Halbzeit im Bundestag: Nils Schmid (SPD), Renata Alt (FDP), Markus Grübel (CDU), Matthias Gastel (Grüne) und Moderator, EZ-Chefredakteur Gerd Schneider. Foto: Robin Rudel/Robin Rudel - Robin Rudel/Robin Rudel

Bundestagsabgeordnete Renata Alt (FDP), Matthias Gastel (Grüne), Markus Grübel (CDU) und Nils Schmid (SPD) diskutieren unter der Moderation von EZ-Chefredakteur Gerd Schneider über die Regierung, Versäumnisse der Politik, AKK, die Zukunft der SPD sowie Klima- und Umweltschut.

Esslingen Einen Angeklagten gab es im Amtsgericht Esslingen nicht. Dafür traten im Kaisersaal vier Zeugen auf – Zeugen für die Arbeit der Bundespolitik. Unter der kritisch-charmanten Moderation von EZ-Chefredakteur Gerd Schneider äußerten sich die Bundestagsabgeordneten Renata Alt (FDP), Matthias Gastel („Bündnis 90/Die Grünen“), Markus Grübel (CDU) und Nils Schmid (SPD) zum Thema „Halbzeit im Bundestag“. Nachdem die erste Hälfte der Legislaturperiode geschafft ist, sollten sich die gewählten Volksvertreter kritischen Nachfragen zu verschiedenen Themenbereichen von Moderator und Publikum stellen. Ein Urteil wurde am Ende der Veranstaltung in Amtsgericht nicht gesprochen. Gerd Schneider: „Das Urteil fällt in zwei Jahren bei der nächsten Bundestagswahl.“

Fortbestand der Großen Koalition

Die Große Koalition sei besser als ihr Ruf, meint Markus Grübel: „60 Prozent aller Dinge aus den Koalitionsvereinbarungen haben wir bereits umgesetzt“. Diese Legislaturperiode möchten die beiden Koalitionspartner gemeinsam zu Ende bringen, betont auch Nils Schmid. Das Zusammengehen von CDU und SPD auf Zeit habe sogar den Vorteil, dass in den kommenden wirtschaftlich schwereren Zeiten entschlossen gehandelt werden könne. Die Vertreter der Opposition bewerten das bisherige Abschneiden der Großen Koalition naturgemäß kritischer: Es fehle die Dynamik etwa bei Themen wie Digitalisierung, Breitbandausbau und Wohnungsbau, prangert Renata Alt an. Auch sei versäumt worden, das Land auf die kommende Konjunkturflaute auch mit Blick auf den Erhalt von Arbeitsplätzen vorzubereiten. Und Markus Gastel attestiert der GroKo eine schlechte Bilanz. Auch wegen Verkehrsminister Andreas Scheuer und seiner gescheiterte Maut: „Er hat außer Auto nichts drauf. Wir werden von ihm in einer Tour verarscht“.

Die Zukunft der SPD

Die SPD, so betont Nils Schmid, habe sich im Gegensatz zur FDP nicht aus der Verantwortung geschlichen, sondern sei bei schwierigster Koalitionsbildung in eine Regierung mit der CDU eingetreten: „Die GroKo ist kein Loch, das die SPD in den Abgrund treibt“. Mit Blick auf das „Casting für den Parteivorsitz“, wie Moderator Gerd Schneider es nannte, erklärt der Sozialdemokrat, dass nur sehr wenige der vielen Kandidaten um die Führung der Partei einen Ausstieg aus der Koalition vertreten würden.

AKK und Angela Merkels langer Schatten

Sein Urteil steht fest: „Sie kann auch Kanzlerin.“ Markus Gröbel bricht eine Lanze für Annegret Kramp-Karrenbauer. Die ehemalige saarländische Ministerpräsidentin habe sich in der Landespolitik hervorgetan, führe nun mit dem Verteidigungsministerium eines der schwierigsten Ressorts und habe sich bei der Wahl zur CDU-Vorsitzenden durchgesetzt. Ein paar unglückliche Äußerungen hätten „AKK“ zurückgeworfen, und auch die Reaktionen auf das freche Rezo-Video kamen falsch und verspätet. Zuerst wurde dazu ein Text verfasst, und erst mit langer Verzögerung antwortete die Union mit einem eigenen Video. Die Reaktionen der Jugend und User nach Umfragen unter Schülern, laut Markus Gröbel: 60 Prozent sahen sich das Video an, den Text hatte nur eine Schülerin gelesen.

Ergebnisse des Klimagipfels

Bei der Frage nach den Entscheidungen des Klimagipfels am Freitag, 20. September, hält sich der sonst so Auskunftsfreudige bedeckt: „Warten wir es ab. Es wird etwas herauskommen“, erklärt Markus Grübel. Allerdings werden seinen Angaben zu Folge längerfristig CO2-starke Technologien teurer, CO2-arme Technologien billiger werden.

Erhöhung der Pendlerpauschale

Als ein schlechtes Signal mit Blick auf Klima- und Umweltschutz prangert Matthias Gastel die Erhöhung der Pendlerpauschale an. Sein Kollege Markus Grübel verweist dagegen auf die Menschen auf dem Land, die steuerlich vergünstigt zur Arbeit fahren sollen: „Die Dörfer sollen nicht verelenden“. Die Politik wolle nicht, dass alle Menschen in die Großstädte ziehen, wo die Aufnahmekapazitäten sehr begrenzt seien. Und auch einem SUW-Verbot erteilt der Christdemokrat eine Absage: „Da können wir auch Cabrios verbieten.“

Deutschland als ökologischer Vorreiter

Verzögerungen in der Umsetzung von Klimaschutzzielen wurden von Markus Gastel scharf attackiert: CO2-sparsame Autos müssten im Kaufpreis günstiger sein. Deutschland als hoch entwickelte Industrienation müsse beim Umweltschutz eine Vorreiterrolle einnehmen, um andere Länder zum Nachahmen anzuregen: „Wir können die Welt nicht retten, aber wir können Vorbilder sein.“ Nils Schmid führt dagegen den Ausstieg aus der Braunkohle als einen Erfolg beim Umwelt- und Klimaschutz an: „Das war es wert, die Große Koalition eingegangen zu sein.“ Und Markus Grübel verweist auf das Ende der Atomenergie in Deutschland als weiteren Erfolg.

Deutscher Öko-Alleingang

Kritik am deutschen Alleingang in Klimaschutz und Atomausstieg ohne Absprache mit europäischen Nachbarn übt Renata Alt: Länder wie die Slowakei oder Polen würden sich dadurch übergangen fühlen, und die Bundesrepublik sei nicht der „Weltluftverschmutzer“. Auch die USA und China seien in Belange des Klimaschutzes gefragt, denn es würde beispielsweise 16 Kohlekraftwerke entlang der Seidenstraße geben. Ihr Fazit: „Wir brauchen eine europäisierte Energiepolitik“.

Regenerative Energien

Von einer Flaute bei den regenerativen Energien spricht Markus Gröbel: Zunächst habe eine steife Begeisterungsbrise die Errichtung von Windrädern vorwärtsgetrieben, doch mittlerweile hätten sich auch die Schattenseiten wie der Disco-Effekt und der Geräuschpegel gezeigt. Wegen des Widerstands der Bevölkerung sei in jüngster Vergangenheit kein einziges Windrad mehr in Betrieb gegangen. Er sei daher dafür, einen Abstand von mindestens 1000 Metern zur nächsten Bebauung einzuhalten. Ähnlich verhalte es sich mit den für die CO2-Eindämmung benötigten Stromtrassen: An jedem Ort müsse bei der Etablierung mit Widerstand gerechnet werden.

Automobilindustrie

Eine reine Ausrichtung auf E-Mobilität hält Markus Gröbel für zu einseitig, da diese Fahrzeuge nur für kurze Strecken geeignet wären. Tankstellen würde es im Landkreis am Flughafen und bei Wendlingen geben – und das sei bei der bisher geringen Anzahl von Fahrzeugen auch ausreichend. Mit Blick auf Hybridautos und E-Mobilität attestiert Nils Schmid der Autoindustrie dagegen, eine wichtige Entwicklung verschlafen zu haben. Und sie habe auch wegen der Dieselkrise einen selbst verschuldeten Reputationsverlust erlitten. Auf Veränderungen in der Branche weist Renata Alt hin: Es müssten auch die Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz beachtet werden. Allerdings: „Wir werden in Baden-Württemberg immer einen stabilen Wirtschaftsstandort haben.“

Zukunft der FDP

Die Liberalen drücken sich laut Renata Alt nicht vor der Regierungsverantwortung – schließlich seien sie in vielen Länderparlamenten vertreten. Und die Oppositionsrolle im Bund werde intensiv genutzt: „Wir treiben die Regierung mit unseren Anträgen voran.“ Die Liberalen sind ihren Worten zu Folge aber zu einem Mehr an Regieren bereit: Es werde aber erst einmal abgewartet, was im Dezember bei den Wahlen um den SPD-Vorsitz passiere.