Der Spinnereisaal der ehemaligen Württembergischen Baumwollspinnerei. Foto: Förderverein zur Erhaltung von L - Förderverein zur Erhaltung von Lokomotiven der Maschinenfabrik Esslingen

Daimler plant eine Batteriefabrik in Brühl. Es ist nicht der erste industrielle Wandel auf dem Areal: Früher stand hier die Württembergische Baumwollspinnerei.

EsslingenNoch in diesem Jahr will die Firma Daimler mit dem Bau ihrer neuen Batteriefabrik in Brühl beginnen. Der Neubau symbolisiert auch einen Wandel, nämlich die Entwicklung vom Verbrennungsmotor hin zum Batterieantrieb in der Automobilindustrie. Es ist nicht die erste industrielle Zäsur in Brühl: Anfang der 1960-er Jahre machte hier die einst prosperierende Württembergische Baumwollspinnerei Platz für einen neuen Werksteil von Daimler. Einige historische Gebäude zeugen noch heute von der industriellen Vergangenheit des kleinen Stadtteils am Rande Esslingens.

So gibt es nach Angaben von Daimler noch vier denkmalgeschützte Gebäude im Werksteil Brühl, der organisatorisch zum Mercedes-Benz-Werk Untertürkheim gehört. Dabei handelt es sich um zwei ehemalige Spinnereigebäude, ein ehemaliges Baumwollmagazin und um das Wohnhaus des Fabrikleiters der Baumwollspinnerei von 1856. Trotz ihres Alters sind die Gebäude jedoch keineswegs stillgelegt: Sie werden heute noch von der Daimler AG genutzt. Die ehemaligen Spinnereigebäude nutze man überwiegend als Lager und das ehemalige Baumwollmagazin als Werkstatt, teilt das Unternehmen mit. Im früheren Wohnhaus des Fabrikleiters und einem neuen Anbau befinde sich die Kantine des Werksteils Brühl.

Außerdem gibt es noch einen denkmalgeschützten Park auf dem Gelände. Allerdings werden durch den Bau der Batteriefabrik rund 800 Quadratmeter der Grünfläche entfallen. Das städtische Denkmalamt stellte Bedenken gegen einen solchen Eingriff zurück, weil der Park durch den Anbau an die Mensa ohnehin schon in „nicht unerheblichem Maße gestört“ gewesen und darüber hinaus auch durch andere Modernisierungen verändert worden sei, erklärt Roland Böhm, Leiter des städtischen Baurechtsamts, zu dem auch der Denkmalschutz gehört.

Die historischen Gebäude auf dem Areal stammen aus einer durchaus erfolgreichen Zeit. Laut Martin Beutelspacher, Leiter der Städtischen Museen in Esslingen, war die Württembergische Baumwollspinnerei neben der Maschinenfabrik Esslingen die große Fabrik schlechthin in der Umgebung. Zu Hochzeiten seien hier um die 1500 Arbeiter beschäftigt gewesen. Sie hatten die Aufgabe, die Baumwolle zu verspinnen und zu verweben. So entstand ein Stoff, der zu großen Ballen aufgerollt und dann weiter verkauft wurde. Bedruckt worden seien die Stoffe nicht in der Fabrik selbst, sondern vermutlich von kleineren Siebdruckereien, von denen es damals viele in der Umgebung gab, erzählt Beutelspacher. Allerdings habe es wohl einen Fabrikverkauf gegeben, in dem auch bedruckte Stoffe verkauft wurden.

Mit der Fabrik wollte man vor allem die englische Dominanz in der Baumwollbranche durchbrechen, sagt Beutelspacher. Wegen ihrer vielen Kolonien in Ländern, in denen Baumwolle wächst, seien die Engländer immer gut mit dem Rohstoff versorgt gewesen. Um dem etwas entgegen zu setzen, tat man sich auf Initiative der württembergischen Staatsregierung zusammen. „Alles, was Geld hatte, kaufte Aktien der Fabrik“, erzählt Beutelspacher. Alle großen Bankhäuser in Stuttgart seien dabei gewesen, ebenso wie die wohlhabenden Bürger in der Umgebung. Schon nach knapp vier Wochen waren 1,2 Millionen Gulden für die Gründung der Spinnerei zusammen gekommen. „Das war eine gigantische Summe für damalige Zeiten“, sagt Beutelspacher.

Eigens für die neue Spinnerei habe man Anfang der 1850-er Jahre auch den Durchbruch der Neckarschleife bei Brühl vorgenommen, so der Museumsleiter. Davor habe es noch die Neckarschleife gegeben, die in etwa von der Stelle, wo heute das Eberhard-Bauer-Stadion steht, hinüber nach Mettingen und wieder zurück verlaufen sei. Doch man hatte festgestellt, dass es bei Brühl ein relativ starkes Gefälle auf recht kurzer Strecke gab – das wollte man für Wasserkraft nutzen.

So schien Brühl der ideale Standort für eine große Baumwollspinnerei: Es gab Energie, es gab die Eisenbahn quasi direkt vor der Tür und es gab Arbeitskräfte. Außerdem gab es einen Willigen, der die Fabrik betreiben wollte: Man gewann die Firma Joh. Jacob Rieter & Co. aus Winterthur in der Schweiz für die Gründung einer Baumwollspinnerei und Weberei. Der Bau war bereits nach etwa zwei Jahren im Jahr 1857 abgeschlossen. Schon innerhalb weniger Jahre entwickelte sich die Fabrik zur produktionsstärksten Baumwollfabrik in ganz Württemberg. Neben der Fabrik entstand eine Arbeitersiedlung, die stetig erweitert wurde. Im Jahr 1908 lebten hier bereits 114 Familien in Wohnungen, die für damalige Verhältnisse sehr modern waren. Zudem wuchs die Infrastruktur: Weil der Stadtteil so abgelegen war, gab es hier bald auch eine Schule, einen Kindergarten und Geschäfte. Der Bau der Spinnerei war auch der Beginn des Stadtteils Brühl, denn letztlich entstand dieser nur wegen der neuen Fabrik mitten auf der grünen Wiese.

Den Stadtteil Brühl gibt es noch, doch seine Geburtshelferin, die Baumwollspinnerei, ist schon lange Geschichte. Nach etwa 100 Jahren Produktion war Schluss: Die Krise der Textilindustrie hinterließ auch in Brühl ihre Spuren. 1961 wurde das Areal samt Gebäuden von der Firma Daimler aufgekauft. Zudem wurden Arbeiterhäuser abgerissen, um den Weg für den Neubau der B 10 frei zu machen.

Heute bestimmen vor allem Wohnblocks und das Daimler-Gelände den Stadtteil an der Bundesstraße 10. Bislang betreibt Daimler hier vor allem Motoren-Prüfstände für Lastwagen, Lagerhallen und Werkstätten sowie ein Ausbildungszentrum. Letzteres soll nun jedoch Platz für die neue Batteriefabrik machen. Zudem ist auf dem Areal ein Showroom zur Darstellung der E-Mobilität geplant: Ein Blick in die Zukunft auf historischem Gelände.