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„Das Spannende an Glas ist, dass man nicht nur eine Dimension hat, sondern immer mehrere Schichten.“ „Umso schöner ein Medium ist, desto zurückhaltender und strenger muss man damit umgehen.“ Heimat ist für mich ... wenn ich unter Machern bin und die Offenheit der Menschen spüre. Bernhard Huber Glasmalkünstler

Von Nicole Spiegelburg

In schnellen Schwüngen zieht Bernhard Huber den breiten Pinsel über die lange Glasplatte. Sie ist so groß, dass sie den gesamten Leuchttisch einnimmt. Scharf zeichnen sich die einzelnen Pinselstriche vor dem beleuchteten Hintergrund ab. Kritisch kneift der Künstler ein Auge zusammen und mischt die Farbe dann nochmals neu ab. „Ich bin ein Perfektionist und ein Pedant“, lacht Bernhard Huber. Das muss er auch sein, arbeitet er doch mit einem der filigransten Werkstoffe: Sein Metier und Material ist Glas, genauer gesagt Industrieglas. Damit gestaltet er zum Beispiel Kirchenfenster, wie aktuell für die Kapelle der Justizvollzugsanstalt in Stuttgart-Stammheim. Mit traditioneller Kirchenfenstermalerei haben die Arbeiten von Bernhard Huber allerdings nicht mehr viel zu tun. Die alte Technik der Bleiverglasung mit ihren typischen, durch schwarze Bleistege farblich voneinander getrennten Glasstücken empfand er schon während seines Studiums der Malerei und Glasgestaltung an der Kunstakademie Stuttgart als „Gefängnis“. Stattdessen experimentierte der Glasmalkünstler bereits in den 90er-Jahren mit Schmelzfarben auf Floatglas. Bei diesem Verfahren werden die Farben direkt auf die in kilometerlangen Industriestraßen produzierten Glasplatten aufgetragen und anschließend in großen Werksöfen bei 600 bis 700 Grad eingebrannt. Damit entdeckte Huber nicht nur eine neue Technik für die Glasmalerei, sondern vor allem neue künstlerische Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten für seine Kunst. Viele davon zeigen sich bereits in seinen frühen Arbeiten - großformatige abstrakte Glasgemälde in leuchtend klaren Farben und mit strenger Gestaltung. Für den Betrachter, der vor ihnen steht, erscheinen die glatten Glasoberflächen je nach Lichteinfall und Standpunkt mal durchscheinend transparent, mal düster-verschattend; und entsprechend spiegelt sich der umgebende Raum darin oder wird komplett geschluckt. „Das Spannende an Glas ist, dass man nicht nur eine Dimension hat, sondern immer mehrere Schichten“, schwärmt Bernhard Huber.

Um diese unterschiedlichen Schichten freizulegen, hat der Glasmalkünstler vor allem viel experimentiert. Sein Arbeitsplatz in der Esslinger Pliensauvorstadt gleicht denn auch eher einer Werkstatt als einem Atelier. In der Mitte machen sich vier große, fahrbare Leuchttische breit, die Bernhard Huber zu einer riesigen, begehbaren Arbeitsfläche zusammenschieben kann. Weiter hinten drehen sich Gurkengläser auf schwarzen Rollen, in denen er seine Farbpigmente abmischt. Neben Dachshaarpinseln in unterschiedlicher Dicke und Breite hängen Autoscheibenwischer, Spritzpistole und ein Drucklufttrocknungsgerät. All diese Utensilien kommen zum Einsatz, wenn der Künstler am Werk ist. Doch bei der Technik, mit der er die Schmelzfarben auf die Floatglasscheiben aufträgt - ob mit dem Pinsel, im Siebdruckverfahren oder mit der Spritzpistole - enden seine Experimente noch lange nicht. Damit hinterher das Farbergebnis stimmt, macht Bernhard Huber auch Farbproben im eigenen Brennofen und versucht dabei, die gleichen Brandbedingungen wie im großen Werkofen zu simulieren. So schiebt er beispielsweise die Platten nur kurz hinein, um sie gleich darauf wieder herauszunehmen, oder lässt auch mal die Tür einen Spalt offenstehen. Inzwischen hat er einiges an Erfahrungen und Temperaturkurven gesammelt und weiß, dass manche Farben schon ab 500 Grad zu schmelzen beginnen, während andere einen höheren Schmelzpunkt von 600 oder 700 Grad Celsius haben. Und auch diese Erfahrung hat er in seinen Farbexperimenten auf Floatglas gemacht: Farben reagieren unterschiedlich, je nachdem, ob er sie auf die Innen- oder Außenseite von Isolierglas aufträgt. Der Grund ist chemischer Natur, denn Industrieglas hat herstellungsbedingt immer zwei Seiten: eine Zinnseite, die im Herstellungsprozess direkt auf dem heißen Zinnbad schwimmt, und die oben liegende Luftseite. Trifft etwa ein Silbergelb auf die Zinnseite reagieren seine Metalle mit den Zinnionen, und es entsteht ein Braunton. Mit seinen Experimenten hat sich Schritt für Schritt auch der Charakter seiner Kunst verändert. „Ich war früher vielleicht etwas malerischer, die neueren Arbeiten sind ein bisschen konstruktiver“, formuliert es Bernhard Huber zurückhaltend - nicht aus falscher Bescheidenheit, sondern eher aus der Angst des Künstlers heraus, auf eine bestimmte Kunstrichtung hin festgelegt zu werden. Tatsächlich sprengen seine aktuellen Glas-Licht-Installationen den klassischen Begriff der Glasmalerei und überschreiten konsequent die künstlerischen Grenzen von Malerei, Bildhauerei und Architektur. Wer eines seiner aktuellen Projekte kennenlernen will, muss beispielsweise nach Bretten bei Karlsruhe gehen. Dort, auf dem ovalförmigen Platz vor der Jugendmusikschule, ragen zwei elf Meter hohe Glastürme in den Himmel. In die innen wie außen mit unzähligen farbigen Linien bedruckten Glasstelen hat Bernhard Huber sein gesammeltes Wissen aus den Farbexperimenten einfließen lassen. Da die Farben immer gegenläufig zueinander gesetzt sind, überlappen sie sich und erzeugen ständig neue Zwischentöne - zwei riesige flimmernde Barcodes, die den Trubel an Passanten- und Verkehrsströmen am Kreisverkehr in Bretten buchstäblich widerspiegeln. Keine Farbe hat Bernhard Huber dabei dem Zufall überlassen, sondern im Vorfeld minutiös am Computer entworfen und in vielen Entwürfen schließlich zu Papier oder auf den Leuchttisch gebracht. „Das war ein sehr aufwendiger Entwurf, in dem viel Denkarbeit drinsteckt“, sagt Bernhard Huber über seine Arbeit „interspace“.

Eine konzeptionell ähnlich aufwendige Arbeit hat Bernhard Huber für das Foyer des Sparkassen Carrés in Tübingen realisiert. Wie „interspace“ ist sie ein Beispiel für seine grenzüberschreitende Kunst und ganz im Sinne ihres englischen Titels irgendwo im Dazwischen verortet: zwischen Malerei, Bildhauerei und Architektur. Die Aufgabe für den vom Stuttgarter Architekturbüro Auer und Weber geplanten 25 mal 25 Meter großen Vortragssaal war relativ frei formuliert: Unter dem mit einer Glaskuppel nach oben abgeschlossenen Dach sollte eine gläserne Deckeninstallation entstehen. Die hatte Bernhard Huber ursprünglich ganz anders geplant - als Toblerone-Entwurf von hintereinander gesetzten Glasdreiecken. Doch damit war der Künstler nicht zufrieden: „Zu dominant, zu verspielt - das passte irgendwie nicht zu dem von nüchternen Zahlen geprägten Verwaltungsgebäude.“ Stattdessen ließ sich der Künstler von der Architektur des Raums inspirieren, der mit einer Konstruktion aus Stahlträgern überspannt ist. Dieses orthogonale Grundgerüst nutzte Huber als Rahmen für ein selbsttragendes Gitter aus dünnen Stahlrahmen und fügte darin stehende, farbige Glasscheiben ein. Sein „orthogonaler Blätterwald“ ist unter der transparenten Glaskuppel so angeordnet, dass er sich zu einer Seite hin verdichtet. Je nach Jahres- und Tageszeit erzeugt das einfallende Licht wechselnde Farb- und Lichtspiele. Doch nicht sie erwähnt der Künstler, wenn er über seine Arbeit spricht, sondern deren „außergewöhnliche Statik“. Denn damit das Traggerüst nicht zu dominant ist, ist jede Glasplatte nur geklebt und wird im Verbund zu einem Teil der Tragkonstruktion. Eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die Huber zusammen mit dem Ingenieur Peter Beyle ausgetüftelt hat.

Überhaupt empfindet Huber die Zusammenarbeit mit Architekten, Tragwerksplanern und Schlossern als wesentlich für seine eigene Arbeit, weil durch den intensiven Austausch „neue Qualitäten entstehen“. Bernhard Huber ist jedenfalls nicht der abgehobene und verschrobene Eigenbrötler von Künstler. Ganz im Gegenteil, bodenständig würde eher passen und mit einem stets kritischen Blick für seine eigene Kunst. Die ist wie ihr Erschaffer ebenfalls weit davon entfernt, auf Effekthascherei zu setzen. Zu klar, zu nüchtern geht Bernhard Huber mit seinem Material um: „Um so schöner ein Medium, desto zurückhaltender und strenger muss man damit umgehen und erst dann wird der Betrachter dessen Vielschichtigkeit und Nuancenreichtum als eigenen Kosmos selbst entdecken.“

In der Serie „Menschen und ihre Heimat“ stellen wir Personen vor, die sich im Kreis Esslingen und der Region aus ganz unterschiedlichen Gründen heimisch fühlen. Sie geben Einblick in ihr Arbeitsleben und ihre Verbundenheit mit der Region.