Von Melanie Braun
Seit Anfang des Jahres ist es offiziell bekannt: Die Esslinger Luft ist viel zu sehr mit Schadstoffen belastet. Deshalb muss ein Luftreinhalteplan erstellt werden – doch der lässt auf sich warten. Nun könnte der Druck allerdings steigen. Zum einen, weil Luftverschmutzung wieder ein Thema ist: In Stuttgart ist Saison für Feinstaubalarm, zudem erwägt die EU eine Klage gegen Deutschland wegen zu hoher Luftbelastungen. Zum anderen drohen nun auch rechtliche Schritte von anderer Seite. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beobachtet die Entwicklungen in Esslingen kritisch – und behält sich vor, gegen die Stadt zu klagen.
EU-Grenzwerte überschritten
Esslingen gehört bei der Belastung mit Feinstaub und Stickstoffdioxid zu den schmutzigsten Städten im Land. Im Jahr 2016 wurden an der Messstelle in der Grabbrunnenstraße im Mittel 54 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft gemessen. Das ist deutlich mehr als die von der EU erlaubten 40 Mikrogramm im Jahresmittel. Beim Feinstaub wurde der EU-Grenzwert zwar nicht gerissen, doch Esslingen war nicht weit davon entfernt. An 27 Tagen wurde hier der Grenzwert überschritten, erlaubt sind 35 Überschreitungstage. Damit war Esslingen 2016 die am zweitstärksten belastete Stadt im Land nach Stuttgart.
Für die Deutsche Umwelthilfe ist das ein Anlass, die Anstrengungen für bessere Luft in Esslingen genau zu beobachten. Man sei sowohl mit der Stadt als auch mit dem Regierungspräsidium Stuttgart (RP), das den Luftreinhalteplan veranlassen muss, im Gespräch, sagt Dorothee Saar, Leiterin des Bereichs Luftreinhaltung und Verkehr der Deutschen Umwelthilfe. Doch man halte die Position der zuständigen Behörde nicht für zielführend. „Der Luftreinhalteplan sollte längst draußen sein. Warum braucht man dafür so lange?“
Angesichts der erheblichen Luftverschmutzung in der Stadt dränge die Zeit. „Die Grenzwerte für Stickstoffdioxid sind ja massiv überschritten. Es wäre eigentlich Zeit, für Esslingen ein Fahrverbot für Dieselautos vorzubereiten“, sagt Saar. Schließlich gehöre Esslingen zu den am meisten belasteten Städten bundesweit. Und der Dieselverkehr sei die Ursache Nummer eins für die hohe Belastung mit Stickstoffdioxid. „Es wäre gut, wenn man das Fahrverbot hier sofort umsetzen könnte, wenn es kommt“, so Saar.
Doch das Regierungspräsidium will mit der Erarbeitung des Luftreinhalteplans für Esslingen warten, bis das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart zur Klage der DUH gegen das Land rechtskräftig ist. Derzeit läuft eine sogenannte Sprungrevision beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dazu. Das bedeutet: Das Urteil wird ohne Zwischenschritte direkt von der höchsten Instanz geprüft, die dann endgültig entscheidet.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte auf die Klage der DUH im Juli entschieden, dass die Maßnahmen, die im Entwurf eines neuen Luftreinhalteplans für Stuttgart enthalten sind, nicht ausreichend seien. Damit lasse sich die vor allem mit Stickstoffdioxid und Feinstaub verschmutzte Luft im Talkessel nicht schnell und nachhaltig verbessern. Dies sei letztlich nur mit Fahrverboten möglich. Beim Bundesverwaltungsgericht wird das Urteil auf Betreiben der Landesregierung nun auf rechtliche Mängel überprüft.
Beim Regierungspräsidium Stuttgart betont man, dass man erst nach der Entscheidung in Leipzig etwaige Fahrverbote in einen Luftreinhalteplan aufnehmen könne – nicht aber, solange grundsätzliche Fragen noch offen seien. Unabhängig davon werde aber an weiteren Maßnahmen gearbeitet. Hier böten sich etwa die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs sowie des Fuß- und Radverkehrs an, ebenso ein Ausbau der Elektromobilität. Diese könnten aber auch unabhängig von einem Luftreinhalteplan angegangen werden. Der Luftreinhalteplan werde nämlich als Gesamtpaket erstellt und hänge damit eben von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab.
Im Esslinger Rathaus wiederum weist man auf die Abhängigkeit vom Regierungspräsidium hin. „Uns sind die Hände gebunden“, sagt der Stadtsprecher Roland Karpentier. Denn das Verfahren für die Erarbeitung eines Luftreinhalteplans müsse vom RP ausgelöst werden, darauf habe die Stadt keinen Einfluss. Das habe man auch der Deutschen Umwelthilfe mitgeteilt – schließlich wisse man, dass diese durchaus bereit sei, wegen mangelnden Engagements für bessere Luft zu klagen. Mit dem RP sei man in ersten informellen Gesprächen über einen Luftreinhalteplan.
Stellschraube Elektromobilität
Darüber hinaus mache man sich Gedanken, was man gegen die Luftverschmutzung tun könne. „Eine der Stellschrauben sehen wir in der Elektromobilität“, sagt Karpentier. So werde etwa die Erhöhung des Anteils an Elektrohybridbussen in der städtischen Busflotte messbar zu besserer Luft beitragen. Zudem plane die Stadt ja eine Mobilitätsstation mit Fahrrad- und Pedelec-Verleih, Carsharing und Ladestationen auf dem Gelände des alten ZOB, für die es bereits einen Förderbescheid gebe. Auch die energetische Sanierung städtischer Gebäude treibe man voran. Derweil hoffe man, dass Esslingen von Fahrverboten verschont bleibe: „Wir lehnen Fahrverbote natürlich ab“, sagt Karpentier.
Schlechte Luftwerte rufen Umwelthilfe auf den Plan
Werte: Seit Januar 2016 werden an der Esslinger Grabbrunnenstraße Schadstoffe in der Luft gemessen. Im vergangenen Jahr wurde der Grenzwert für Feinstaub von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft an 27 Tagen überschritten – erlaubt sind 35 Überschreitungstage. In diesem Jahr wurde der Grenzwert bis zum 19. Oktober bereits 24 Mal überschritten. Der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid lag mit 54 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft 2016 deutlich über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm. Die Stickstoffwerte für 2017 werden erst im kommenden Frühjahr veröffentlicht.
Umwelthilfe: Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) ist ein Verein, der sich seit rund 40 Jahren für Umwelt- und Verbraucherschutz einsetzt. In jüngster Zeit ist die Organisation vor allem durch Klagen auf mehr Engagement für bessere Luft aufgefallen. Die DUH klagt bereits in 19 Städten auf saubere Luft – erst vor wenigen Tagen reichte sie Klagen auf Einhaltung der Luftqualitätswerte für Stickstoffdioxid in Hannover, Kiel und Halle ein. Laut DUH liegen bereits in der Hälfte der juristischen Fälle Entscheidungen vor: Alle Verfahren seien von der DUH gewonnen worden. Auch in Stuttgart hatte die Organisation, die sich für Umwelt- und Verbraucherschutz einsetzt, die Justiz bemüht – und gewonnen. Jüngst hat die DUH zudem weitere Städte, die die gesetzlichen Grenzwerte für Stickstoffdioxid 2016 überschritten haben und nach Ansicht der DUH zu wenig dagegen tun, angeschrieben und aufgefordert, aktiv zu werden – darunter auch Esslingen. Wenn nicht genug passiere, behalte man sich vor, zu klagen, heißt es von der DUH. Allerdings hoffe man, mit den aktuellen Klagen auch andere Städte zu ermuntern, aktiv zu werden und die Dringlichkeit der Lage zu erkennen.