Vor der Tafel in Essen warten derzeit nur Deutsche. Ein Unding, finden die Tafelbetreiber in Baden-Württemberg. Foto: dpa - dpa

Wer darf bei der Tafel einkaufen? Darüber ist ein Streit ausgebrochen. Einen Neukundenstopp für Ausländer wie in Essen lehnt man in Esslingen ab.

EsslingenDick in Schal, Mütze und Handschuhe eingepackt, bibbern rund 50 Kunden der Essener Tafel vor dem alten Wasserturm im Stadtteil Steele. Im Schlepptau haben sie ihre bunten Einkaufstrolleys. Die ersten sind seit 9 Uhr vor Ort. Immer mal wieder quetscht sich ein Lieferwagen an der Menge vorbei. An Bord: Lebensmittelspenden, unter anderem von Supermärkten. Die Menschen warten geduldig auf die Essensausgabe. Ausländisch aussehende Menschen sind am Freitagmittag nicht darunter.

Tags zuvor war bekannt geworden, dass der Vorstand der Tafel in Essen beschlossen hat, vorübergehend keine Ausländer mehr als Neukunden anzunehmen. Damit reagierte die Hilfsorganisation nach Angaben des ersten Vorsitzenden Jörg Sartor auf einen Migrantenanteil von mehr als 75 Prozent. Gerade die älteren Nutzerinnen sowie alleinerziehende Mütter hätten sich von den vielen fremdsprachigen jungen Männern in der Warteschlange abgeschreckt gefühlt, sagte Sartor. Bei denen habe er teilweise auch „mangelnden Respekt gegenüber Frauen“ beobachtet. In Essen gebe es 100 000 Menschen, die die Tafel in Anspruch nehmen dürften. „Davon sind aber nicht 75 Prozent Ausländer“, erklärte Sartor. „Wir wollen nur eins: Die Lebensmittel gerecht an alle gleichmäßig verteilen.“

Seine Entscheidung sorgte bundesweit für Aufregung. Die Kunden der Tafel und auch deren Mitarbeiter befürworten hingegen die viel kritisierte Maßnahme. „Es sind meistens Ausländer, die sich respektlos gegenüber Mitarbeitern oder anderen Kunden verhalten“, sagte beispielsweise eine 60-Jährige, die in der Schlange für die Lebensmittel ansteht. „Solche Leute haben bei der Tafel nichts verloren.“ Sie könne verstehen, dass Kunden aus Angst oder Unwohlsein wegblieben.

Und Gudrun Haarmann sagte, Deutsche würden nicht mehr so viel Essen bekommen, seitdem mehr ausländische Großfamilien zur Tafel kämen. Zudem würden die Ausländer häufig ausfallend werden, schubsen, pöbeln und sich vordrängeln, sagte die 54-jährige Kundin. Ein 73 Jahre alter Rentner findet die neue Regelung ebenfalls „berechtigt“. Ihm sei aufgefallen, dass Ausländer teilweise mehr Waren mit nach Hause nähmen als erlaubt. „Sie denken, dass sie einen Anspruch auf das Essen haben“, erklärte er.

Auch wenn die umstrittene Maßnahme einen anderen Eindruck vermittelt – den Vorwurf der Diskriminierung wollen die direkt Betroffenen bei der Tafel nicht gelten lassen. Mitarbeiterin Rita Nebel beobachtete, dass „Rentner durch junge ausländische Männer eingeschüchtert“ seien. Deutsche Bedürftige sollten durch die Maßnahme die Möglichkeit haben, weiter zur Tafel zu kommen.

„In unseren Augen war der Weg zu uns nicht mehr für alle Menschen offen“, ergänzte Sartor. Ausländerfeindlich sei die Essener Tafel aber nicht. „Es kommen immer noch 4000 Menschen in der Woche, die einen Migrantenhintergrund haben und von uns Lebensmittel kriegen.“

In Baden-Württemberg herrscht über das Vorgehen in Essen Entsetzen. „Ich bin empört. Was dort getan wird, widerspricht vollkommen dem eigentlich Sinn der Tafel“, sagte Barbara Zaremba-Meyer, die Leiterin der Esslinger Tafel CARIsatt. In Esslingen sei es egal, ob ein Kunde aus Syrien, Afghanistan oder Deutschland stamme. „Wer bedürftig ist, wird bedient. Dafür sind wir da. Das ist unsere Aufgabe. Ich kann nur ganz entschieden sagen, dass ich die Entscheidung, die in Essen getroffen wurde, unfair und falsch finde“, erklärte Zaremba-Meyer.

Von den Tafeln in Nürtingen und Göppingen wisse sie, dass der Anteil an Migranten ebenfalls hoch sei. Das sei aber kein Problem. Genau wie in Esslingen würde dort niemals jemand auf die Idee kommen, diese Menschen auszuschließen, sagte Zaremba-Meyer „Die einzige Schwierigkeit, die wir haben, ist die Tatsache, dass es im Verhältnis zur Nachfrage zu wenig Ware gibt. Sollte man deshalb aber die Warenausgabe nur auf Deutsche beschränken? Ganz sicher nicht.“

In Stuttgart sieht man die Situation ähnlich. Am Freitagmorgen klingelte bei Monika Borchwald, die die Mitarbeiter bei der Feuerbacher Tafel anleitet, das Telefon. Der Grund: Nach der Berichterstattung über Essen wollte sich ein Mann bei Borchwald persönlich beschweren. Er habe vor der Tafel in Feuerbach beobachtet, wie ein Mann seinen Sprinter mit Kisten beladen und in einem Kebab-Laden wieder entladen hat. „Wir haben keine solchen Vorkommnisse in der Tafel“, sagte Borchwald. Die Kunden der Tafel – Träger ist das Behindertenzentrum mit Werkstatt – sind alle bedürftig, sie leben von einer kleinen Rente, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder der Grundsicherung. „Jeder, der vor unserer Tür wartet, darf bei uns einkaufen“, sagte sie. Und der technische Werkstattleiter Michael Langer ergänzte: „Eine Unterscheidung nach Nationalität kennen wir bei uns nicht.“

Auch Edgar Heimerdinger, Vorstandsvorsitzender der Schwäbischen Tafel, kann die Essener Vorgehensweise nicht nachvollziehen: „Nach Tafelleitlinien ist das undenkbar.“ Man helfe Bedürftigen – Nationalität, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit spielen dabei keine Rolle. „Das, was wir haben, wird geteilt.“ Natürlich sei der Migrantenanteil unter den Kunden hoch, auf etwa zwei Drittel schätzt er ihn in Stuttgart. Das sei schon immer so gewesen, das beziehe sich nicht nur auf Geflüchtete. Auch Vorwürfe, manche Migranten würden mit dem Mercedes vorfahren und großzügig einladen, gebe es gelegentlich.

Vier Einrichtungen in Stuttgart und Fellbach gehören zur Schwäbischen Tafel dazu. Man habe etwa 2000 Kunden im Jahr, Beschwerden kämen vielleicht von zwei oder drei. „Solche Hasstiraden haben selten etwas mit Tatsachen zu tun“, ist seine Erfahrung. Der Grund für den Neid? Tafelläden sind keine Vollsortimenter. „Manche Dinge gibt es nicht oder nur portioniert.“

Auch der Vorsitzende des Dachverbandes Tafel Deutschland, Jochen Brühl, betont, man verteile nach Bedürftigkeit und nicht nach Herkunft. Aber er kritisiert auch die Politik: „Wir erwarten von einer neuen Regierung, dass sie sich mit den drängendsten Problemen des Landes befasst und nachhaltige Lösungen für die Ärmsten findet.“