Oratorien-Verein meistert Leonard Bernsteins „Mass“, das Stück bietet einige Herausforderungen. Foto: Kellmayer - Kellmayer

Der Oratorien-Verein Esslingen hat Leonard Bernsteins „Mass“ aufgeführt – ein logistisches und musikalisches Wagnis.

EsslingenLeonard Bernsteins gewaltige, fast zweistündige „Mass“ aufzuführen ist nicht nur eine künstlerische Herausforderung, sondern auch ein logistisches Wagnis: Bernstein verlangt in seinem 1971 zur Eröffnung des Washingtoner Kennedy Centers geschriebenen „Theater Piece for Singers, Players und Dancers“ nicht nur einen riesigen Chor und ein mit gewaltigem Schlagwerk bestücktes Sinfonieorchester, sondern auch eine Popband, einen Zelebranten, einen Knabenchor und einen mit zehn Solisten besetzten Street-Choir.

Der Oratorien-Verein Esslingen stellte sich beim Abschlusskonzert des „18. Esslinger Forums für junge Solisten“ in der evangelischen Stadtkirche den schwierigen Aufgaben. Und obwohl man aus Platzgründen auf eine szenische Darstellung mit Tanzeinlagen verzichtete, war der Raum vor dem Altar mit Mitwirkenden derart gefüllt, dass sogar einige Bankreihen ausgebaut werden mussten. Doch nicht nur organisatorisch galt es einige Hürden zu meistern, auch musikalisch waren alle Akteure bis an die Grenzen gefordert. Bernstein, der charismatische Ekstatiker, wurde von den politischen Umbrüchen zur Zeit des Vietnam-Krieges getrieben, ein musikalisches Statement in Opposition zum etablierten Amerika zu setzen. Er tat dies in seiner „Mass“ mit einem durchkomponierten Stilmix von der Gregorianik über freitonale und zwölftönige Sequenzen bis hin zur Jazz- und Popmusik, eine – bei allen Gegensätzlichkeiten und Brüchen – in sich stimmige Mischung, die zum irisierenden Klangerlebnis wurde.

Die zentrale Rolle oblag einem Zelebranten, der von der Kanzel herab versuchte, eine Messe zu gestalten – in der Esslinger Aufführung besetzt mit Luca Martin. Wie er stimmlich eine breite Ausdrucksskala durchschritt, dynamisch differenzierte und in der Höhenlage immer wieder seine saubere Falsettstimme einsetzte, machte ihn in seiner Rolle glaubwürdig, insbesondere als er gegen Ende angesichts der ihm von den Street People entgegen geschleuderten Glaubenskritik fast wahnsinnig wurde. Aus dem Ensemble der Street People ragten die strahlenden Sopranpartien von Viktoriia Vitrenko und Lisenka Kirkcaldy, der wunderbar weich timbrierte Alt von Melanie Schlerf und der tenorale Schmelz Manuel Heusers hervor.

Andrew Nolen zeichnete sich bei „What I need I don’t have“ aus und Felix Heller setzte seine musicalerfahrene Stimme immer wieder treffend ein. Für besondere Klangakzente sorgten die von Boris Boehmann gut vorbereiteten Freiburger Domsingknaben mit ihren Solisten Cyril Soergel und Julius Vry. Jörg Dobmeier leuchtete die Partitur in allen Facetten aus, sorgte für eine Aufführung wie aus einem Guss, in die sich auch die vom Band eingespielten Sequenzen nahtlos einfügten. Dem Orchester verlangte er eine breite Palette an Klangfarben ab, vom pittoresken Marsch des Blasorchesters, über die klangschön und präzise gespielten Meditationen bis zu den Begleitpartien zwischen zartem Background und auftrumpfenden Tonwellen.

Auch den Chor des Oratorien-Vereins hatte Dobmeier fest im Griff: Bei „Confiteor“, „Beatam Mariam“ und dem mit dem Knabenchor im Wechsel gesungenen „Exspectat anima“ sorgte er für chorische Homogenität, vokale Spannung und dynamische Flexibilität. Nach einem großen, pathetisch dick aufgetragenen Monolog des Zelebranten, in dem er sich gegen die Glaubenskritik stemmte, endete die bewegende Aufführung der „Mass“ in St. Dionys mit dem choralartigen „Almighty Father, incline thine Ear“ versöhnlich, die Zuhörer tief beeindruckt zurücklassend.