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Viele Stadträte können sich vorstellen, die Bürger stärker in die Finanzplanung einzubeziehen. Doch eine Entscheidung darüber soll erst der neue Gemeinderat fällen.

EsslingenBislang hat der Gemeinderat die absolute Hoheit über den städtischen Haushalt. Doch die Stadträte können sich durchaus vorstellen, die Esslinger künftig stärker in die Entscheidungen über die Finanzplanung einzubeziehen. Im jüngsten Verwaltungsausschuss zeigte sich eine Mehrheit offen für die Einführung eines Bürgerhaushalts. Wenn überhaupt, kommt ein solcher aber frühestens zum Doppelhaushalt 2022/2023.

Angestoßen wurde die Diskussion durch einen Antrag der FDP. Sie hatte die Stadtverwaltung beauftragt, zu prüfen, unter welchen Rahmenbedingungen ein Bürgerhaushalt in Esslingen eingeführt werden könnte, welche Vor- und Nachteile zu erwarten wären und welche zusätzlichen Kosten entstehen würden. „Unser Ziel ist es, mit einem Bürgerhaushalt mehr Transparenz zu schaffen und die Bürger in die Haushaltsaufstellung einzubinden“, erklärte FDP-Rätin Rena Farquhar. Denn sie glaube, für Außenstehende sei es nicht leicht zu verstehen, wie schwierig die Abwägungen bei der Erstellung eines Etats sind – das werde mit einem Bürgerhaushalt vielleicht besser nachvollziehbar.

Grüne und Linke begrüßten den Vorstoß: „Grundsätzlich finden wir einen Bürgerhaushalt gut“, erklärte Carmen Tittel, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Zwar habe es einen solchen vor einigen Jahren schon einmal gegeben, wenn auch nur mit sehr verhaltener Resonanz. Dennoch könne man dieses Instrument gern noch einmal einführen – dann aber lieber für mehrere Jahre. Klar müsse jedoch sein, dass die letzte Entscheidung über Ausgaben und Einnahmen weiter beim Gemeinderat liege. Ähnlich äußerte sich Martin Auerbach von der Linken. Auch SPD und CDU zeigten sich nicht abgeneigt, wollten aber noch keine Stellungnahme abgeben.

Nur die Freien Wähler waren skeptisch: Man sehe einen Bürgerhaushalt kritisch, sagte Jörg Zoller. „Bürgerbeteiligungen sind derzeit schick und in Mode, aber ein Haushalt ist immer eine Abwägung zwischen A und B – man kann nicht alles machen." Für die Freien Wähler ist fraglich, ob dieser Aspekt bei einem Bürgerhaushalt genügend beachtet wird. Zudem müsse man aufpassen, dass man nicht zig Parallelstrukturen schaffe. Schließlich gebe es bereits den Gemeinderat und die Bürgerausschüsse, die ebenfalls beteiligt würden. „Wer sich engagieren will, kann sich einbringen, indem er sich in den Gemeinderat wählen lässt“, befand Zoller.

Ohnehin ist Bürgerhaushalt nicht gleich Bürgerhaushalt. Es gibt laut der Kämmerin Birgit Strohbach im Prinzip vier Formen der Bürgerbeteiligung an der Finanzplanung einer Kommune. Die schwächste Form sei die reine Information über Inhalt und Ergebnis der Etatberatungen. Dazu gehörten auch entsprechend grafisch aufbereitete Informationen in digitaler Form. Das liefere die Stadt Esslingen bereits: Schon im Entwurfsstadium werde der Etat online gestellt.

Die sogenannte konsultative Form eines Bürgerhaushalts, wie Stuttgart sie seit einigen Jahren praktiziert (siehe Infobox), sieht eine Sammlung von Vorschlägen aus der Bürgerschaft vor. Diese werden auch von Bürgern bewertet und priorisiert – und fließen dann in die Haushaltsberatungen des Gemeinderats ein. Bei einem Bürgerbudget hingegen wird ein zuvor festgelegter Betrag unter Beteiligung der Einwohner auf verschiedene Projekte verteilt. In der Regel geht diesem Verfahren ein Prozedere wie beim konsultativen Bürgerhaushalt voraus: Die Bürger können Vorschläge aus den eigenen Reihen bewerten und priorisieren. Beim Finanzreferendum wiederum entscheidet die Bürgerschaft anstelle des Gemeinderats. Diese Form wird laut Strohbach in der Schweiz teilweise umgesetzt, ist in Baden-Württemberg kommunalverfassungsrechtlich aber gar nicht möglich.

In der Regel läuft die Beteiligung beim Bürgerhaushalt über Online-Plattformen – und zwar in drei Phasen. Zunächst werden die Einwohner über den Haushalt und den Beteiligungsprozess informiert, dann werden Vorschläge gesammelt und bewertet. In einer dritten Phase legt die Verwaltung Rechenschaft darüber ab, welche Ideen sich in welchem Umfang tatsächlich im beschlossenen Etat wiederfinden.

Für die Kämmerin Birgit Strohbach liegen die Vorteile eines Bürgerhaushalts in der stärkeren Einbindung und Beteiligung der Einwohner, mit der in der Regel auch eine höhere Identifikation mit der Stadt und dem Haushalt einhergehe. Zudem könnten sich die Stadträte so gegebenenfalls ein differenzierteres Bild von den Anliegen und Wünschen der Bürger machen. Allerdings sei der höhere Aufwand für Verwaltung und Gemeinderat nicht zu unterschätzen. Zudem sei zu bedenken, dass beim Bürgerhaushalt nicht die gesamte Bevölkerung der Stadt repräsentiert sei.

Was die Kosten betrifft, will man im Rathaus noch keine konkreten Angaben machen. Eine seriöse Kalkulation sei erst möglich, wenn feststehe, welche Form eines Bürgerhaushalts angestrebt wird. Klar sei aber, dass Kosten für eine spezielle Software und deren Betrieb anfallen, für die Moderation der Online-Plattform sowie für Personal in der Verwaltung, das den Prozess begleitet. Auch die Öffentlichkeitsarbeit und die Steuerung des Prozesses in den verschiedenen Fachbereichen koste Geld. Im Rathaus geht man davon aus, dass die Stellungnahmen für die Beratung der Bürgervorschläge im Gemeinderat in etwa so aufwendig zu erstellen sind wie reguläre Gemeinderatsvorlagen.

Die Stadtverwaltung rechnet mit etwa zwei Jahren für die Vorbereitung der Einführung eines Bürgerhaushalts. Die Bürger müssten jeweils zu Beginn eines Planungsjahres – die Haushaltsberatungen finden in Esslingen stets im vierten Jahresquartal statt – beteiligt werden, damit ihre Wünsche berücksichtigt werden können. Daher könne frühestens zum Doppelhaushalt 2022/2023 ein Bürgerhaushalt eingeführt werden. Die Entscheidung, ob ein solcher überhaupt in Esslingen etabliert werden soll, wird aber erst der neue Gemeinderat entscheiden – so hat es der Verwaltungsausschuss nun beschlossen.

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