Von Alexander Maier

Der Esslinger Gemeinderat hat die Qual der Wahl: Drei Standorte sind für die Stadtbücherei im Gespräch - noch vor der Sommerpause soll die Entscheidung fallen. Neben dem bisherigen Standort im Bebenhäuser Pfleghof zwischen Heu- und Webergasse ist schon länger ein Neubau zwischen Kies- und Küferstraße im Gespräch. Etwas überraschend kam jüngst noch das evangelische Gemeindehaus am Blarerplatz als dritte Variante hinzu. Derzeit lässt die Stadt die drei Alternativen genauer unter die Lupe nehmen - und man versichert, alle Möglichkeiten „ergebnisoffen zu prüfen“. Beobachter der kommunalpolitischen Szene vermuten jedoch, dass die Verwaltungsspitze bereits einen Favoriten ausgeguckt hat. Und sie erwarten, dass es noch heiße Diskussionen geben wird.

Viele Konzepte in der Schublade

1989 war die Bücherei in den Bebenhäuser Pfleghof eingezogen. Den Weg hatte der damalige Kulturbürgermeister Dieter Deuschle geebnet, weil ihm klar war, dass die Anforderungen an Bibliotheken immer größer werden. Es dauerte nicht lange, bis die damalige Bücherei-Leiterin Sibylle Weit in den 90er-Jahren erstmals eine Erweiterung ins Gespräch brachte. Dass im Nachbarhaus Heugasse 11, das der Stadt gehört, 800 bis 900 Quadratmeter zusätzlicher Publikumsfläche entstehen könnten, hat ein von der Stadt beauftragtes Gutachten des Architekturbüros Stübler & Fleckenstein schon vor 15 Jahren nachgewiesen. Konsequent weiterverfolgt wurde dieses Konzept nie, obwohl es mit deutlich geringeren Eingriffen in die Gebäudesubstanz realisierbar wäre als die Machbarkeitsstudie des Büros Fritzen 28 aus dem Jahr 2013.

Sibylle Weit und ihre Nachfolgerin Gudrun Fuchs hatten die Notwendigkeit einer Erweiterung immer wieder im Rathaus hinterlegt. Ein Dutzend Grundsatzpapiere wurden seither im Kulturausschuss vorgestellt, um rasch wieder in der Schublade zu verschwinden. Und so wurde der Handlungsbedarf immer drängender.

Rund 1800 Quadratmeter Publikumsfläche plus Büro- und Nebenräume hat die Esslinger Bücherei derzeit zur Verfügung - nach den Richtlinien des Deutschen Bibliotheksverbands müssten es für eine Stadt dieser Größe 4000 bis 5000 Quadratmeter Publikumsfläche sein. Mit ihrem aktuellen Platzangebot rangiert Esslingen landesweit unter den Bibliotheken in Städten vergleichbarer Größe auf dem drittletzten Platz. Die zunehmende Enge fällt umso schwerer ins Gewicht, als man in Esslingen schon vor Jahren ganz bewusst auf eine starke Hauptstelle gesetzt, die Außenstellen Oberesslingen und Zollberg aufgegeben und die Filiale in Berkheim in ehrenamtliche Hände gelegt hatte. Weil die Stadt im Bebenhäuser Pfleghof dringend nötige Investitionen immer wieder auf die lange Bank geschoben hat, zeigt sich der Handlungsbedarf dort immer deutlicher. Und wer sich im Land umschaut, wird feststellen, dass andere Städte viel mehr für ihre Bibliotheken getan haben - man denke nur an Stuttgart, Ulm, Ludwigsburg oder Neckarsulm. Dabei bietet der historische Gebäudekomplex, immerhin einer der raren weitgehend erhaltenen und öffentlich zugänglichen Pfleghöfe, reizvolle bauliche Möglichkeiten.

Gemeindehaus wird hoch gehandelt

Nun will der Gemeinderat die Weichen in Richtung Zukunft stellen. Eigentlich sollte im ersten Quartal eine Entscheidung fallen, inzwischen wurde die Frist bis Sommer verlängert. Dazu mag beigetragen haben, dass mit dem Gemeindehaus am Blarerplatz überraschend eine dritte Variante ins Spiel kam. Anfang März einigten sich OB Jürgen Zieger und Dekan Bernd Weißenborn darauf, „alle Einzelaspekte zu einer eventuellen Unterbringung der Stadtbücherei im Gemeindehaus am Blarerplatz zu untersuchen“. Bei allen drei Varianten wird neben dem Zeitfaktor vor allem das Finanzielle eine Rolle spielen, wobei die günstigste nicht unbedingt die beste Lösung für eine Bücherei sein muss.

Bekannt ist, dass sich die evangelische Kirche aus finanziellen Gründen von Immobilien trennen muss und dass sich in der Innenstadt noch keine Lösung abgezeichnet hat, die den Etat der Kirche merklich entlasten würde. Deshalb hätte ein Verkauf des Gemeindehauses zumindest finanziell etwas für sich. In Kirchenkreisen hat die Nachricht, dass ein Verkauf des Gemeindehauses erwogen wird, viele verblüfft. Dazu trug bei, dass zum Gesamtpaket die Franziskanerkirche gehört, die vor einigen Jahren mit Hilfe namhafter Spenden restauriert worden war. So gehört wenig Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass die Entscheidung über einen Umzug der Bücherei an den Blarerplatz einiges Konfliktpotenzial bergen dürfte - zumal unklar ist, was dann aus dem Bebenhäuser Pfleghof werden würde.

Stadt und Kirche halten sich bislang bedeckt. Dabei wollen Insider wissen, dass der Gedanke, das Gemeindehaus als Bücherei-Standort ins Auge zu fassen, nicht erst jetzt geboren wurde, sondern schon seit einer ganzen Weile hinter verschlossenen Türen verfolgt wird. Und dass die Planungen bereits viel weiter gediehen sind, als viele außerhalb des Rathauses ahnen. In sozialen Netzwerken kursiert bereits die Vermutung, die Stadt könnte sogar daran denken, den Bebenhäuser Pfleghof zu verkaufen. Schon deshalb könnten Stadt und Kirche bis Sommer noch spannende Debatten ins Haus stehen.