes Nürtingen und wechselte 2013 an die Spitze des Finanzamts Stuttgart I. Seit Dezember 2016 ist er Chef der Esslinger Behörde. Er lebt in Wendlingen, hat vier Kinder und einen Enkel. Seine eigene Steuererklärung gibt er beim Finanzamt Nürtingen ab, damit seine Mitarbeiter ihn nicht veranlagen müssen.

Steuern und die Behörden

Das Finanzamt Esslingen ist für 14 Städte und Gemeinden zuständig, das Gebiet deckt sich mit dem Altkreis Esslingen. Mit Ausnahme einiger Gemeinden im Filderbereich, für die das Finanzamt Stuttgart III verantwortlich ist. Für die anderen Kommunen im Kreis Esslingen ist das Amt in Nürtingen zuständig. In Esslingen gibt es keine Steuerfahndung. Das Finanzamt Stuttgart II kümmert sich um die strafrechtliche Verfolgung von Steuersündern.

Die Bearbeitung eines Falles kann je nach Komplexität 15 Minuten bis einen ganzen Tag dauern. Der Bescheid kommt oft erst Monate später, abhängig von der Masse der Fälle in den Arbeitsgebieten. Und schließlich dauert es, wenn ein Fall freigegeben ist, auch technisch noch Zeit, bis der Bescheid zentral in Karlsruhe gedruckt und versandt wird. Wenn eine Erklärung in der Hochzeit reinkommt und es eventuell personelle Probleme gibt, kann es bis zum Versand des Belegs Monate dauern. Der Belegschaft ist es darum nicht unrecht, wenn nicht jeder seine Steuererklärung zum Stichtag abgibt. Die Esslinger Behörde hat 320 Mitarbeiter, von ihnen sind 84 für die Prüfung der Steuererklärungen zuständig, jährlich etwa 80 000 Fälle.

Das Steueraufkommen im Zuständigkeitsbereich des Esslinger Amtes lag 2017 bei 1,287 Milliarden Euro (1,235 Milliarden in 2016). Die Einkommenssteuern einschließlich Lohnsteuern machten 730 Millionen Euro aus (692 Millionen 2016).

Für Rück- und Nachzahlungen gibt es keine Zahlen. Finanzamtschef Jürgen Lieven zufolge liegen Rückzahlungen in aller Regel zwischen 200 und 500 Euro, Nachzahlungen sind bei Arbeitnehmern selten.