Peter Schell Foto: Bulgrin - Bulgrin

Peter Schell macht im Gespräch mit Alexander Maier deutlich, dass die Modernisierung historischer Gebäude wie der Esslinger Bücherei im Pfleghof besondere Chancen eröffnet.

EsslingenDie Diskussion über den künftigen Standort der Esslinger Stadtbücherei steht vor dem Abschluss – am Montag um 16 Uhr wird der Gemeinderat in öffentlicher Sitzung entscheiden. Viele Befürworter eines Neubaus fürchten, dass eine Erweiterung und Modernisierung des Bebenhäuser Pfleghofs große Probleme aufwerfen könnte. Der Architekt Peter Schell, Vorsitzender der Architektenkammergruppe Stuttgart-Filder und ein Fachmann für modernes Bauen in historischen Gebäuden, hat sich im Bebenhäuser Pfleghof umgeschaut. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert er, dass vieles, was in Esslingen als Problem benannt wird, in der Praxis oft sehr gut lösbar ist.

Lässt sich eine moderne Bücherei in einem historischen Gebäude realisieren?
Warum denn nicht? Man muss sich nur genau anschauen, was sich am jeweiligen Ort umsetzen lässt. Eine moderne Bibliothek ist für die allermeisten Nutzer ein Ort, an dem sie sich wohlfühlen, wo sie die Medien, die sie brauchen, bekommen, wo sie sich treffen und alleine oder in kleinen Gruppen arbeiten können. Oft kommt ein Veranstaltungsbereich hinzu. D afür braucht man keine neue Verpackung. Man kann auch historische Gebäude sehr effizient umnutzen und modern interpretieren.

Ist es nicht einfacher, neu zu bauen?
Das ist richtig, und deshalb gehen viele lieber den einfacheren und manchmal auch billigeren Weg. Aber ist es auch der bessere? Einer meiner Bauherren hat mal den Begriff der „Stadtrendite“ geprägt. Gerade für eine Stadt darf es nicht alleine darum gehen, möglichst schnell, reibungslos und kostengünstig zu bauen. Wenn alle immer so gedacht hätten, würde eine Stadt wie Esslingen anders aussehen. Deshalb darf es nicht nur um eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung gehen. Aspekte wie Wohlfühlen, Identifikation und Geschichtsbewusstsein zählen ebenso. Ein historisches Gebäude kann ich ganz anders erleben.

Trotzdem ist die Modernisierung eines Altbaus eine Herausforderung. Von Barrierefreiheit war früher nicht die Rede ...
Ganz klar, und da darf es auch keine Abstriche geben. Aber mit etwas Nachdenken findet man Lösungen. Wir haben in Ehningen ein 500 Jahre altes Gebäude zur Bibliothek umgebaut und durch einen Neubau erweitert. Manchmal braucht man einen kleinen Kunstgriff, aber wenn man sich die Mühe macht, mit dem Denkmalschutz nach Lösungen zu suchen, ist viel mehr möglich, als man denken würde.

Schwierig wird’s häufig, wenn der Brandschutz ins Spiel kommt ...
Ja, und solche Aspekte darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Man darf aber auch nicht übers Ziel hinausschießen. Natürlich kann man an einen Punkt kommen, an dem die Anforderungen so hoch werden, dass ein historisches Gebäude an seine Grenzen gelangt. Wenn man frühzeitig mit den Experten zusammenarbeitet, lassen sich oft Konzepte finden, die vieles, was anfangs als unüberwindbare Hürde erschien, ganz elegant lösen. Denkmalschutz und Brandschutz darf man nicht nur als Bremser sehen. Man muss alle Beteiligten, auch das Bibliothekspersonal, als Ermöglicher ins Boot holen. Dann kann etwas Gutes gelingen. Für mich ist es jedes Mal die größte Motivation, zu beweisen, dass man viel mehr erreichen kann, als manche anfangs vermutet hatten.

Manche fürchten, die Statik könnte ein Ausschlusskriterium für den aktuellen Esslinger Büchereistandort werden ...
Auch da hat man es bei einem Neubau zunächst leichter, weil man jedes Bauteil vorher kennt. Bei einem Altbau muss man genauer hinschauen. Sie müssen einer alten Konstruktion erst mal vertrauen. Das scheint mir bei den Dimensionen, die man bei diesem Pfleghof sieht, auf den ersten Blick nicht sonderlich riskant zu sein, weil man zum Beispiel große Pfosten und Unterzüge sieht. Trotzdem muss man bei einem Altbau immer im Detail prüfen, ob man hier oder da etwas verstärken oder ein paar Balken ersetzen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Gebäuden dieser Größe wirklich dramatische Schäden zum Vorschein kommen, ist gar nicht so groß. In 35 Berufsjahren hatte ich noch kein Gebäude, bei dem ich mittendrin sagen musste, dass es doch nicht zu halten ist.

Der hintere Teil des aktuellen Bücherei-Standorts würde ohnehin neu gebaut werden, weil er nicht denkmalgeschützt ist ...
Dann kann man im Zweifel die besonders schweren Dinge eher dort platzieren, wenn man den historischen Teil weniger belasten will. Außerdem dürfte ein Grund für die Bücherei-Erweiterung sein, dass man den Medienbestand großzügiger präsentieren will. Das entlastet die Statik. Und man sollte nicht vergessen, dass das mal ein Pfleghof war und dass er als solcher viel stabiler gebaut wurde als zum Beispiel ein Wohnhaus. Man sieht, dass hier schon länger nicht mehr viel gemacht wurde, aber die vorhandene Substanz macht keinen so schlechten Eindruck. Daraus ließe sich sicher etwas Interessantes machen.

Allerdings haben Sie im Denkmal feste Raumstrukturen ...
Eine Bücherei besteht nicht nur aus großzügigen Bereichen. Sie brauchen zusammenhängende Bereiche, wie sie im hinteren Teil der aktuellen Bibliothek entstehen würden. Aber genauso brauchen sie kleinformatige Bereiche, etwa für Arbeitsplätze. Die müssen Sie in einem Neubau eigens schaffen. In einem historischen Gebäude wie diesem haben Sie sie bereits angelegt. Sie können auf elegante Weise kleinere Bereiche schaffen, wo Sie bestimmte Interessengebiete zusammenfassen: eine Fantasy-Ecke, ein Krimi-Kabinett oder ein Spiele-Zimmer beispielsweise. Ein Altbau bietet ganz selbstverständlich die Rückzugsmöglichkeiten, die eine Bücherei braucht. Kleinteilige Bereiche waren in den Gebäuden, die ich saniert habe, beim Publikum nie ein Problem, sondern haben zu einer Atmosphäre, in der man sich wohlfühlen kann, beigetragen.

Ein öffentliches Gebäude muss auch energetisch richtig aufgestellt sein. Lässt sich das im Denkmal überhaupt machen?
Natürlich ist es einfacher, bei einem Neubau die Fassade außen zu isolieren. Bei einem historischen Gebäude müssen Sie das manchmal eher innenseitig tun. Doch auch da gibt es sehr ambitionierte Konzepte, mit deren Hilfe man einen hohen Standard erreichen kann.

Das klingt nicht so, als müsste man bei einem Gebäude wie dem Bebenhäuser Pfleghof die Flinte ins Korn werfen ...
Warum sollte man? Eine moderne Nutzung möglichst überzeugend in einem historischen Gebäude unterzubringen, ist eine mindestens ebenso spannende Aufgabe wie ein Neubau. Manchmal haben Sie in einem historischen Gebäude mehr Gestaltungsspielraum als bei einem Neubau, wo oft enge Grenzen durch Baufenster, Bebauungsplan, Gebäudehöhen und Ähnliches gesetzt sind. Ein Architekt muss seine Aufgabe so verstehen, dass er Probleme ganzheitlich erkennt und nachhaltige Lösungen anbietet. In den allermeisten Fällen findet man die. Manchmal kann sogar etwas viel Besseres entstehen, als wenn man den geraden Weg gegangen wäre.

Das Interview führte Alexander Maier.