Der Bahnhof Esslingen: Endstation wider Willen. Foto: Hauenschild

Von Christian Dörmann
Die Stadt Esslingen verfügt über einen großen Erfahrungsschatz im Umgang mit der Deutschen Bahn AG: zähe Verhandlungen über Grundstücksangelegenheiten, immer wieder wechselnde Verhandlungspartner und eine wenig ausgeprägte Neigung, die anstehenden Themen und Veränderungen mit dem nötigen Nachdruck und Tempo zu verfolgen: siehe Weststadt, siehe Bahnhöfe. Dafür hätte die Bahn dann ganz gern eine finanzielle Beteiligung von den Kommunen für die Reparatur maroder Anlagen, auch wenn das nun wirklich nicht die Baustellen der Städte und Gemeinden sind. Wer sich mit Fug und Recht dagegen sperrt, darf gewiss sein, dass sein Projekt erst einmal in der Warteschleife verharrt. Im vorliegenden Fall trägt die Stadt Esslingen zehn Prozent der Kosten dafür, dass die Bahn ihre lange vernachlässigten Anlagen in Ordnung bringt. Mit einem deutlich vernehmbaren Zähneknirschen hat der Gemeinderat diesem „Deal“ seinerzeit zugestimmt.
Und nun die Hiobsbotschaft, dass der Bahnhof während des Weihnachtsmarktes für Behinderte und Eltern mit Kinderwagen zur unüberwindlichen Barriere wird, weil der Aufzug nicht funktionieren wird. Da platzt nicht nur Esslingens Oberbürgermeister Jürgen Zieger der Kragen.

Kummer gewöhnt

Behindertenverbände, Bürger, die örtliche Politik und die Verwaltung sind fassungslos. Wenn während des Mittelalter- und Weihnachtsmarktes von 28. November bis zum 22. Dezember rund eine Million Besucher in der Stadt erwartet werden, heißt es für viele von ihnen schon am Bahnhof: Endstation. Wie gesagt: Die Stadt ist im Umgang mit der Bahn Kummer gewöhnt und bislang hat sich Oberbürgermeister Jürgen Zieger trotz aller Differenzen immer um einen moderaten Ton bemüht – im Sinne der Sache. Jetzt aber verzichtet er in einem Brief an Richard Lutz, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG in Berlin, auf verbindliche Floskeln. Vielmehr fordert er Lutz und seine zuständigen Mitarbeiter „dringend“ auf, die wegen technischer Schwierigkeiten angekündigte Unterbrechung der Bauarbeiten im Bahnhof so schnell wie möglich zu beenden, „damit dann auch so schnell wie möglich die dringend erforderlichen neuen Fahrstühle Realität werden können“.
„Die Projektbetreuung und Abwicklung des Verantwortlichen bei der Bahn AG ist völlig inakzeptabel und einer Öffentlichkeit und auch den Gremien der Stadt Esslingen nicht mehr vermittelbar“, findet der OB deutliche Worte an die Adresse von Bahnchef Lutz. Und: „Zugleich erwarte ich, seitens der Bahn alles zu unternehmen, um diese Beeinträchtigungen und das weitere Vorgehen der Bahn AG bei den Reparaturarbeiten mit einer aktiven und wirkungsvollen Kommunikation zu begleiten.“ Die Betroffenen rechtzeitig und umfassend informieren, heißt das im Klartext. Aber warum soll das an einem Brennpunkt funktionieren, wenn es schon im alltäglichen Bahnverkehr nur unzureichend klappt.
Was sich der OB überhaupt nicht anziehen will, ist den Schuh, wonach natürlich mal wieder die Stadt die Schuld an der Misere trägt. Vielmehr ist der Stillstand am Bahnhof zur verkehrsreichsten Zeit des Jahres aus Ziegers Sicht ein kontraproduktives Signal für die Bemühungen von Verwaltung und Gemeinderat, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. Neuer Omnibusbahnhof, Klimaschutzkonzept, Elektro-Hybridbusse, weitere Projekte für einen insgesamt zweistelligen Millionenbetrag – und natürlich der städtische Finanzierungsanteil an den derzeit unterbrochenen Renovierungs- und Sanierungsarbeiten im Bahnhof: All das wird nun überschattet von der Tatsache, dass die Bahnhofsunterführung für viele Personen eine unüberbrückbare Barriere darstellt. „Dies sehe ich auch im Blick auf Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen als Schlechtleistung“, wettert der OB.
Ob gute Argumente etwas am schlechten Auftritt der Bahn ändern? Halten wir es doch mit einem Werbespruch des Unternehmens, mit dem es ihre Kunden in den Zug lockt: „Endlich Zeit für Kreativität“. Für die Bahn: höchste Zeit.