Der Garten der Stille auf dem Friedhof Hegensberg. Solche Bestattungsformen sind zunehmend gefragt. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Neue Bestattungsformen und eine geänderte Lebensweise der Menschen sorgen dafür, dass sich das Bild der Friedhöfe in Esslingen verändert.

EsslingenDas Erscheinungsbild der Friedhöfe bleibt nicht so, wie es ist. Wo sich noch vor wenigen Jahren eine Grabstätte eng an die andere reihte, finden sich heute Lücken und die gelegentliche Eintönigkeit weicht mancherorts einer parkähnlichen Gestaltung. Auch in Esslingen mit seinen neun Friedhöfen ist die Entwicklung deutlich erkennbar. Die Gründe sind vielschichtig, wie Burkhard Nolte weiß, in dessen Zuständigkeitsbereich als Chef des Esslinger Grünflächenamtes auch die Friedhöfe gehören. Demographische Entwicklungen, veränderte oder neue Bestattungsformen und nicht zuletzt auch finanzielle Erwägungen werden auf den Friedhöfen sichtbar. Dass es in Esslingen eingedenk der geburtenstarken Jahrgänge zu Engpässen bei den Grabflächen kommen könnte, erkennt Nolte zumindest mit Blick auf die nächsten 20 Jahre nicht.

Mitunter spielen Einflüsse für Entwicklungen eine Rolle, an die der Laie gar nicht denkt: Das Repräsentationsbedürfnis hat sich geändert, und damit auch das Bestreben, mit einer großen und aufwendig gestalteten Grabstätte die Bedeutung des Verstorbenen zu dokumentieren. Burkhard Nolte beobachtet eine Trendumkehr weg von der teureren Erd- und hin zur preiswerteren Urnenbestattung schon seit 15 bis 20 Jahren. Früher hielt sich das Verhältnis von Erd- zu Urnenbestattungen in etwa die Waage, heute werden in Esslingen gerade noch 28 Prozent der Verstorbenen in einem Sarg beerdigt. Eine mobiler werdende Gesellschaft, in der die Kinder nicht mehr am Ort der Eltern wohnen, Patchworkfamilien und immer mehr Singlehaushalte drängen die klassischen Familiengräber an den Rand. Hinzu kommen eine veränderte Trauerkultur und der Wunsch nach Bestattungsformen, die zumindest heute noch als ungewöhnlich gelten: See- und Friedwald-Bestattung, Almwiesenbestattung in der Schweiz, Ausbringen der Asche während einer Ballonfahrt im Elsass, oder die Asche des Verstorbenen wird zu einem Diamanten gepresst. „Da gibt es einen regelrechten Markt“, weiß Burkhard Nolte – und dieser Markt wächst.

Langer Veränderungsprozess

In Esslingen hat die Friedhofsverwaltung auf die Trends längst reagiert. Baumbestattungen, Urnengemeinschaftsfelder, Kolumbarien sowie pflegefreie Grabarten prägen zunehmend das Bild der Friedhöfe in der Stadt. Und dabei ist es gar nicht so einfach, schnell den geänderten Bedürfnissen gerecht zu werden. Bis sich ein Gräberfeld für Erdbestattungen in eines für Urnen oder andere Bestattungsformen verändert hat, können 50 bis 60 Jahre vergehen. Das hängt vor allem mit den vereinbarten Belegungszeiten für die Gräber zusammen. Und wenn etwa ein Ehepartner stirbt und zusätzlich im Grab des Partners beigesetzt wird, dann verlängert sich die Zeit, in der das Erdgrab vergeben ist.

Esslingen pflegt aus der Historie vieler ehemals selbstständiger Teilorte heraus ein dezentrales Friedhofskonzept. Und weil die neun Esslinger Friedhöfe größtenteils eng umbaut sind, lassen sich Erweiterungsflächen für neue Bestattungsformen nicht so einfach realisieren. Platz gibt es derzeit vor allem in Sulzgries, auf dem Pliensaufriedhof, in Zell und St. Bernhardt. Andere Friedhöfe werden folgen, wenn dort Grabflächen frei werden.

Auch wenn die Zahl der Sterbefälle seit 2006 (740) zunimmt und bis zum Jahr 2030 statistisch auf 1140 Fälle pro Jahr hochgerechnet wird: Das Erscheinungsbild der Esslinger Friedhöfe wird sich weiter verändern. Sie werden grüner, individueller und weniger dicht. Burkhard Nolte erkennt darin keinen Nachteil, sondern eher eine Chance, die Stätten der letzten Ruhe zunehmend als parkähnliche Landschaften zu entwickeln. Immerhin erfüllen die Friedhöfe mit einer Gesamtfläche von rund 25 Hektar auch andere wichtige Funktionen. Auf ihnen stehen mehr als 2000 Bäume, sie bieten Lebensraum für zahlreiche Tierarten, dienen als grüne Lunge in der Innenstadt und in den Stadtteilen und sie werden auch als Erholungsräume von Menschen genutzt, die nach Ruhe suchen. Das gilt vor allem für den Ebershaldenfriedhof mit seinen vielen historischen Gräbern, die allesamt erhalten bleiben.

Dezentrales Konzept ist teuer

Einen Zentralfriedhof, der mit deutlich geringerem Aufwand bewirtschaftet werden kann, wird es in Esslingen wegen der historischen Gegebenheiten und auch aus topografischen Gründen nicht geben. Auch in Stuttgart funktioniert dieses Prinzip nicht, dessen prominentestes Beispiel der Zentralfriedhof in Wien ist. So unterhält die Landeshauptstadt tatsächlich rund 40 Friedhöfe. Das dezentrale Konzept mit mehreren Feierhallen, Hanglagen und schweren Böden schlägt sich auf die Kosten und damit auf die Gebühren nieder, die in Esslingen von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt werden.

Und so räumt Burkhard Nolte ein, dass die Gebühren bezogen auf den südwestdeutschen Raum „ziemlich hoch“ sind. Im regionalen Vergleich bewege sich Esslingen allerdings im Mittelfeld. Doch wo die dezentrale Konzeption dem Preis zum Nachteil gereicht, ergibt sie aus Sicht von Nolte auch Vorteile. Etwa den, dass Hinterbliebene oft nur kurze Wege haben und die Grabstätten ihrer Lieben zu Fuß erreichen können.

Die neun Esslinger Friedhöfe

Ebershaldenfriedhof: Der mit 8,2 Hektar größte Esslinger Friedhof stammt aus dem 19. Jahrhundert und dokumentiert geschichtliche Entwicklungen. Zwischen Einzel- und Familiengräbern aus neuerer Zeit finden sich Grabstätten unbekannter Soldaten, Ehrengräber für Missionare und Gedenkorte für die Toten des deutsch-französischen Krieges 1870/71 und des Ersten und Zweiten Weltkrieges. Ein Mahnmal aus dem Jahr 1947 und ein Grabmal von 2014 geben den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus ein ehrendes Gedenken. 1902 wurde die Feierhalle im Jugendstil eröffnet.

Pliensaufriedhof: Der 6,4 Hektar große Pliensaufriedhof wurde in den 1950er Jahren angelegt und ist mit etwa 4000 Grabstätten der zweitgrößte Friedhof der Stadt. Er bietet neben Reihen- und Wahlgrabstätten auch ein großes Gemeinschaftsgrabfeld und Baumbestattungsplätze. Seit 2004 gibt es ein Urnengemeinschaftsfeld als Rasengrabfläche.

Friedhof Mettingen: Der hügelige, etwa 1,15 Hektar große Friedhof wurde als „Weinbergfriedhof“ im Jahr 1900 angelegt. Neben den 1300 Grabstellen befinden sich auf dem Mettinger Friedhof auch Gräber russischer, polnischer und deutscher Zwangsarbeiter. Ein Ehrenmal erinnert an die Toten des Ersten und Zweiten Weltkrieges.

Friedhof Berkheim: Einer der ältesten Esslinger Friedhöfe ist der in Berkheim. Er wurde an der 1191 erbauten Kirche St. Michaelis angelegt, erste Beisetzungen gab es um 1200. Heute befinden sich 1700 Gräber auf dem 0,9 Hektar großen Friedhof. Ein Denkmal erinnert an die Opfer der beiden Weltkriege. Seit 2017 gibt es eine Urnengemeinschaftsanlage „Garten der Stille“ sowie Baumbestattungen.

Friedhof Hegensberg: Die ersten Bestattungen auf dem Friedhof Hegensberg gab es schon 1890. Er ist 1,2 Hektar groß und beherbergt etwa 1300 Gräber. Der Friedhof bietet neben den traditionellen Bestattungsformen auch eine Urnengemeinschaftsanlage als „Gärten der Stille“. Ein Ehrengrabfeld für Kriegsopfer liegt am Rand des Friedhofs.

Friedhof Oberesslingen: Im Jahr 1850 gab es die ersten Beisetzungen auf dem Friedhof, der heute etwa 2000 Gräber auf 1,11 Hektar Fläche umfasst. Der Friedhof bietet Reihen- und Wahlgrabstätten für Erd- und Urnenbestattungen. Ein Ehrenmal erinnert an die Kriegsopfer.

Friedhof Zell: Vermutlich seit dem Jahr 1280 wird an der Johanneskirche bestattet. Heute gibt es etwa 1000 Gräber auf dem 0,8 Hektar großen Friedhof. Der Friedhof bietet die traditionellen Bestattungsformen, seit 2004 auch eine Urnenwand und seit 2008 ein Urnengemeinschaftsgrabfeld.

Friedhof Sulzgries: Etwa 1600 Gräber befinden sich auf dem 2,1 Hektar großen Friedhof in Sulzgries, der um 1840 angelegt wurde. Neben Grabstätten russischer Zwangsarbeiter gibt es ein Ehrenmal für Kriegsopfer und bereits seit 1967 ein muslimisches Gräberfeld. Neben einem „Garten der Stille“ befindet sich seit dem Jahr 2010 auch ein Kolumbarium auf dem Friedhof.

Friedhof St. Bernhardt: Die ersten Beisetzungen auf dem heute 2,2 Hektar großen Friedhof an der Kirche St. Bernhardt mit 2400 Grabstellen datieren aus dem Jahr 1380. Angeboten werden die traditionellen Bestattungsformen, aber auch eine Urnengemeinschaftsanlage „Garten der Stille“ sowie ein Kolumbarium.