Foto: Bulgrin - Bulgrin

Dass Schüler ihre Lehrer auf einer AfD-Plattform online denunzieren sollen, wird auch aus der Esslinger Lehrerschaft massiv kritisiert.

EsslingenAls Konrad Müller die Gemeinschaftskundestunde für seine Zehntklässler geplant hat, wusste er noch nicht, dass er damit ein potenzieller Kandidat für den digitalen Pädagogen- und Professoren-Pranger der AfD sein könnte. Als er sie in dieser Woche im Esslinger Georgii-Gymnasium gehalten hat, hat er seinen Schülern zu Beginn augenzwinkernd erklärt: „Mein Ziel ist es, dass ich hinterher nicht denunziert werde.“ Es ging in der Stunde um die Frage, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte oder nicht. Um eine kontroverse Auseinandersetzung mit der Fragestellung, um Pro und Contra.

Seit dieser Woche gibt es nach Hamburg auch in Baden-Württemberg eine Plattform, auf der Schüler und Studenten Lehrer und Wissenschaftler anzeigen können, wenn sie angeblich gegen die AfD hetzen. Der Landtagsabgeordnete Stefan Räpple hat sie ins Netz gestellt. Ist Müller allein mit seinem Unterrichtsthema schon ein Kandidat für den Pranger? „Nein, denn der Beutelsbacher Konsens gilt auch für die AfD“, betont der 32-jährige Gemeinschaftskunde-, Geschichts- und Deutschlehrer. Dieser Wertekanon legt die Grundprinzipien für den Politikunterricht fest: Ein Lehrer darf seinen Schülern nicht seine Meinung aufzwingen. Und was in der Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch kontrovers diskutiert werden.

Freie Meinungsbildung als oberstes Ziel

Ziel ist, den Schülern freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Die soll sie letztendlich in die Lage versetzen, sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen. Zuallererst ist der Lehrer aber dazu verpflichtet, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Werte des Grundgesetzes einzutreten, hat die Landeszentrale für politische Bildung den Beutelsbacher Konsens aus aktuellem Anlass erläutert. Lehrer sollten die Schüler im Sinne der Demokratie, Menschenwürde und Gleichberechtigung erziehen – somit sei die geforderte Überparteilichkeit „nicht mit Wertneutralität zu verwechseln“. Lehrer Müller: „Wenn Alexander Gauland sagt, man dürfe stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen sein, dann muss man im Unterricht aber auch fragen, was diese Leistungen denn waren.“ Sein Schulleiter Joachim Scheffzek: „Wenn Björn Höcke zweideutig über das Holocaust-Mahnmal spricht, muss man an der richtigen Stelle auch Flagge zeigen.“ Ist Müller durch die AfD-Kampagne verunsichert? „Nein, aber sie bringt mich zu sprachlicher und inhaltlicher Präzision. Nichtsdestotrotz ist es ungeheuerlich, Schüler anzustiften, ihre Lehrer zu denunzieren.“

Sprachliche und inhaltliche Präzision sind auch Feyza Özdogan (16), Vorsitzende des Esslinger Jugendgemeinderats und Elftklässlerin im Georgii-Gymnasium, wichtig: Man spiele der AfD nur in die Hände, wenn man sie pauschal als „rechtsradikal“ bezeichne, so die persönliche Meinung der erklärten AfD-Gegnerin. Dass man Hetze ins Netz stellt, „geht gar nicht“. Wenn man etwas zu kritisieren habe, solle man mit seiner Schule sprechen. Bis zur neunten Klasse sollten sich die Lehrkräfte ihrer Ansicht nach mit ihrer Meinung zu einem Thema zurückhalten. Aber danach sei es wichtig, sich an den Meinungen anderer reiben zu können.

„Schule hat auch die Aufgabe, zu Zivilcourage zu erziehen“, betont Georgii-Schulleiter Scheffzek. Die hat sich das Esslinger Mörike-Gymnasium ganz explizit auf die Fahne geschrieben. Es ist Mitglied im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Und damit eine der Schulen, die die AfD besonders im Visier hat. Mit der Mitgliedschaft hat sich das Innenstadt-Gymnasium verpflichtet, jedes Jahr eine Aktion durchzuführen – so ließen die Schüler etwa am Internationalen Tag gegen Rassismus 140 bunte Luftballons mit ihren Bekenntnissen in die Luft steigen (Foto). Schulleiterin Gerda Eller: „Die Idee kam aus der Schülerschaft. Und wir stehen dazu. Wenn die AfD damit ein Problem hat, ist das das Problem der AfD.“ Dem Wirbel um das Meldeportal kann sie sogar etwas Positives abgewinnen: „Jetzt weiß ich schon, was ich in der nächsten Gemeinschaftskundestunde mache.“ Die Lehrer hätten ja auch den Auftrag, die Schüler urteils- und handlungsfähig zu machen. Und das „auf dem Boden des Grundgesetzes, ohne dass ich sie nötige“.

Bei Aglaia Handler, der Vorsitzenden des Gesamtelternbeirats, ist jedenfalls noch nie eine Nötigungsklage vorgebracht worden. Dass jetzt in Deutschland wieder denunziert werden könne, findet Handler, die auch im Vorstand des CDU-Stadtverbands sitzt, „unglaublich“. David Warneck, Kreis-Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sieht den AfD-Vorstoß einmal mehr als Einschüchterungskampagne. Er erinnert sich in diesem Zusammenhang auch an die – nach Prüfung niedergeschlagene – Dienstaufsichtsbeschwerde der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ gegen eine Esslinger Professorin, die einen Vortrag zum Thema „Aufstieg der AfD und Möglichkeiten der Kritik“ angekündigt hatte. Er hofft, dass auch die Räpple-Plattform so genutzt wird wie viele das Hamburger Parallelmodell verwenden: für satirische Beiträge, Lehrermeldungen mit Phantasienamen oder bissige Kommentare. Scheint auch geklappt zu haben. Am Freitag hieß es sowohl auf www.mein-lehrer-hetzt.de sowie auf der entsprechenden Professorenseite: „Leider kam es auf dieser Seite zu einem Hackerangriff, sodass viele Funktionen teilweise oder gänzlich nicht mehr auffindbar waren. Die Seite wird aktuell überarbeitet ...“