Jeder Quadratmeter an der Realschule Oberesslingen ist mehr als gut genutzt. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Die Realschule Oberesslingen ist auf 4,5 Züge angelegt. In den letzten beiden Jahren kamen je sechs zusammen. Das liegt am Ruf der Schule, der Schulart und an der Schulpolitik.

EsslingenMehr als 170 Fünftklässler haben in diesem Schuljahr die Realschule Oberesslingen (RSO) gestürmt. Im vergangenen Jahr brachte sie es auch schon auf sechs Eingangsklassen. Derzeit lernen 825 Kindern und Jugendliche in 30 Klassen an der Banatstraße. Und das, obwohl sie eigentlich nur auf viereinhalb Züge angelegt ist. Der nachhaltige Andrang hat die RSO an den äußersten Rand ihrer Kapazitäten gebracht. Schule und Eltern sorgen sich davor, was passiert, wenn im nächsten Schuljahr wieder so viele Kinder vor der Tür stehen könnten.

Fachräume wurden zu Klassenzimmern, Flächen für den Ganztagsbetrieb für den Unterricht zweckentfremdet. Vier Wanderklassen marschieren durch die Schule, weitere Pausenflächen wurden gesucht und gefunden. Und ohne eine siebte Schulstunde im Mittagsband ließe sich der Unterricht für so viele Schüler gar nicht mehr stemmen. Der Platz in der Mensa, in der die Eltern kochen, wird trotz Schichten knapp, die Einhaltung der Aufsichtspflicht immer schwieriger. „Wir kommen klar, wir haben viele gute Leute, die nach der besten Lösung für die Kinder gesucht haben“, lobt Schulleiterin Regine Kälber ihre Kolleginnen und Kollegen sowie das städtische und das Staatliche Schulamt. „Aber die kreativen Lösungen sind ausgereizt“, betont Aglaia Handler, die Elternbeiratsvorsitzende der Schule.

Das Damoklesschwert, das über der Schule schwebte, hat der Gemeinderat vor wenigen Wochen zwar wieder in die Scheide gesteckt: Die RSO muss sich nun doch nicht bis hin zur Lerchenäckerschule spreizen und als sechszügige Realschule zwei Standorte bespielen. Das hatte er ihr 2016 noch auf den Weg gegeben. Allerdings hat er den dringend notwendigen Bau mindestens einer weiteren Realschule zur Entlastung der RSO in derselben Sitzung alles andere als beschleunigt. Sodass sich Eltern und Lehrer schon fragen, was die Versicherung des Gemeinderats, dass die Schule auch künftig nur auf 4,5 Züge angelegt sein soll, wert ist. „Die RSO kann auf keinen Fall Schüler an andere Schulen auslagern. Das kann ich den Eltern nicht mehr vermitteln“, stellt Handler klar.

Dass die RSO so viele Schüler hat, liegt nicht nur am guten Ruf der Schule, sondern auch an der Schulpolitik. Der im Großen und der im Kleinen. Denn mit der Abschaffung der ausblutenden Werkrealschulen, die der Esslinger Gemeinderat beschlossen hatte, und der Tatsache, dass die Realschulen im Land mittlerweile auch den Hauptschulabschluss anbieten, entscheiden sich viele Eltern von leistungsschwächeren Kindern nicht für die noch junge Schulart Gemeinschaftsschule, in der es in Esslingen noch Platz gäbe. Sondern für die Realschule. Und davon hat Esslingen nur noch zwei: Auch die Zollberg-Realschule kann sich über mangelnde Nachfrage nicht beklagen.

Dabei ist den Eltern oft nicht klar, dass ihre Kinder an den Realschulen erst einmal durch zwei harte Jahre durch müssen. „Wie legen großen Wert darauf, dass in den Klassen fünf und sechs der Unterricht und die Bewertung auf einem mittleren Niveau stattfinden“, betont RSO-Chefin Regine Kälber. Das ist nicht unfreundlich gemeint, aber so will es das Ministerium. Erst ab der siebten Klasse erleben die Kinder, die eigentlich auf dem sogenannten grundständigen G-Niveau lernen müssten, einen Unterricht, der auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. „Dennoch kämpfen sich die allermeisten durch diese zwei Jahre durch“, sagt Kälber. Ab Klasse sieben werden alle Kinder ihrer Leistung entsprechend dann in M- und G-Klassen aufgeteilt. Für diese sogenannte „Außendifferenzierung“ haben sich in Esslingen beide Realschulen entschieden. Dieses Sortieren „widerspricht eigentlich der Schulgemeinschaft“, sagt die Elternbeiratsvorsitzende Handler. „Aber aus der Lehrerperspektive ist es gut“, verweist Kälber darauf, dass man dann spezifischer auf die jeweiligen Bedürfnisse eingehen könne. Die derzeitigen Siebener und Achter haben die Orientierungsstufe bereits verlassen: Auf vier M-Klassen kommt jeweils eine G-Klasse. Folglich haben rund 20 Prozent der Kinder, die an der RSO starten, keine Grundschulempfehlung für die Realschule. Auf 15 bis 20 Prozent schätzt Handler den Anteil der Schüler, die trotz Gymnasialempfehlung die RSO gewählt haben. „Nicht zuletzt aufgrund dieser heterogenen Schülerschaft sind wir sehr dankbar über den Gemeinderatsbeschluss, dass wir bei 4,5 Zügen bleiben können“, betont Kälber. „Große Einheiten sind für unsere Schülerinnen und Schüler schwierig.“

Wie berichtet, hat die Stadt jetzt zwei neue Realschulen anstelle ihrer auslaufenden Werkrealschulen in der Pliensauvorstadt und in den Lerchenäckern beantragt. Für den höchstwahrscheinlichen Fall, dass das Land nur eine genehmigt, hat sich der Gemeinderat aber noch nicht auf das weitere Vorgehen einigen können. Im Zuge der Entscheidungsfindung tauchten auch immer Zweifel daran auf, ob eine neue konkurrierende Realschule in den Oberesslinger Lerchenäckern eine Chance gegenüber der etablierten RSO hätte. Kälber ist sich indessen sicher, dass dem so wäre. „Die Schulstadt Esslingen braucht so schnell wie möglich weitere Alternativen“. Zumal jedes Jahr auch noch die Rückläufer aus den Gymnasien vor den Realschultüren stehen und kaum noch unterzubringen sind, ergänzt Aglaia Handler. Seit 2011 hat sie als Vorsitzende des Gesamtelternbeirats die Esslinger Schulentwicklung begleitet, jetzt hat sie ihr Amt abgegeben, weil ihre Kinder die Abschlussklassen erreicht haben. Sie hätte es lieber mit einem besseren Gefühl getan.