Quelle: Unbekannt

Im April hat das erste Schlaflabor im Landkreis im Esslinger Klinikum eröffnet. EZ-Redakteurin Melanie Braun hat in einem Selbstversuch dort übernachtet.

Esslingen Ich bin müde. Todmüde. Trotzdem fürchte ich, dass ich heute Nacht kein Auge zutun werde. Denn ich werde zig Kabel und Elektroden an meinem Körper tragen. Außerdem werde ich beobachtet. Ich bin im Schlaflabor des Esslinger Klinikums, das im April als erstes seiner Art im Landkreis eröffnet wurde. Ich will wissen, wie es ist, hier zu schlafen, wie man hier arbeitet – und natürlich, wie mein Schlaf bewertet wird.

Heute Morgen bin ich extra um halb fünf aufgestanden, damit ich heute Abend richtig schön müde bin. Das hat mir Vera Wienhausen-Wilke geraten, die als Schlafmedizinerin das Schlaflabor leitet. Denn in der ungewohnten Umgebung und angesichts der Verkabelung könne es sonst gut sein, dass man die halbe Nacht wach liegt, sagt sie. Na toll. Ich hoffe, dass ich es irgendwie schaffe, wegzudämmern. Bei den meisten komme der Schlaf irgendwann, hat Wienhausen-Wilke gesagt.

Das ist auch gut so. Denn hierher kommen Leute, die ernste Schlafprobleme haben und wissen wollen, woran das liegt. Denn Schlafmangel kann schwerwiegende Folgen haben, etwa Depressionen, ein gesteigertes Unfallrisiko oder Herz- und Kreislauferkrankungen. „Man braucht einen guten Schlaf, um mit beiden Beinen im Leben zu stehen“, sagt Wienhausen-Wilke. So werde im Tiefschlaf das Immunsystem hochgeschaltet, Krebszellen würden erkannt und vernichtet und Grundlagen für die Lösung komplexer Probleme gelegt: „Personen, bei denen der Tiefschlaf gestört wird, sind zum Beispiel nicht mehr so gut im Lösen mathematischer Probleme.“

Aber auch die weniger tiefen Schlafphasen, etwa die sogenannten REM-Phasen (Rapid Eye Movement, dt: schnelle Augenbewegungen), in denen man viel träumt, seien sehr wichtig. Dabei werde Erlebtes, vor allem emotionaler Natur, verarbeitet, so Wienhausen-Wilke. In der Regel schlafe man zunächst sehr tief, der leichtere Schlaf komme eher gegen Morgen. Allerdings werde man etwa vier Mal pro Stunde wach: „Das kommt noch aus der Steinzeit. Damals musste man gucken, ob der Säbelzahntiger kommt – schließlich ist man im Schlaf gelähmt.“ Für gewöhnlich bekomme man von diesen kurzen Schlafpausen nichts bewusst mit. „Aber wenn man an ein Problem denkt und einen gewissen Zeitraum überschreitet, geht der Körper über in den Fluchtmodus.“ Im Schnitt dauere es dann 90 Minuten, bis man wieder einschlafe: „Die Zeit gibt einem der Körper, um das Problem zu lösen.“

Ich hoffe, dass sich weder ein Säbelzahntiger noch ein anderes Problem zwischen mich und meinen Schlaf stellt. Bislang deutet nichts darauf hin. Der Raum ist kahl, funktional eingerichtet und nicht sehr groß. Er sieht aus wie ein etwas klein geratenes Krankenzimmer: Ein frisch bezogenes Bett, noch mit Plastikfolie bedeckt, ein Nachttisch mit einer Flasche Sprudel, ein Einbauschrank – alles in Weiß und Hellgrau. Ganz gewöhnlich ist der Raum jedoch nicht: Er ist nur mit einer grauen Faltwand abgetrennt. Dieses Zimmer gibt es nur nachts. Tagsüber wird es zur ambulanten Behandlung von Patienten der Kardiologie genutzt – ebenso wie die drei anderen Zimmer des Schlaflabors.

Es ist etwa 20.30 Uhr. Zeit, den Pyjama anzuziehen. Denn bald soll Victoria Thauerer kommen, eine der medizinischen Kräfte, die die Patienten im Schlaflabor heute Nacht überwachen. Kameras werden die vier Schlaflaborpatienten filmen und die Bilder live in einen Nebenraum übertragen. Dort sitzen dann Thauerer und ihre Kollegen vor Monitoren – sie beobachten den Schlaf und greifen ein, wenn es nötig ist. Bei mir zum Beispiel. Aber dazu später mehr.

Victoria Thauerer ist eine Frohnatur. Beschwingt betritt sie das Zimmer, die Begrüßung fällt überaus herzlich aus. Dann macht sich die Nachtschwester an die Arbeit. Es gilt, rund 20 Elektroden und Kabel an mir zu befestigen – und diese in einer Buchse einzustöpseln, die mit Bändern um Bauch und Schultern befestigt wird. Die Buchse wird später die Daten per Bluetooth zu einem Hotspot senden, von dort aus werden sie über WLAN zu den Monitoren der medizinischen Überwacher geschickt. Doch zunächst gilt es, die Kabel so zu befestigen, dass sie die Daten auch gut übertragen können.

Geduldig erklärt Victoria Thauerer, wozu die Elektroden dienen, die sie mir auf den ganzen Körper klebt. Die meisten kommen ins Gesicht: Jeweils ein rundes Plättchen wird neben ein Auge geklebt, damit sollen die Augenbewegungen während des Schlafs erfasst werden. An Mund und Kiefer wird ermittelt, ob ich in der Nacht mit den Zähnen knirsche, ein Mini-Mikrofon am Hals kann Schnarchgeräusche aufzeichnen. Die Elektroden an den Beinen messen, ob es Hinweise auf das sogenannte Restless-Legs-Syndrom (Unruhige Beine) gibt, am Brustkorb wird die Herzaktivität erfasst, eine Klemme am Finger ermittelt Blutdruck und Sauerstoffsättigung. Über Gurte an Bauch und Brust wird zudem festgestellt, ob ich mehr in die eine oder die andere Körperregion atme.

Am kompliziertesten aber ist die Erfassung der Hirnströme. Dafür muss Thauerer meinen Kopf ausmessen. Mit einem dicken grünen Filzstift kennzeichnet sie verschiedene Areale. Dann werden kleine runde Elektroden mit einer zementähnlichen Paste auf der Kopfhaut befestigt – nicht gerade ein angenehmes Gefühl und nichts für Menschen, die Wert auf ihre Frisur legen. Mir ist die heute egal.

Ich bin jetzt komplett verkabelt und fühle mich, als trüge ich einen Sprengstoffgürtel. So sehe ich auch aus. „Sie dürfen sich ganz frei bewegen“, sagt Thauerer. Sehr witzig. Mit steifen Beinen stakse ich ins Bad. Ich will vermeiden, dass sich eine der sorgfältig platzierten Elektroden löst. Zum Glück klappt das: Die Konstruktion hält. Zurück im Bett ist mir überhaupt nicht nach schlafen. Wienhausen-Wilke hat gesagt, man solle sich keinen Druck machen beim Einschlafen. „Man sollte sich nicht ins Bett legen, um zu schlafen, sondern um zu entspannen“, ist ihr Tipp. Der Schlaf komme von ganz allein. Da bin ich gespannt.

Vorerst lese ich Zeitung. Eine Stunde vergeht. Und eine weitere Viertelstunde. Tatsächlich merke ich jetzt, wie meine Augen schwer werden. Ich lösche das Licht und dämmere weg, obwohl ich mich wegen der Verkabelung immer noch kaum traue, mich zu bewegen. Plötzlich werde ich jäh aus dem Schlaf gerissen: Die Tür geht auf, das Licht an, Victoria Thauerer stürzt auf mich zu. Eine Elektrode am Kopf hat sich gelöst. Sie versucht, sie wieder an der Zementpaste zu fixieren, bekomme ich im Halbschlaf mit. Offenbar klappt das. Ich schlummere wieder ein. Dann wiederholt sich die Szene: Ein Pfleger eilt herbei und friemelt mir am Kopf herum.

Das muss der moderne Säbelzahntiger sein: Die Nacht ist für mich vorbei, ich finde nicht mehr in den Schlaf. Vera Wienhausen-Wilke wird später sagen, dass sie das nicht wundert: „Das ist der First-Night-Effekt: In ungewohnten Umgebungen kann man oft zwischen 2 und 3 Uhr nachts nicht mehr richtig einschlafen.“ Ich döse jetzt nur noch vor mich hin, ab und zu schrecke ich hoch, weil ich hoffe, dass jemand kommt, um mich von den Kabeln zu befreien. Gegen 5.30 Uhr ist es endlich soweit: Ein Pfleger löst die Elektroden. Er findet, dass meine Nacht gar nicht so schlecht war: Ich hätte doch viel und ruhig geschlafen.

Das sagt auch Vera Wienhausen-Wilke später am Tag: „Ich habe wunderschöne Schlafkurven von Ihnen.“ Sie seien geradezu idealtypisch. Den Eindruck hatte ich nicht gerade, eine gute Nacht fühlt sich irgendwie anders an. Aber die Ärztin lässt sich nicht beirren: Der Schlaf sei zwar kurz, aber effektiv gewesen. Atempausen seien nicht bemerkt worden, beruhigenderweise auch kein Schnarchen. Und auch alle anderen Messwerte seien völlig im Rahmen. Ich bin überrascht, aber sehr zufrieden – und müde. Todmüde. Zum Glück kann ich heute Nacht in meinem eigenen Bett schlafen. Ganz ohne Säbelzahntiger.

Weg ins Schlaflabor

Überweisung: Wer seinen Schlaf im Schlaflabor testen lassen will, kann sich nicht einfach dort anmelden. Man braucht dafür eine Überweisung, und zwar von einem Schlafmediziner. Doch auch mit einer solchen ist nicht mit einem Termin von heute auf morgen zu rechnen. Denn die Einrichtung am Esslinger Klinikum ist die einzige dieser Art im Landkreis und eine der wenigen in der Region. Derzeit beträgt die Wartezeit mehrere Monate: Bis Februar 2019 ist das Schlaflabor bereits komplett ausgebucht. Nur, wer schwere Erkrankungen hat oder wegen Sicherheitsbedenken aufgrund von Schlafstörungen krank geschrieben werden müsste (etwa Lastwagen- oder Busfahrer) kann mit einem früheren Termin rechnen.

Vorbereitung: Wer eine Nacht im Schlaflabor verbringt, wird gründlich darauf vorbereitet. Bei einem Vorab-Termin im Klinikum werden sehr detailliert Schlafgewohnheiten und Vorerkrankungen abgefragt. Zudem wird man angehalten, am Abend möglichst müde zu kommen und im Vorfeld keine Cremes oder Lotionen zu nutzen, weil sonst die Elektroden nicht kleben.

Schlaftipps: Wer Schlafprobleme hat, sollte sich laut Schlafmedizinerin Vera Wienhausen-Wilke einige Tipps zu Herzen nehmen. So sollte man eine halbe Stunde vor dem Einschlafen nicht mehr fernsehen oder aufs Smartphone schauen: „Das blaue Licht verhindert die Bildung des Einschlafhormons Melatonin.“ Das Smartphone habe generell nichts im Schlafzimmer zu suchen: So könnten etwa viele Jugendliche in Erwartung möglicher Nachrichten nicht gut abschalten. Das könne den Grundstein legen für spätere Schlafstörung. Im Schlafzimmer sollte es zudem ruhig und dunkel sein, damit man gut zur Ruhe kommen kann. Wer nachts aufwacht, solle sich keinen Druck machen, wieder einschlafen zu müssen. Lieber solle man kurz aufstehen und sich ablenken. „Man sollte sich aber nicht belohnen, sondern etwas tun, was man nicht mag – bügeln oder etwas Langweiliges lesen“, sagt Wienhausen-Wilke. Wer wegen Atemaussetzern oder Schnarchen keinen erholsamen Schlaf hat, dem könne eventuell eine Atemmaske helfen.