Die Bahnhofsunterführung soll saniert und verschönert werden. Die Trennwände und die Baustelle sorgen derzeit oft für Gedränge. Quelle: Unbekannt

Von Melanie Braun

Für viele ist es ein Skandal: Der Aufzug von der Unterführung im Bahnhof hoch zum Bahnhofsplatz wird nicht rechtzeitig zum Weihnachtsmarkt fertig. Die Bahn hat den seit Langem störanfälligen Fahrstuhl bereits ausgebaut, der Ersatz wird allerdings voraussichtlich erst im Februar fertig sein. Das bedeutet für Menschen von außerhalb, die schlecht zu Fuß sind, im Rollstuhl sitzen oder mit Kinderwagen unterwegs sind, dass sie den Weihnachtsmarkt nicht mit der Bahn erreichen können.

Schon jetzt ist die Situation am Bahnhof Esslingen für viele eine Katastrophe: Wegen Arbeiten der Bahn ist die Unterführung von provisorischen Trennwänden aus Holz durchzogen und an manchen Stellen mit rot-weißem Bauzaun abgesperrt. In Stoßzeiten herrscht hier ein dichtes Gedränge. Das allerdings wird während des Weihnachts- und Mittelaltermarkts, zu dem rund eine Million Besucher erwartet werden, anders sein. Man werde die Arbeiten in dieser Zeit unterbrechen und die Trennwände abbauen, teilt Werner Graf, Pressesprecher der Bahn, mit. Schließlich wolle man in dieser Zeit nicht für unnötige Behinderungen im Bahnhof sorgen.

Deshalb werde man im Dezember auch nicht am neuen Fahrstuhl arbeiten. Denn dafür müsse man den Bereich um diesen herum so weiträumig absperren, dass auch das zu erheblichen Behinderungen der Fußgängerströme führen würde, sagt Graf. Eigentlich sei geplant gewesen, sowohl die Arbeiten am Aufzug als auch die an den Gleisen und in der Unterführung vor Beginn des Weihnachtsmarkts zu beenden. Doch wegen verschiedener Probleme habe sich das Projekt verzögert.

Marode Fundamente

So habe es verschiedene technische Schwierigkeiten gegeben, außerdem habe man entdeckt, dass die Fundamente des Dachs am Bahnsteig der Gleise 2 und 3 marode seien. Deshalb müssten Letztere nun zunächst erneuert werden, bevor der Bahnsteig - ebenso wie der Bahnsteig der Gleise 5 und 6 - auf 76 Zentimeter erhöht wird, um einen barrierefreien Einstieg in die Regionalbahnen zu ermöglichen. Auch diese Arbeiten werden erst im neuen Jahr beendet. „Während des Weihnachtsmarkts wollen wir die Arbeiten auf das Nötigste beschränken“, sagt Werner Graf. Dennoch wird der Esslinger Bahnhof für viele Menschen in dieser Zeit eine unüberbrückbare Barriere darstellen: Für mobilitätseingeschränkte Menschen gebe es keine Möglichkeit, vom Bahnhof in die Innenstadt zu kommen, so Graf.

Im Rathaus ist man sehr verärgert darüber: „Das ist höchst bedauerlich“, betont der Stadtsprecher Roland Karpentier. Nicht nur wegen des anstehenden Weihnachtsmarkts, sondern auch, weil der Bahnhof der wichtigste Verkehrknoten in Esslingen sei. Hier fänden täglich 40 000 Umstiege zwischen Bussen und Bahnen statt: „Wir haben allergrößtes Interesse daran, dass die Barrieren hier so schnell wie möglich entfernt werden“, sagt Karpentier.

In Gesprächen mit der Bahn habe man darauf gedrungen, dass das schnell erledigt werde, doch mehr könne man nicht tun. Das sei umso bedauerlicher, als dieses Manko sicher der Stadt angekreidet werde und nicht der Bahn. Und das, obwohl sich die Stadt an den Arbeiten sogar finanziell mit rund zehn Prozent der Gesamtkosten beteilige. Eine solche Beteiligung der Kommunen sei generell Politik der Bahn - wer das ablehne, könne damit rechnen, dass die Projekte nicht schnell umgesetzt würden.

Der SPD ist die Situation am Bahnhof ebenfalls ein Dorn im Auge. In einem Brief an die Bahn, der auch der EZ vorliegt, spricht sie von „kaum noch tragbaren Zuständen“. Dass die Sanierung des Hauptaufzugs so lange dauere, sei nicht nachvollziehbar, zumal dadurch kein einziges Gleis mehr barrierefrei erreichbar sei. Die zusätzliche Behinderung der Fußgängerströme durch die Arbeiten in der Unterführung sei ebenfalls kaum mehr hinnehmbar. Man fordere die Bahn nachdrücklich auf, insbesondere während des Weihnachtsmarkts für reibungslose Abläufe im Bahnhof zu sorgen.

Auch von Seiten lokaler Verbände, die sich vor allem für die Interessen mobilitätseingeschränkter Menschen einsetzen, kommt heftige Kritik. Die mangelnde Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr sei generell problematisch, heißt es - und dieser Fall besonders. „Das ist eine Riesensauerei“, findet Wolfgang Latendorf, der Esslinger Kreisvorsitzende des Sozialverbands VdK. Der Esslinger Bahnhof falle nun für Menschen, die keine Treppen steigen können, auf längere Sicht aus - und auch der Busbahnhof sei nicht ideal. Denn die Bordsteine der Bussteige seien oft an abgelegenen Stellen abgesenkt, so dass das Umsteigen noch länger dauere als ohnehin schon.

Frieder Häussler, Vorsitzender des „Vereins für Körperbehinderte Esslingen“ mit Sitz in Ostfildern, sagt: „Wir sind alles andere als begeistert.“ In Esslingen seien die Aufzüge schon so oft ausgefallen, dass er sich wundere, warum es der Bahn nicht gelinge, einen nachhaltig barrierefreien Zugang zum Bahnhof zu schaffen. Er sehe als Alternative zur Bahn für Körperbehinderte eigentlich nur das Auto, aber davon sei bei Großveranstaltungen wie dem Weihnachtsmarkt eigentlich auch nur abzuraten.

Ursula Hofmann, Leiterin der Gruppe Rückenwind im Verein für Körperbehinderte, bedauert, dass der defekte Aufzug wohl dazu führen werde, dass viele Gruppen von Menschen mit Behinderungen nicht zum Weihnachtsmarkt kommen könnten. Es gebe angesichts von Verkehrschaos und Parkplatznot in der Zeit für sie kaum praktikable Alternativen zur Anreise mit der Bahn. Es sei denn, man steige in Oberesslingen oder Mettingen aus und nehme dann den Bus - was aber auch mit Aufwand verbunden sei. Besonders ärgert Hofmann, dass nicht schon in den Bahnen auf den defekten Aufzug hingewiesen werde: „Nicht jeder schaut vorher im Internet, ob er funktioniert.“

Auf Umwegen in die innenstadt

Linienbus: Wer die Barrieren im Esslinger Bahnhof nicht überwinden kann, aber dennoch mit der Bahn nach Esslingen, etwa zum Weihnachtsmarkt, fahren will, kann bis zu den S-Bahn-Haltestellen Oberesslingen oder Mettingen fahren. Von dort aus fahren Linienbusse zum Esslinger Busbahnhof (ZOB) in der Innenstadt. Von Mettingen aus ist das etwa die Linie 101 in Richtung Oberesslingen Lerchenäcker, von Oberesslingen aus die Linie 101 in Richtung Obertürkheim, die Linien 106 und 114 zum ZOB Esslingen oder die Linie 103 nach Hedelfingen.

Shuttlebusse: An den Adventswochenenden organisiert die Stadt zwei Shuttlebusse zum Esslinger Weihnachtsmarkt. Eine Pendelfahrt geht vom Daimler-Parkplatz in Mettingen zur Bushaltestelle Schelztor und zurück, die andere von der Firma Eberspächer in Oberesslingen zur Bushaltestelle Augustinerstraße/Kleiner Markt und zurück. Samstags wird von 11 bis 21.45 Uhr im 30-Minutentakt gefahren, Sonntags von 11 bis 21 Uhr im 15-Minutentakt.