Moderne Fahrzeugtechnik stellt hohe Anforderungen an Azubis. Foto: dpa - dpa

Fast vier von fünf Abiturienten entscheiden sich heute für Hochschule oder Universität. Doch die Gleichung Abitur = Studium geht längst nicht in jedem Fall auf. Markus Knorpp, der Chef der Berufsberatung im Esslinger Arbeitsamt, rät Abiturienten im Gespräch mit unserer Zeitung, auch über die guten Möglichkeiten nachzudenken, die eine berufliche Ausbildung in vielen Fällen bietet.

Kreis Esslingen Für viele Gymnasiasten ist die Sache klar: Erst das Abitur, dann ein Studium. Dass sich auch eine berufliche Ausbildung für Abiturienten lohnen kann, wollen die Arbeitsagentur und die IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen in einer Informationsveranstaltung unter dem Titel „Abi trifft Karriere 2018“ zeigen, die am Dienstag, 24. Juli, um 18.30 Uhr bei der IHK in Esslingen beginnt. Markus Knorpp, Chef der Berufsberatung in der Esslinger Arbeitsagentur, erläutert im Gespräch mit unserer Zeitung, was Abiturienten bei der Berufswahl bedenken sollten.

Fast vier von fünf Abiturienten entscheiden sich heute für Hochschule oder Universität. Gilt die Gleichung Abi = Studium inzwischen etwas zu selbstverständlich?
Für viele Abiturienten gilt diese Gleichung wirklich recht selbstverständlich, was ich sehr schade finde, denn Berufs- und Studienwahl muss immer etwas Individuelles sein. Gleichungen, die oft auch gesellschaftlich vermittelt werden, können nicht bei einer Wahl helfen, die für den Einzelnen stimmig ist. Wir bemerken jedoch in Berufsberatungen, dass sich immer mehr Abiturienten Gedanken darüber machen, ob dieser scheinbar vorgezeichnete Weg zu ihnen passt. Viele streben eine durchdachte und bewusste Wahl an – unabhängig davon, ob das Ergebnis ein Studium oder eine duale Ausbildung ist. Unser Bildungssystem ist sehr vielfältig und bietet viele Ausbildungs- und Karrieremöglichkeiten außerhalb der Hochschulen. Jugendliche erleben, dass vielfältige Erwerbsbiografien möglich sind, mit denen man Erfolg haben kann.

Sind es eher die Schüler, die diesen Weg anstreben, oder nimmt das Elternhaus entsprechenden Einfluss?
Natürlich nehmen wir als Eltern immer Einfluss auf unsere Kinder. Meist ist das durch unsere eigenen Erfahrungen, Vorstellungen, Ziele und andere Einflüsse geprägt. Die Gründe für den Wunsch vieler Eltern, ihren Kindern ein Studium zu ermöglichen, sind sehr unterschiedlich. Deshalb freue ich mich, wenn Eltern zur Berufsberatung mitkommen. Dann reflektieren wir gemeinsam, welche Gründe die Eltern für ihren Wunsch haben, welche Gedanken sich die Schüler machen und welche Schlüsse daraus folgen. Es lohnt sich, bewusst mit den unterschiedlichen Erwartungen und Vorstellungen umzugehen. Die Eltern sind für ihre Kinder der wichtigste Ansprechpartner in der Berufswahl.

Ist ein Studium immer die beste Wahl?
Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, grundsätzlich einen Studienberuf anzustreben. Das ist weder ein Garant für Erfolg noch für berufliche Zufriedenheit. Beides stellt sich immer nur dann ein, wenn junge Menschen es schaffen, einen Beruf auszuwählen, der ihren Stärken, aber auch Schwächen entspricht. Es gilt also nicht, den höchstqualifizierten Beruf anzustreben, sondern eher den passenden zu suchen. Ich bin froh, dass unser berufliches Bildungssystem so flexibel ist, dass kein Beruf eine Einbahnstraße darstellt und eine Weiterentwicklung fast immer möglich ist. Wir müssen nicht alles sofort erreichen, sondern können ein Leben lang an unserem beruflichen Weg bauen.

Wird manchmal die Botschaft, dass man mit Blick auf künftige Anforderungen des Arbeitsmarktes eine höchstmögliche Qualifikation anstreben sollte, als Plädoyer für ein Studium missverstanden?
Ja, aber das ist ein Trugschluss, denn Anforderungen und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt richten sich nicht allein am Niveau des Berufs- oder Studienabschlusses aus. Unser Arbeitsmarkt ist heute wesentlich komplexer und hat ganz unterschiedliche Ausprägungen in den einzelnen Branchen und Berufen. Über eine erfolgreiche Zukunft entscheiden unterschiedliche Faktoren – der erste berufliche Abschluss ist nur ein Baustein. Viel wichtiger ist im Hinblick auf die zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes die Bereitschaft, sich beständig fortzubilden, weiterzuentwickeln und flexibel zu bleiben.

Ist man mit einem Studium wirklich besser gestellt?
Das kann man nicht pauschal sagen. Der Einstieg in den Arbeitsmarkt wird von Studienabsolventen oft als echte Hürde erlebt – insbesondere in theorielastigen Studiengängen, die nicht unbedingt zu einem konkreten Berufsbild führen. Dagegen finden viele Absolventen einer dualen Ausbildung ihren ersten Einstieg auch dank der praxisnahen Ausbildung wesentlich einfacher. Das Risiko der Arbeitslosigkeit ist stark vom Studienfach abhängig, wenn auch die Arbeitslosenquote bei Akademikern im Schnitt etwas geringer als bei Ausbildungsabsolventen ausfällt.

Verdient man in Ausbildungsberufen deutlich schlechter?
Es ist so, dass Akademiker im Schnitt besser verdienen als Ausbildungsabsolventen. Das sagt jedoch über den Einzelfall nichts aus. Vielmehr hängt das Gehalt weit mehr von der Branche und dem einzelnen Beruf ab. Ich kenne ehemalige Auszubildende, die nach einer Weiterbildung zum Meister oder Techniker mehr verdienen als Akademiker mit einem Doktortitel in bestimmten Branchen.

Wie sind die Reaktionen, wenn Sie im konkreten Fall zur Berufsausbildung raten?
Wenn wir Schulabgängern zur Berufsausbildung raten, haben wir zuvor eine intensive Analyse der Interessen und Fähigkeiten im Hinblick auf die Anforderungen von Studien oder Ausbildungen gemacht. Deshalb kommt der Rat nicht unerwartet. Für viele ist die duale Ausbildung nach diesem Prozess die erste Wahl, weil sie erkennen, dass dieser Weg für sie am besten passt. Leider erleben wir aber auch, dass Schulabgänger stark auf ein Studium fixiert sind oder einen beruflichen Traum haben, der sich mit einer Berufsausbildung auf den ersten Blick nicht vereinbaren lässt. Dann sind Korrekturen mitunter schwer. Eine Umorientierung braucht Zeit. Gerne begleiten wir Berufswähler auf diesem Weg.

Manche hoffen, dass sich etwaige Defizite im Laufe des Studiums schon geben werden. Ist es sinnvoll, sich zum Start ins Studium lieber etwas zu viel abzufordern?
Sich selbst zu fordern ist meist die Voraussetzung, um Erfolge zu erreiche. Überforderung führt jedoch meist zu Misserfolgen. Wichtig ist, dass man erkennt, wo Forderung aufhört und wo Überforderung beginnt. Ich rate dazu, die eigenen Kenntnisse und Fähigkeiten vor der Studienwahl zu erkunden. Dazu gibt es Test- und Beratungsangebote, die helfen, eine realistische Selbsteinschätzung zu entwickeln.

Was raten Sie denen, die sich damit trösten, dass sie nach einem gescheiterten Studium immer noch in eine Ausbildung wechseln können?
Es ist nicht so, dass Studienabbrecher in jeder dualen Ausbildung zu den bevorzugten Bewerbern gehören. Wenn die Gründe, die zum Abbruch des Studiums geführt haben, jedoch gut reflektiert und die richtigen Schlüsse daraus gezogen wurden, haben Studienabbrecher echte Chancen auf einen dualen Ausbildungsplatz. Wichtig ist, eine duale Ausbildung nicht als Notlösung zu sehen, sondern sich darauf zu konzentrieren, damit sich das Scheitern in der Ausbildung nicht wiederholt.

Interview: Alexander Maier.

Die Informationsveranstaltung „Abi trifft Karriere 2018“ wird von der IHK Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen und der Agentur für Arbeit im Rahmen des Fachkräftebündnisses im Landkreis veranstaltet und findet am Dienstag, 24. Juli, ab 18.30 Uhr in der IHK-Geschäftsstelle Esslingen, Fabrikstraße 1, statt. Experten informieren über Möglichkeiten für Abiturienten, zudem bieten Ausbildungs- und Studienbotschafter Erfahrungsberichte.