Die Esslinger Stadtbücherei ist bei vielen sehr beliebt, doch sie muss dringend erweitert und modernisiert werden. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Professorin Sylvia Greiffenhagen, Vorsitzende des Fördervereins der Esslinger Stadtbücherei, erklärt im EZ-Interview: „Der Vergleich beider Standorte war nicht fair.“

EsslingenDer Bürgerentscheid zum künftigen Standort der Esslinger Stadt bücherei rückt näher, die Argumente fliegen hin und her. Der Förderverein der Stadtbücherei hat die beiden Alternativen – eine Modernisierung und Erweiterung des Bebenhäuser Pfleghofs oder ein Neubau an der Küferstraße – detailliert geprüft und festgestellt, dass man in vielen Punkten genauer hinschauen sollte. Die Vorsitzende, Professorin Sylvia Greiffenhagen, gibt ihre Einschätzung der Standorte.

Der Förderverein fordert seit Jahren eine größere und modernere Bücherei. Durch den Bürgerentscheid am 10. Februar hat sich vieles verzögert. Ist das ein Problem?
Eigentlich sollte die Standortentscheidung bereits 2017 fallen, musste damals jedoch verschoben werden, weil noch viel zu viele Fragen offen waren. Unsere Bücherei wartet schon so lange auf eine Erweiterung und Modernisierung – da hat sie die bestmögliche Entscheidung verdient. Die schnellste Lösung ist nicht immer die beste. Wenn der Bürgerentscheid zu einer besseren Bücherei beiträgt und wenn nun die Meinung der Bürger zum Tragen kommt, hat sich die Zeit gelohnt. Bevor die Küferstraße ins Gespräch kam, wurden ein Neubau am Kies und das Gemeindehaus am Blarerplatz diskutiert. Der Förderverein hat als erster auf die Probleme hingewiesen und wurde dafür anfangs von manchen sehr kritisiert. Heute sagen dieselben Leute, dass diese Varianten untauglich gewesen wären. Daran sieht man, wie sinnvoll es ist, genau hinzuschauen.

Der Gemeinderat will mehrheitlich einen Neubau an der Küferstraße, obwohl es zu Denkmalschutz, Brandschutz, Barrierefreiheit und Statik fast nur Vermutungen gibt. Hätte die Stadt die Zeit bis zum Bürgerentscheid zur Klärung nutzen sollen?
Man weiß ja schon länger, wo Klärungsbedarf besteht. Trotzdem hat man es versäumt, all diese Fragen zu klären. Das haben wir immer wieder beklagt. Immer noch läuft man weiter im Nebel. Das gefällt vielen Esslingern nicht. Der Förderverein hat Architekten, Denkmalexperten, Juristen, wirtschaftliche und bibliothekarische Experten um sich geschart und beide Standort-Varianten genau beleuchtet. Entscheidend ist für uns, was das Beste für die Bücherei ist. Allerdings mussten wir feststellen, dass die Beurteilung gar nicht so einfach ist, weil viele Daten und Fakten nicht verlässlich sind. Wir haben in der Sitzungsvorlage 2017 eklatante Fehler entdeckt, und auch in der neuen Vorlage 2018 war der Vergleich beider Standorte nicht fair. Es kann nicht sein, dass man Bürgern das Gefühl gibt, sie würden die Zukunft der Bücherei zerstören, wenn sie sich für den Pfleghof entscheiden.

Die Stadt spricht gerne von denkmalbedingten Risiken, die dazu führen könnten, dass man im Pfleghof nicht so bauen kann, wie man möchte ...
Es ärgert mich zunehmend, dass Denkmalschutz immer nur negativ bewertet wird, als verhindernd und störend. Ich sehe den Denkmalcharakter als Mehrwert – an beiden Standorten. Wenn man historische Strukturen in die neue Bücherei integrieren kann, ist das für unsere Stadtkultur gut. Wenn die Denkmalbehörde nachvollziehbare Einwände erhebt, um ein Denkmal zu erhalten, muss man etwas weniger Fläche hinnehmen. Aber das ist Spekulation, solange die Denkmalbehörde nicht gehört wurde.

Die Stadt argumentiert mit Programmflächen, Nutzungsflächen, Netto-Raumfläche, Brutto-Geschossflächen und vielen anderen Flächentypen. Wissen Sie, welche Variante wie viel Platz bieten wird?
Das ist schwer zu sagen. Auffällig ist, dass die Stadt beim Pfleghof plus Erweiterung um das Nachbargebäude Heugasse 11 eine Brutto-Geschossfläche von maximal 6076 Quadratmetern und beim Neubau von maximal 5459 Quadratmetern angibt. Daraus errechnet man im Rathaus dann jedoch eine mögliche Programmfläche von nur noch 3223 Quadratmetern im Pfleghof und 3696 Quadratmetern im Neubau. Wie die Stadt zu der Einschätzung kommt, dass aus deutlich mehr Brutto-Fläche viel weniger Netto-Fläche wird, hat sich auch unseren Architekten nicht erschlossen. Selbst wenn man annimmt, dass im Pfleghof denkmalbedingt mehr Flächen wegfallen als im Neubau, bleibt bei beiden Standorten gleich viel Fläche übrig: 3300 Quadratmeter. Vielleicht hat der Neubau 80 bis 100 Quadratmeter mehr. Dieser Unterschied rechtfertigt es nicht, den Pfleghof weniger geeignet zu finden.

Die Neubau-Befürworter erklären, dass ihr Standort mögliche Erweiterungsflächen von 329 Quadratmetern biete ...
Diese Flächen sind nur dann erzielbar, wenn man in den historischen Kreuzgang des einstigen Franziskanerklosters reinbaut. Das halte ich städtebaulich für hochproblematisch, weil man dann einen riesigen Gebäudekörper hätte, der viel zu groß wäre für diesen kleinen Innenhof. Und man müsste dafür über den Kreuzgang hinweg bauen, was ich aus denkmalschützerischer Sicht schwierig fände. Für die Bücherei wäre das auch nicht wünschenswert, weil man dafür das Lesecafé im Außenbereich stark beeinträchtigen müsste, das ja immer als großer Vorzug des Neubaustandorts angeführt wird.

Auf all das hat der Förderverein hingewiesen. Sind Ihre Argumente gewürdigt?
Wir konnten nicht damit rechnen, dass unsere sehr detaillierten Einschätzungen von allen in Gänze gelesen werden. Aber wenn man sich die Aussagen der Verwaltung anschaut, hat man unsere Argumente gar nicht zur Kenntnis genommen. Keiner hat unseren Berechnungen widersprochen, und trotzdem stehen die alten Zahlen weiterhin in den Vorlagen. Das ist enttäuschend, wo doch alle erklärt haben, dass sie nur das Beste für die Bücherei wollen. Dann muss man aber auch alle Aspekte bei der Entscheidung berücksichtigen.

In der städtischen Broschüre zum Bürgerentscheid heißt es, dass die Bücherei bei der Entscheidung für den Pfleghof für fünf Jahre in ein Ausweichquartier ziehen muss. Ist das nicht ein starkes Argument?
Diese Zahl verstehe ich nicht. Erst war von zwei Jahren die Rede, dann von drei, jetzt von fünf Jahren Interimszeit. Wenn es dafür überhaupt eine Erklärung gibt, so ist es die folgende: Die Vorlagen der Stadt sind in sich selbst sehr widersprüchlich, wie wir das in unseren Stellungnahmen immer wieder kritisiert hatten. Die aktuelle Vorlage gibt auf unterschiedlichen Seiten und in unterschiedlicher grafischer Form eine Bauzeit von etwa fünf Jahren einmal inklusive Planungszeit an und einmal exklusive, so dass sich daraus keine Interimszeit ablesen lässt. Der für das Interim entscheidende Passus steht unter der Überschrift „Kostengegenüberstellung der Entwürfe“. Dort heißt es eindeutig: „Interimskosten inklusive Betriebskosten für 30 Monate.“ Die neue Zahl von fünf Jahren wirkt natürlich abschreckend. Aber möglicherweise ist genau das gewollt.

Sind Einschränkungen durch den Denkmalschutz nur beim Pfleghof ein Thema?
Denkmalschutz spielt auch beim Neubau eine Rolle: Wir bewegen uns im Bereich des ehemaligen Franziskanerklosters. Mit Bodenfunden ist auf alle Fälle zu rechnen. Es geht aber auch um das Gebäude Kupfergasse 6, bei dem unklar ist, ob es ein Denkmal ist oder bloß dem Ensembleschutz unterliegt. Ich finde, dass man das Gebäude erhalten sollte – selbst wenn das die Barrierefreiheit erschwert, weil ein Höhenversatz unvermeidbar ist. Damit kann man genau wie im Pfleghof leben. Es gibt viele Beispiele, wie das zu lösen ist – etwa beim Neuen Rathaus und dem Dekanatsbau.

Und wie sieht’s mit dem Brandschutz aus?
Brandschutz muss sein – an beiden Standorten. Im Pfleghof ist das etwas komplizierter, aber machbar. Es geht jedoch gar nicht, wenn man erklärt, der Neubau sei besser, weil Brandschutz und Barrierefreiheit dort einfacher wären, und im selben Atemzug sagt man, der Pfleghof werde sicher in öffentlicher Hand bleiben. Auch wenn dort ein Museum vorgesehen wird, müssen voller Brandschutz und volle Barrierefreiheit sein. Deshalb ist es nicht richtig, wenn man sagt, allein der Pfleghof werde dadurch teurer. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Wenn die Stadt den Pfleghof öffentlich nutzt, kommen diese Kosten zu den Neubaukosten hinzu. Das ist allen klar, man sagt’s bloß nicht.

Lässt sich in einem historischen Pfleghof überhaupt eine moderne Bücherei bauen?
Der Pfleghof soll seinen Charakter möglichst erhalten. Das heißt aber nicht, dass man dort nichts Neues schaffen könnte: Der große Bereich hin zur Webergasse, die „Nanz-Halle“, steht nicht unter Denkmalschutz. Dort kann man modern, luftig und funktional neu bauen. Dass man Tradition und Moderne auf ansprechende und für eine zeitgemäße Nutzung sehr geeignete Weise verknüpfen kann, haben andere Städte bereits eindrucksvoll bewiesen. Als Vorteil eines Neubaus an der Küferstraße wird genannt, dass er flexibler sei. Misst man nach, kommt man an der Küferstraße auf maximal zwölf Meter Gebäudebreite, an der Kupfergasse auf 16.

Genügt das, um flexibler zu sein als im Pfleghof?
Grundsätzlich bieten Neubauten mehr Flexibilität. Ein Neubau zwischen Küferstraße und Kupfergasse hat diese Flexibilität aber nur sehr bedingt, weil der Grundriss nicht gut ist. Es würde schmale Flügel geben, in denen vieles nicht oder nur sehr schwer realisiert werden kann – etwa die vom Bibliotheksteam ausdrücklich gewünschte Buchsortieranlage im Eingangsbereich und die räumliche Nachbarschaft von Café und Kinderbücherei. Oder stellen wir uns vor, wie die vielen Arbeitsräume aussehen, die die Bücherei braucht: ein schmaler, langer Flur mit rechts und links Gruppenräumen. Das ist nicht die Großzügigkeit und Luftigkeit, die man uns auf Fotos anderer Büchereien gezeigt hat. Da bietet der Pfleghof viel bessere Möglichkeiten, wenn im Bereich hin zur Webergasse die ganze Halle großzügig und modern neu gebaut werden kann.

OB Zieger hat immer wieder erklärt, dass sich an beiden Standorten eine gute Bücherei realisieren lasse, er sehe aber den Neubau im Vorteil. Im städtischen Prospekt zum Bürgerentscheid lässt er nun jedoch kaum ein gutes Haar am Pfleghof. Was sagt der Förderverein dazu?
Der Neubau hat Vorteile, der Pfleghof aber genauso. Leider fallen die Vorteile des Pfleghofs in der Argumentation der Stadt in der Regel unter den Tisch. Beide Standorte sind nicht optimal und bringen bei weitem nicht die 5000 Quadratmeter, die eine Bücherei in einer Stadt unserer Größe braucht. Aber ich glaube, dass man mit dem Pfleghof sehr gut umgehen könnte. Beim Neubau bin ich nicht ganz so sicher.

Und wie verhält sich der Förderverein, wenn es nach dem Bürgerentscheid doch zu einem Neubau kommen sollte?
Dann werden wir so konstruktiv wie bisher daran mitarbeiten, dass Esslingen die bestmögliche Bücherei bekommt. Die Stadt plant ja nach der Standortentscheidung eine Bürgerbeteiligung. Da wollen wir gerne ein gewichtiges Wort mitreden – nicht nur als eine Stimme unter vielen.

Das Interview führte Alexander Maier.

Zur Person

Sylvia Greiffenhagen ist Politikwissenschaftlerin und Sozialplanerin. Sie war Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Hochschule Nürnberg und hat sich in den Bereichen Sozial- und Kommunalpolitik, Sozialplanung und Gemeinwesenarbeit einen Namen gemacht. Die Esslingerin hat in ihrer Arbeit den Bau mehrerer Bibliotheken begleitet und maßgeblich mit geprägt. Ihre Erfahrung bringt sie nun als Vorsitzende des Fördervereins der Esslinger Stadtbücherei ein.