„Jede Stimme zählt“: An der nächsten Europawahl will die 16-jährige Lavinia (vorne rechts) Foto: Bulgrin - Bulgrin

Wählen dürfen sie noch nicht, aber so tun als ob: Im Georgii-Gymnasium simulieren Zehntklässler die Europawahl – eine halbe Woche, bevor es für die Erwachsenen ernst wird.

EsslingenDie Wahlbenachrichtigung und den Personalausweis gezückt, dann in der Kabine – geschützt vor fremden Blicken – das Kreuzchen bei der Wunschpartei gesetzt und abschließend das Votum in die Urne geworfen. Nein, die Europawahl – geplant für den kommenden Sonntag – wurde nicht überraschend vorverlegt. Die Zehntklässler des Georgii-Gymnasiums in Esslingen üben nur schon mal wählen – bevor es in fünf Jahren auch für sie ernst wird. „Juniorwahl“ heißt das Projekt zur politischen Bildung, an dem bundesweit 2760 Schulen teilnehmen. Mit der Aktion will Kumulus, ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, Jugendliche zum Wählen animieren.

„Die nehmen das richtig ernst!“: Simone Bub-Kalb wirkt überrascht angesichts des Enthusiasmusses der vier Gemeinschaftskunde-Klassen. Gemeinsam mit Kollege Konrad Müller hat Lehrerin Bub-Kalb die Wahlaktion an ihrer Schule organisiert. Vorausgegangen ist eine mehrwöchige Unterrichtseinheit zum Thema EU. Einseitig für die Staatengemeinschaft geworben hat Bub-Kalb dabei aber nicht. Stattdessen will sie „Basiswissen vermitteln, damit die Jugendlichen ein Problem und die Vorschläge zu seiner Lösung kritisch bewerten können“. Sicher, die drei EU-Institutionen Kommission, Ministerrat und Parlament müsse sie mit ihren Schülern durchnehmen, ebenso wie den Gesetzgebungsprozess. Das Interesse ihrer Schützlinge gewinne sie aber erst dadurch, dass sie alle gemeinsam die trockene Materie durchspielten anhand eines aktuellen Falls, der die Jugendlichen im Alltag betreffe. „Ich nehme die Schüler ernst“, betont Bub-Kalb. Darum hat sie sich für ein Fallbeispiel entschieden, das den jungen Leuten am Herzen liegt: Umweltschutz, oder genauer Plastikmüll.

Die Aufgabe für die Schüler lautete, in die Rolle der Kommission zu schlüpfen und eine Richtlinie zum Plastikmüll zu entwerfen. Klassenkameraden spielten Lobbyisten wie Verbraucher, Händler, Plastiktütenhersteller und Umwelthilfe. „Es gab kein einheitliches Klassenergebnis“, betont die Lehrerin. „Sondern verschiedene Interessengruppen, die ihre favorisierte Lösung mit entsprechenden Argumenten stützten – wie in der echten Politik.“

Eine weitere Lektion fürs Leben wurde im Unterricht erteilt: Ein Gesetz durchläuft nicht immer alle drei EU-Organe, manchmal wird der Prozess durch Absprachen im kleinen Kreis beschleunigt. Von solch „undemokratischer Hinterzimmerpolitik“ lassen sich Lavinia und Luisa aber nicht abschrecken. „Wir waren überrascht, wie viel Einfluss das EU-Parlament hat“, gestehen die beiden 16-jährigen Mädchen. Gesetze beschließen, Hauhalt genehmigen und den Kommissionspräsidenten wählen – das sei schon beeindruckend. „Darum gehen wir das nächste Mal bestimmt wählen“, versichern die beiden. Nachdem sie jetzt geübt haben.

Das Ergebnis der Juniorwahl wird am Sonntag, 26. Mai, um 18 Uhr bekanntgegeben unter www.juniorwahl.de.

So funktioniert die echte Europawahl

Nationale Wahlgesetze: Vom 23. bis 26. Mai wählen die EU-Bürger zum neunten Mal das Europäische Parlament. Für Deutschland hat die Bundesregierung den Sonntag als Wahltermin bestimmt. Die Abstimmung erfolgt in jedem Mitgliedsstaat nach nationalen Wahlgesetzen. Im Bundesgebiet treten 40 Parteien an. Dabei steht es ihnen frei, ob sie den Bürgern eine Landesliste oder eine Bundesliste anbieten.

Eine Stimme: Jeder Wähler hat eine Stimme, mit der er genau eine Partei wählen kann. In Abhängigkeit von den bundesweit errungenen Stimmenanteilen ziehen die Kandidaten in der Reihenfolge ihrer Listenplätze ins EU-Parlament ein. Dort bestimmen sie die europäische Politik mit bis zur nächsten Wahl in fünf Jahren. Im Wahllokal abstimmen darf nur, wer Wahlbenachrichtigung und Personalausweis mitbringt.