Werner Bolzhauser und Renate Bieda nehmen die Gäste - vor allem verbal - aufs Korn. Foto: Bail Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Im Eingang liegt ein Torso, daneben ein Bein. Auf der Bühne lauter Müll, Reste einer Wohlstandsgesellschaft: alte Autoreifen, ein ausgedienter Kinderwagen und weitere Schaufensterpuppenteile - Unterleib und Oberkörper sorgfältig getrennt. Das lässt nichts Gutes ahnen, auch nicht, als der Mann mit einem geträllerten „Sie liebt dich, yeah, yeah, yeah“ auftritt. Es klingt niedergeschlagen, obwohl er die Frau an diesen Un-Ort gebracht hat, um sie anzubaggern. Er will Sex. Sie will ihn kennenlernen. So beginnt Peter Turrinis einst skandalöses Empörungsstück „Rozznjogd“, das jetzt in der Spinnerei Premiere hatte, aufgeführt von Kultur am Rande.

46 Jahre nach der Uraufführung am Wiener Volkstheater schockieren die derbe Sprache und die direkte Handlung des Müllhaldendramas keinen Mensch mehr. Doch „Rozznjogd“ berührt auch heute noch, weil das Wutstück eine zeitlose Gültigkeit besitzt in seiner radikalen Kapitalismuskritik. Es dient als Anleitung zum Aufbegehren gegen den Überfluss dieser Konsumwelt, gegen die Güter und Statussymbole, hinter der sich die Gesellschaft verschanzt; jeder ist unfähig, sein wahres Gesicht zu zeigen.

Renate Bieda und Werner Bolzhauser, der auch Regie führt, vollführen in dem Zwei-Personen-Drama einen beinharten Seelenstriptease; dabei wollen sie sich allem, was falsch ist, entledigen. Bei ihr sind es die Haare, bei ihm die Zähne. Raus mit den Dingern! Das ist mutig. Während dieses seltsamen Spiels führen sie tiefgründige Gespräche über Wertesysteme und Fremdbestimmtheit. Alles widert ihn an, der Gestank der Gesellschaft, die falsch denkt, deren Hirn voll ist mit oberflächlichen Gedanken. Die Müllkippe dient als Projektionsfläche der Gefühle. Der Mann und die Frau lassen sich auf die totale Entblößung ein, werden ohne ihre Masken angreifbar und verletzlich, durch die wachsende Gemeinsamkeit aber auch stark.

Es sei kein Ort, an den man eine Frau bringt. Schon gar nicht beim ersten Mal, meckert sie angeekelt und erschrickt vor den Ratten. Er nimmt das Gewehr und zielt ins Publikum. Peng, peng, peng. Nicht alle getroffen, aber drei Zuschauer. Auch verbal nimmt der Mann die Gäste aufs Korn. Wütende Beschimpfungen, Drohungen fliegen in den Raum. Gesellschaftskritik in Reinkultur. Schließlich trägt jeder dazu bei, dass die Welt im Zivilisationsdreck zu ersticken droht.

Bolzhauser hat das Stück des österreichischen Autors lokal verortet. Sie spricht mit leicht schwäbischem Idiom. Er erzählt, dass der Ebershaldenfriedhof eine mit Erde aufgeschüttete Müllhalde gewesen sei und dass ihm das Rattenschießen mehr gebe als Bowling oder ein VfB-Spiel, auch wenn die zerfetzten Kadaver aussehen, wie die Montag-Morgen-Kotze in der Maille.

Der Mann will die Frau zerlegen wie ein Auto. Alles dekoratives Beiwerk wird zu Abfall: falsche Wimpern, Ohrringe, Schminke, Pille, Präservative, Pornoheft und sogar 500 Euro. Zum Schluss fallen die Hüllen. Der Mann lässt die Hosen runter, was sie mit der Bemerkung kommentiert: „Oben Hühnerbrust, unten Bierbauch“ und holt im Gegenzug den Push-up-Schaumstoff aus ihrem BH. Halbnackt und unvollkommen stehen sie sich gegenüber. Im Stroboskopblitzen beginnt ein abgehackter Liebesreigen, der mehr nach einem Ringkampf aussieht als nach romantischem Geschlechtsakt. Dann knallen Schüsse. Sie fällt zu Boden. Er bricht tot zusammen. Zwei Rattenjäger hielten sie für Nager. Die Stimmen von Christian A. Koch und Gerhard Polacek kommen aus dem Off, man hört, wie sie sich über die erschossenen Ratten unterhalten, die so eine menschliche Art an den Tag legten. Ein offenes und mutiges Spiel von Renate Bieda und Werner Bolzhauser - das noch noch ein paar Zuschauer mehr verdient hätte.

Das Stück wird am Mittwoch, 22. November, sowie am 6. und 13. Dezember, jeweils um 19.30 Uhr noch einmal gezeigt. Karten gibt es unter Tel. 381727.