Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Trockenheit und Hitze könnten gefährlich werden. Der Klimawandel bedroht auch die Bäume im Esslinger Stadtgebiet.

EsslingenGraue Städte – ganz ohne Grün? Nur Beton – ganz ohne Pflanzen? Monotonie – ganz ohne Farben? Eine Horrorvision wie aus einem Science-Fiction-Thriller. Doch eine Vorstellung, die gar nicht so weit von der Realität entfernt ist. Der Klimawandel sorgt für ein langsames, aber sicheres Sterben der Stadtbäume, erklärt Burkhard Nolte, Leiter des Grünflächenamts im Technischen Rathaus und Landschaftsarchitekt, im Interview mit der Eßlinger Zeitung.

Hat der Klimawandel Auswirkungen auf die Bäume im Stadtgebiet?
Ja leider. Viele einheimische und bisher im Stadtgebiet angepflanzte Baumarten bekommen durch das sich verändernde Klima Probleme. Im Wald herrschen andere, ausgeglichenere Bedingungen: Hier gibt es einen offenen, belebten, nicht versiegelten Boden und im Umfeld viele Bestandsbäume, die sich gegenseitig schützen und beschatten. In der Stadt ist ein Baum dagegen vielen Belastungen ausgesetzt.

Welche Belastungen sind das denn?
Durch die befestigten und wärmespeichernden Flächen, in die kein Wasser eindringen kann, ist das Umfeld wesentlich baumfeindlicher als im Wald. Die Bäume stehen oft einzeln, werden von Autos zugeparkt, von Hunden als Toilette missbraucht und sind meist unter- oder oberirdisch in ihrem Wuchs eingeschränkt. Zudem gibt es Baustellen mit vielen negativen Einflüssen wie Befahren des Baumumfeldes mit schweren Maschinen, mechanische Verletzungen der Bäume oder Eintrag von Schadstoffen wie zum Beispiel Zement. Das alles sind Stressfaktoren für Bäume. Wenn dann noch ein trockener, heißer Sommer wie der von 2018 hinzukommt, sind sie anfälliger für bestimmte Krankheiten, für Pilz- und Schädlingsbefall, gegen die sie unter normalen Umständen gefeit wären.

Welche Folgen hat das?
Das hat vielfältige Folgen. Die Erkrankungen nehmen deutlich zu, und der Baum stirbt früher. Außerdem muss der Baumbestand aus Sicherheitsgründen öfter und genauer kontrolliert und zurückgeschnitten werden, damit beispielsweise kein Totholz herunterfällt und Menschen gefährdet. Damit wird auch die Pflege viel aufwendiger. Fünf Baumpfleger und 120 000 Euro Sachmittel stehen aktuell dem Grünflächenamt pro Jahr dafür zur Verfügung.

Was kann gegen das Stadtbaumsterben getan werden?
In Forschungseinrichtungen und an Hochschulen wird seit Jahren untersucht, welche Baumarten mit dem sich verändernden Klima, mit längeren Trockenheitsphasen und höheren Temperaturen, besser zurechtkommen. Dazu werden zum Beispiel Standorte in südlichen Ländern mit vergleichbaren klimatischen Bedingungen angeschaut und nachgeforscht, ob die dort vorkommenden Arten hier überlebensfähiger wären als einheimische Arten. Auf dem Bahnhofsvorplatz in Esslingen haben wir zum Beispiel Zerreichen gepflanzt. Das ist keine einheimische Baumart, wie unsere Stiel- oder Sommereiche, denn die Zerreichen kommen vor allem in südlichen Gefilden, in Südeuropa und Kleinasien vor. Wir hoffen, dass diese Art mit den Standortbedingungen besser klarkommt, als unsere heimischen Eichen. Erfahrungsberichte anderer Städte, die wir regelmäßig im Arbeitskreis Stadtbäume der Gartenamtsleiterkonferenz austauschen, bestätigen das.

Sind noch weitere Vorkehrungen nötig?
Ja, wir achten mit Blick auf die klimatischen Veränderungen auch darauf, dass es eine breitere Streuung an Baumarten und –sorten gibt und nicht dieselben Arten flächendeckend gepflanzt werden. Aktuell sorgen in Esslingen 160 verschiedene Arten und Sorten für Diversität und Risikostreuung. Denn wenn ein Baum krank wird, dann werden es unter Umständen die anderen auch. Durch einen Schädling, der sich rasch und massenhaft vermehrt, könnte so großer Schaden angerichtet werden. Auch bei Alleen werden nicht mehr standardmäßig die gleichen Baumarten gepflanzt, sondern durchaus mehrere Arten/Sorten miteinander kombiniert.

Welche Baumarten sind im Stadtgebiet besonders gefährdet?
Durch das Eschentriebsterben ist beispielsweise diese Baumart stark gefährdet. Und die Platanen haben eine Krankheit – Massaria genannt – entwickelt, bei der ein Pilz von der Oberseite her die Äste befällt. Die Baumhasel wurde früher gerne im Stadtgebiet verwendet, da sie relativ schmalkronig wächst. Aber auch diese Baumart leidet offenbar unter dem Klimawandel. Auch pflanzen wir im städtischen Raum zum Beispiel keine heimischen Rotbuchen mehr, da sie im Stadtklima kaum überlebensfähig sind und mit Trockenheit und Hitze große Probleme haben.

Wie wirkt sich das auf die Lebensdauer der Bäume aus?
Generell gesprochen, konnten Bäume im Stadtgebiet früher – je nach Art – durchaus 200 Jahre alt werden. Heute sind es im Schnitt 50 bis 60 Jahre, die ein Stadtbaum unter den gegenwärtigen Bedingungen überlebt. Aber nicht nur im Stadtgebiet, auch im Wald, der mit 1700 Hektar immerhin rund 25 Prozent unserer Gemarkung einnimmt, sind die Bäume durch den Klimawandel gefährdet. Die Fichte etwa wird es längerfristig in unseren heimischen Wäldern nicht mehr in nennenswertem Umfang geben. Sie wird sich zunehmend in höhere Lagen zurückziehen. Ihr Anteil im Stadtwald ist bereits seit 1970 von 30 Prozent auf acht Prozent zurückgegangen, in einem halben Jahrhundert also um 22 Prozent! Auch die im Wald bei uns dominierende Rotbuche leidet sichtbar unter den Trocken- und Hitzeperioden.

Sie sagen, dass Sie ausländische, widerstandsfähigere Baumsorten anpflanzen möchten. Stört das nicht das ökologische Gleichgewicht?
Neuere Untersuchungen von Forschungseinrichtungen aus Bayern zeigen, dass sich heimische Baumarten hinsichtlich der Biodiversität im Kronenraum nicht von ihren südosteuropäischen Verwandten unterscheiden. Alle Arten wiesen einen unerwartet hohen Individuen- und Artenreichtum auf. Eine nennenswerte Rolle spielte offenbar dabei, dass die Pflanzstreifen, in denen die Bäume stehen, mit artenreichen Ansaaten insektenfreundlich gestaltet werden. Diesen Weg verfolgen wir hier in Esslingen ja schon seit vielen Jahren und möchten ihn weiterhin gehen. Hinzu kommt: Durch den Klimawandel verändert sich natürlich auch die Zusammensetzung der Tierwelt allmählich.

Für den Laien sehen die Bäume ganz gesund aus. Wer kontrolliert den Bestand?
Wir haben über 28 000 städtische Bäume im Stadtgebiet. Durch zusätzliche Standorte vergrößerte sich in den letzten 20 Jahren der Bestand sukzessive im Saldo um 1900 Bäume. Unsere Baumpfleger kontrollieren sie mindestens einmal im Jahr und verfügen über viel Erfahrung im Umgang mit den Bäumen. Sie kennen den Bestand sehr gut, sodass ihnen Veränderungen sofort auffallen. Und die Bäume liegen ihnen am Herzen. Was uns alle dabei antreibt: Bäume leisten einen unverzichtbaren Beitrag für uns Stadtmenschen zum Klimaausgleich durch Beschattung, Verdunstungskühle, Bindung von Staub, Kohlendioxid usw. Die Gesunderhaltung und Entwicklung des städtischen Baumbestandes ist deshalb ein hochrangiges umweltpolitisches Ziel.

Die Fragen stellte Simone Weiß.