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Vor der Sommerpause soll der Esslinger Gemeinderat über den künftigen Standort der Stadtbücherei entscheiden. Die CDU hat den Bibliotheksexperten Andreas Mittrowann zum Expertengespräch eingeladen. Der Fachmann empfiehlt eine großzügige Planung und verwies auf das Beispiel Hanau, wo die neue Bibliothek 6300 Quadratmeter habe. In Esslingen ist deutlich weniger im Gespräch.

EsslingenManche halten Bibliotheken im Zeitalter digitaler Medien für Auslaufmodelle. Andreas Mittrowann, Direktor des ekz Bibliotheksservices in Reutlingen, sieht das ganz anders: Für ihn sind Büchereien „Spiegel der Gesellschaft“. Und er ist überzeugt, dass sie noch an Bedeutung gewinnen werden – als Orte der Begegnung, des Entdeckens und des Entwickelns. Die Esslinger CDU hatte Mittrowann zur Diskussion ins Alte Rathaus eingeladen, und die große Resonanz zeigte, dass die Zukunft der Stadtbücherei vielen auf den Nägeln brennt. Bis Sommer soll der Gemeinderat entscheiden, ob der bisherige Standort in der Heugasse modernisiert und erweitert wird oder ob es einen Neubau zwischen Küferstraße und Kupfergasse geben wird – etwa 3600 Quadratmeter sind in beiden Fällen im Gespräch. Die Christdemokraten hatten sich schon im vergangenen Sommer für den Neubau ausgesprochen. Mittrowann gab ihnen den Rat, nicht zu klein zu planen, denn er ist überzeugt, dass Bibliotheken künftig noch mehr Platz brauchen. Und er führte das Beispiel der hessischen Stadt Hanau an, die 88 000 Einwohner zählt und wie Esslingen in unmittelbarer Nähe einer Großstadt liegt. Dort stehen 6300 Quadratmeter zur Verfügung. „Das muss nicht zu viel sein“, schrieb der Experte den Esslingern ins Stammbuch. „Für mich ist das die unterste Grenze.“

Anforderungen immer differenzierter

Tim Hauser, der Vorsitzende des CDU-Stadtverbands, ist sicher: „Wir werden Büchereien auch in Zukunft brauchen, aber sie werden sich dramatisch verändern.“ Und der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörn Lingnau sagt: „Wir wollen zunächst wissen, welche Bibliothek wir haben wollen. Davon sollten wir abhängig machen, wo sie steht. Der Bau muss sich der Funktion anpassen und nicht umgekehrt.“

Andreas Mittrowann beglückwünschte die Esslinger zur sehr erfolgreichen Stadtbibliothek und empfahl: „Sehen Sie Bibliotheken nicht als ewiggestrige Orte, sondern als Hebel, um Probleme der Gesellschaft zu meistern.“ Umfragen hätten gezeigt, dass 60 Prozent der Befragten auch in Zukunft Bibliotheken brauchen. Der Bedarf gelte auch für Esslingen, zumal die Stadt weiter wachsen werde. Darauf müsse sich die Bücherei einstellen. Dass das in den aktuellen Räumen nicht möglich ist, sei angesichts immer differenzierterer Anforderungen klar. Themen wie Spracherwerb, demografischer und digitaler Wandel oder Leseförderung würden immer wichtiger. Der Gedanke einer Bücherei als „dritter Ort“ neben Wohnung und Arbeitsplatz, wie ihn auch die neue Esslinger Konzeption vorsieht, sei wegweisend. In einer Zeit, in der es immer mehr Ein-Personen-Haushalte gebe, müsse die Bibliothek mehr denn je zum Ort der Begegnung werden. Unverzichtbar sei auch ein so genannter „Makerspace“, der Kernkompetenzen der Zukunft vermittelt und ein Experimentierfeld für eigene Kreativität und technische Fertigkeiten entstehen lässt. Dass das der Bibliothek zugute kommt, sei keine Frage: „Viele Menschen brauchen sie als digitales Ausprobierlabor. Solche Erfahrungen verbinden sie mit einer modernen Bibliothek.“ Und auch in Sachen Medienpädagogik sei erheblich mehr als bisher nötig.

In einer bundesweiten Umfrage, was eine gute Bibliothek bieten sollte, haben 71 Prozent der Befragten erklärt: „Es sollte eine angenehme Atmosphäre herrschen. Man sollte sich dort wohlfühlen.“ Mittrowann nannte Beispiele moderner Bibliotheken, die dieser Erkenntnis Rechnung getragen hätten – etwa im dänischen Aarhus, wo man das dortige DOKK 1 „im extremen interaktiven Dialog mit den Bürgern erarbeitet habe“ und wo man den Bücherei-Neubau auch als Stadtentwicklung verstanden habe. Den Esslingern empfahl der Experte, „extrem flexibel zu planen“ – unabhängig vom künftigen Standort. Die Stadtgesellschaft brauche vermehrt Möglichkeiten zum selbstbestimmten Lernen – die Esslinger Bibliothek sei bislang klar unterversorgt mit Lernplätzen. Selbst in Hanau, wo die Bibliothek als zentraler Teil eines Einkaufszentrums erheblich größer ist als alles, was in Esslingen bislang im Gespräch ist, seien häufig sämtliche Arbeitsplätze belegt.

Auf die Frage eines Bürgers, wie man in Esslingen die Anforderungen an eine neue Bibliothek auf weniger als 4000 Quadratmetern erfüllen soll, meinte Mittrowann vielsagend: „Das ist eine große Aufgabe.“ Dann könne er nur raten, den Medienbestand zu reduzieren und auf extreme Flexibilität zu setzen: „Sie müssen möglichst viele Regale auf Rollen stellen, damit man sie nach Bedarf verschieben kann. Dann sieht die Bibliothek morgens anders aus als mittags und abends anders als morgens.“