Die Kindheitspädagogen Raphael Petto, Tim Becker, Axel Jansa, Viktor Ponomarenko und Kevin Raisch (von links) sind Mitglieder der Männergruppe und wollen ihren Geschlechtsgenossen Mut machen. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Dass Kindererziehung noch immer vornehmlich Frauen als ihre Aufgabe sehen, zeigt sich im Bereich Kindheitspädagogik der Hochschule Esslingen. Eine Männergruppe will den Geschlechtsgenossen motivieren.

Esslingen Auf dem Arbeitsmarkt haben sie zwar beste Chancen – die Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Bildung und Erziehung in der Kindheit, der an der Hochschule Esslingen angeboten wird. Doch scheinen es noch immer vornehmlich Frauen als ihre Aufgabe zu sehen, Kinder zu erziehen. Denn die Kindheitspädagogik ist nach wie vor weiblich dominiert. Verlor sich zu Beginn des 2006 gegründeten Studiengangs durchschnittlich gerade mal ein halber Mann – natürlich nur rein statistisch gesehen – pro Studienjahr in die Seminare und Vorlesungen, ist die Zahl der Männer in den vier Studien-Jahrgängen inzwischen auf immerhin zwölf angewachsen. Um mehr Studenten zu gewinnen – und vor allem an der Hochschule zu halten –, hat Professor Axel Jansa, übrigens der einzige männliche Professor bei den Kindheitspädagogen, vor vier Jahren eine Männergruppe initiiert und im vergangenen Wintersemester ein Männerseminar angeboten. Seine Bemühungen tragen Früchte: „Eines unserer Hauptprobleme in den ersten Jahren war die hohe Zahl von Studienabbrechern“, erklärt er. „Heute ist die Abbrecherquote bei den Männern nicht höher als bei den Frauen.“ Und das liege nicht zuletzt an den speziellen Angeboten für Studenten.

Gerade wenn man in der Minderheit ist, „braucht man eine Gruppe in der man bestimmte Themen, etwa die Geschlechterrolle, gemeinsam reflektieren kann“, sagt Viktor Ponomarenko. Sein Kommilitone Raphael Petto, der vor dem Studium eine Ausbildung zum Erzieher gemacht hat, ist ebenfalls vom positiven Effekt überzeugt. Dass alle Männer, mit denen er das Studium begonnen hat, noch immer dabei sind, führt er nicht zuletzt auf die Männergruppe zurück. Wenn Studenten wieder hinschmeißen, liege es nicht an den Kommilitoninnen, da sind sich alle einig. „Untereinander gibt es keine Konkurrenz. Denn als Kindheitspädagogen beschäftigen wir uns mit den gleichen Themen wie die Frauen“, erklärt Viktor Ponomarenko.

Einsatz für bessere Bezahlung

Zudem kämpfen alle gemeinsam darum, dass die Arbeit mit Kindern mehr anerkannt wird – gesellschaftlich wie pekuniär. „Die Bezahlung muss sich auf jeden Fall verbessern“, sagt er. Ob Männer sich beruflich im Bereich der Kindheitspädagogik engagieren, sei nicht zuletzt eine Frage des Verdienstes. „Als der Studiengang gegründet wurde, hatte man gehofft, dass er durch die Professionalisierung mehr Männer anzieht“, erläutert Axel Jansa. „Da sich die akademische Ausbildung aber kaum auf die Bezahlung niedergeschlagen hat, hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt.“ Angesichts des Fachkräftemangels sind die Studenten jedoch zuversichtlich. Schon jetzt merke man, „dass Arbeitgeber Fachkräfte mit einer vertieften Ausbildung schätzen, gerade auch, wenn es um heikle Themen geht“, hat Viktor Ponomarenko festgestellt. Dass das Studium in die Tiefe geht, schätzt auch Tim Becker, der bereits ausgebildeter Erzieher ist: „Hier ist der Blick viel weiter gefasst als in der Ausbildung und man kann sich ganz neue Themenfelder erschließen.“

Entscheidet sich ein Mann für den Studiengang, „gibt es im Umfeld aber dann doch oft einen anderen Rechtfertigungsdruck als bei den Frauen“, weiß Axel Jansa aus Gesprächen in der Männergruppe. Das hat Kevin Raisch erlebt, der sich „schon immer gerne mit Mathe beschäftigt hat“ und sich zunächst für ein Maschinenbau-Studium eingeschrieben hatte. Als er aber merkte, dass „diese tote Materie“ doch nichts für ihn ist und zu den Kindheitspädagogen wechselte, fanden die meisten seiner Freunde das zwar gut. „Von älteren Familienmitgliedern habe ich aber weniger Akzeptanz erfahren.“ Die angehenden Kindheitspädagogen haben sich auch mit Klischees beschäftigt, mit denen sie oft während ihrer Praktika konfrontiert werden. Arbeitet ein Mann in der Kita, werde ihm die Rolle des sportlichen, kickenden und handwerklich versierten Erziehers zugedacht. „In der Männergruppe haben wir gemerkt, dass das nicht zutrifft. Denn auch wir haben ganz unterschiedliche Interessen und Stärken. Hier werden wir ermutigt, unsere Fähigkeiten zu entdecken“, sagt Viktor Ponomarenko.

Generalverdacht ein Problem

Ein großes Thema ist der Generalverdacht, mit dem sich Männer in Kinderbetreuungseinrichtungen immer wieder konfrontiert sehen. „Den männlichen pädagogischen Fachkräften wird generell eine Missbrauchsabsicht unterstellt“, berichtet Axel Jansa. „Das war eine der Ursachen für die hohe Abbrecherquote, die wir früher hatten.“ Zu sexuellen Übergriffen komme es zwar auch durch Frauen. „Aber das ist in der Öffentlichkeit nicht präsent, und sie werden nicht von vornherein verdächtigt.“ Natürlich haben sich die angehenden Kindheitspädagogen im Männerseminar auch mit dieser Thematik intensiv beschäftigt. „Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass es in den Einrichtungen nicht die Aufgabe von uns, sondern vom gesamten Team ist, dieses Tabuthema anzupacken und Lösungen zu finden“, sagt Viktor Ponomarenko.

Bildung und Erziehung in der Kindheit

Studiengang: Das Bachelor-Studium an der Hochschule Esslingen dauert sieben Semester und qualifiziert die Studierenden für Tätigkeiten mit Kindern im Alter von null bis zehn Jahren. Mit ihrem Abschluss erwerben die Absolventinnen und Absolventen automatisch die staatliche Anerkennung als Kindheitspädagogen. Inhaltlich hat das Studium zwei Schwerpunkte: Neben der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern beschäftigen sich die Studierenden auch mit den Themenfeldern Sozialmanagement sowie Organisationsgestaltung. Auch die Arbeit mit Eltern sowie die Zusammenarbeit im Gemeinwesen werden während des Studiums behandelt.

Praxisbezug: Die Verzahnung mit der Praxis hat bei den Kindheitspädagogen einen hohen Stellenwert. In den ersten drei Semestern stehen jeweils einwöchige Praktika auf dem Programm. Das vierte Studiensemester, das entweder im In- oder Ausland verbracht werden kann, ist komplett der Praxis gewidmet. Den Kindheitspädagogen steht die Lernwerkstatt offen. Dort arbeiten sie mit didaktischen Materialien aus verschiedenen Bildungsbereichen und pädagogischen Konzepten.

Berufsperspektiven: „Ungefähr die Hälfte der Absolventen des Studiengangs gehen in die Kita und übernehmen dort meistens Leitungsfunktionen “, berichtet Professor Axel Jansa. Etwa ein Viertel der Studierenden entschließt sich zu einem Masterstudium und erwirbt dadurch die Berechtigung zur Promotion. Die übrigen Absolventinnen und Absolventen arbeiten in Ganztagsschulen, der Schulsozialarbeit, Elternberatung sowie Fachberatungen, übernehmen planungs- und fachpolitische Aufgaben oder Tätigkeiten in der Fort- und Weiterbildung.