11 187 Kommunalwahlberechtigte haben unterschrieben und sich für ein Bürgerbegehren zum Büchereistandort ausgesprochen. Foto: Robin Rudel - Robin Rudel

Entschieden ist noch nichts, aber die Zeichen mehren sich, dass der Bürgerentscheid zum Büchereistandort am 10. Februar stattfindet.

Esslingen Noch ist nichts entschieden, doch die Zeichen verdichten sich, dass es am 10. Februar einen Bürgerentscheid über den künftigen Standort der Esslinger Stadtbücherei geben wird. Nach dem Gemeinderatsbeschluss für einen Neubau an der Küferstraße hatte eine Initiative spontan ein Bürgerbegehren auf den Weg gebracht. Ihrem Ziel, per Bürgerentscheid anstelle des Neubaus die von vielen Esslingern favorisierte Erweiterung und Modernisierung der bisherigen Bücherei im Bebenhäuser Pfleghof durchzusetzen, ist die Initiative bereits einen großen Schritt nähergekommen: 11 187 Kommunalwahlberechtigte haben das Bürgerbegehren unterzeichnet – 4876 Unterschriften wären nötig gewesen. Über das weitere Vorgehen hat nun der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats hinter verschlossenen Türen diskutiert. Und wie von Beobachtern hinterher zu hören war, ging es entschieden friedlicher zu, als eine gemeinsame Erklärung von CDU, Freien Wählern, Grünen und FDP im Vorfeld der Sitzung erwarten ließ.

Die Unterzeichner hatten vergangene Woche schweres Geschütz aufgefahren. Stein des Anstoßes war ein Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion, der Gemeinderat möge angesichts der ungewöhnlich großen Zustimmung zum Bürgerbegehren seinen Beschluss korrigieren und den Weg freimachen für die Modernisierung und Erweiterung der aktuellen Bibliothek. Die SPD hatte darauf verwiesen, dass die Gemeindeordnung ausdrücklich die Möglichkeit nennt, einen aufwendigen Bürgerentscheid durch einen entsprechenden Ratsbeschluss überflüssig zu machen. Andere Kommunen seien diesen Weg bereits gegangen. Doch dieser Gedanke kam bei der politischen Konkurrenz gar nicht gut an. Der Antrag wurde in derart scharfem Ton abgebügelt (siehe Kommentar „Brachial-Rhetorik“), dass selbst OB Jürgen Zieger in nichtöffentlicher Sitzung zur Mäßigung geraten haben soll.

Dass ein Verzicht auf den Bürgerentscheid für sie nicht in Frage kommt, hatten CDU, Freie Wähler, Grüne und FDP in ihrer gemeinsamen Erklärung deutlich gemacht: „Der Gemeinderat hat bereits abgestimmt. Nach unserer Ansicht darf jetzt die Bürgerschaft abstimmen. Das ist und bleibt das ursprüngliche Ziel der Unterschriftenaktion.“ Offen ist noch das Datum des Bürgerentscheids: Neben der Möglichkeit, dem Anliegen des Bürgerbegehrens per Gemeinderatsbeschluss Rechnung zu tragen, hatte die Stadtverwaltung den Ratsmitgliedern den 10. Februar und den 26. Mai, den Tag der Kommunal- und Europawahl, angeboten, ohne eine Präferenz zu nennen. Die scheint es jedoch im Gemeinderat zu geben. Offiziell ist von Befürwortern des Februar-Termins zu hören, es gebe auch andere kommunalpolitische Themen als die Zukunft der Stadtbücherei. Deshalb wolle man den Kommunalwahlkampf nicht nur von einer Frage dominieren lassen.

Hinter vorgehaltener Hand räumen manche überdies ein, dass sie auch nichts dagegen hätten, ein unliebsames Thema wegen der nahenden Wahl möglichst rasch abzuräumen. Befürworter des Mai-Termins argumentieren derweil, dass ein Bürgerentscheid am Wahltag nicht nur Geld und personellen Aufwand spare, sondern auch eine größere Beteiligung verspreche. Und sie erinnern daran, dass es das erklärte Ziel der Neubau-Befürworter sei, eine Entscheidung auf möglichst breiter Basis zu bekommen. Die sei am 26. Mai entschieden einfacher zu bekommen.

Kommentar: Brachial-Rhetorik

Wir leben in einer Erregungsgesellschaft, und viele glauben, um aufzufallen, müssten sie schriller, lauter und aggressiver sein als andere. So entstehen bisweilen fatale Fehleinschätzungen. Gerade in der Politik. Dass Parteien auf großer politischer Bühne kein gutes Haar aneinander lassen, ist schlimm genug. Das zieht sich quer durch alle Lager, wobei man sich schon fragen kann, ob die Bürger solches Gezänk wirklich goutieren. In Esslingen sollte man da schlauer sein. Doch die gemeinsame Erklärung von CDU, Freien Wählern, Grünen und FDP nährt Zweifel. Jörn Lingnau, Annette Silberhorn-Hemminger, Carmen Tittel und Rena Farquhar haben gemeinsam auf die SPD eingedroschen, weil die beantragt hatte, der Gemeinderat möge angesichts von 11 187 Unterschriften fürs Bürgerbegehren erneut über den künftigen Standort der Stadtbücherei entscheiden und die geforderte Erweiterung und Modernisierung der aktuellen Bücherei beschließen.

Dass ein Gemeinderat das Anliegen eines Bürgerbegehrens aufgreifen kann, sieht die Gemeindeordnung ausdrücklich vor. Das mag man gut finden oder auch nicht, aber Gesetze gelten insgesamt – nicht nur die Teile, die einem in den Kram passen. Dass die Ratsmehrheit diese Möglichkeit trotzdem nicht nutzen und nach dem erfolgreichen Bürgerbegehren nun auch die Bürger wirklich zu Wort kommen lassen will, ist ihr gutes Recht. Und es ist auch keine Frage, dass politische Kräfte Ecken und Kanten zeigen müssen – gerade in Zeiten, in denen die Unterschiede immer schwerer auszumachen sind. Wadlbeißerei darf jedoch kein inhaltliches Profil ersetzen.

Bevor man der politischen Konkurrenz „perfides“ Verhalten unterstellt und von „einer überheblichen und respektlosen Haltung gegenüber den demokratischen Rechten der Bürgerschaft“ spricht, sollte man sich gut überlegen, ob man damit unserem Gemeinwesen einen Gefallen tut. Demokratische Kräfte sollten ihre demokratische Integrität nicht gegenseitig in Zweifel ziehen. So viel Gemeinsamkeit sollte man sich über alle Grenzen hinweg bewahren. Sonst gibt man unfreiwillig, aber unweigerlich denen Recht, die um des eigenen Vorteils willen rücksichtslos Misstrauen gegen unsere demokratische Ordnung und deren Repräsentanten säen. Am Ende gibt es in diesem Spiel nur Verlierer.