Bei Conzelmann Foto: Markus Brändli - Markus Brändli

Bäckereien in Esslingen und Umgebung und ihre Kunden sind genervt: Mit der seit Jahresbeginn greifenden Bonpflicht müssen selbst Kassenbelege für den Kauf eines einzelnen Brötchens ausgedruckt werden.

EsslingenDer geflochtene Korb, in den die Verkäuferinnen hinter der Ladentheke die abgelehnten Kassenbons legen, ist nach nur einer Stunde voll. Das Gros der Kunden in der Bäckerei Conzelmann in Wäldenbronn will nun mal keinen Beleg. „Ich will den Kaffee nicht von der Steuer absetzen“, sagt ein Kunde mit einem Augenzwinkern. Doch andere schimpfen auch, berichtet Chefin Sidonie Conzelmann, die gemeinsam mit ihrem Mann Uwe den Betrieb mit drei Filialen leitet. Weniger als zehn Prozent der Kunden möchten ihr zufolge den Beleg, der auf umweltschädlichem Thermopapier gedruckt wird. Doch mit dem neuen Kassengesetz, das seit Jahresbeginn in Teilen greift, hat der Bäckereibetrieb keine andere Wahl: Seither spucken die Kassen von Conzelmann auch bei den oft kleinen Beträgen von 70 oder 80 Cent ungefragt den Bon aus. Der dann im Korb landet. „Für uns ist es teuer und für die Umwelt schlecht“, sagt Sidonie Conzelmann.

Für viele Kunden ein unverständliches Gesetz. „Ich nehme den Bon nie mit“, sagt etwa Renate Greiner (73). Auch Inga Zitzmann (33) findet einen Beleg bei solch kleinen Beträgen „überflüssig“. Dennoch nimmt sie den Zettel von der Bäckereifachverkäuferin entgegen – um ihn zuhause selbst wegzuwerfen. So hält es auch Konrad Gaag (67). Für ihn sind Bäckereien der falsche Adressat für das neue Gesetz, während er die damit bezweckte stärkere Kontrolle gegen Steuerhinterziehung in der Gastronomie befürwortet. Doch beim Einkauf bei Conzelmann ärgert ihn der große Müllberg durch die vielen Bons, zumal Thermopapier nicht mal mit dem Altpapier recycelt werden könne, sondern wegen seiner Belastung mit Chemikalien im Restmüll lande. „Da sagen alle, man soll umdenken und dann so etwas“, regt sich auch Adisa Passen (33) auf. „Wenn ich einen Kassenbeleg brauche, sage ich es.“ Einzig Klaus Franck nimmt das Papier immer gerne entgegen: „Ich führe ein Wirtschaftsbuch“, erklärt der 83-Jährige. Allerdings solle jeder selbst entscheiden können, ob er einen Beleg will oder nicht.

1,5 Kilometer Papier am Tag

Das können die Kunden auch weiterhin. Weshalb viele die Bons einfach an der Ladentheke liegenlassen. Bei den Bäckern im Kreis Esslingen sorgt das für Kopfschütteln. In anderen Ländern wie Italien oder Österreich müssten die Verbraucher die Kassenbelege zumindest bis außerhalb des Geschäfts mitnehmen, erklärt Frank Schultheiß, der mit Cousin Christian Schultheiß die gleichnamige Stadtbäckerei mit Sitz in Ostfildern und mehr als 20 Filialen in der Region führt. Wie die anderen befragten Bäckereiunternehmen haben auch Schultheiß’ schon flächendeckend elektronische Kassen in ihren Ladengeschäften. Die nach deren Ansicht nach weiteren technischen Aufrüstungen manipulationssicher sind, weil jeder Tastendruck gespeichert wird. Dennoch: „Wir drucken jeden Bon aus, den keiner haben möchte“, sagt Schultheiß. 1,5 Kilometer täglich in seinen Filialen. Ein sechs Mal so hohes Papieraufkommen in den über 20 Filialen der Esslinger Bäckerei Zoller. 2500 bis 3000 Bons täglich bei Martin Schill von der Denkendorfer Bäckerei mit elf Filialen. Eine elektronische Lösung statt des Bondrucks – etwa ein Beleg per E-Mail oder App aufs Smartphone des Kunden – halten die befragten Betriebschefs zwar für grundsätzlich zukunftsfähig – aber, so der Tenor, es gibt noch keine technische Lösung, die dem hohen Zeitdruck an der Bäckereikasse gerecht wird.

Neben den Kosten für das zusätzliche Thermopapier und dessen Entsorgung rechnet Martin Schill mit zwischen 10 000 und 15 000 Euro zusätzlichen Investitionskosten für die sogenannte Technische Sicherungseinheit (TSE), die nach dem Willen des Gesetzgebers an die Kassen angeschlossen werden sollen. Die Bäckerei Zoller hat nach Angaben von Jörg Zoller gar 25 000 Euro für 2020 eingeplant.

Hoffnung auf die Ausnahme

Nachdem es der Landesinnung des Bäckereihandwerks nicht gelungen war, eine branchenweite Ausnahmeregelung für die Bonpflicht zu erhalten, haben es viele Bäcker einzeln versucht. Von den Befragten hatte nur Martin Schill Glück: Der Betrieb habe im Oktober die Befreiung von der Bonpflicht erhalten, sie sei im Dezember aber wieder vom Finanzamt zurückgenommen worden – warum, dazu war am Dienstag bei den Finanzbehörden keine Antwort zu erhalten. Alle anderen Anfragen wurden abgelehnt oder noch nicht beantwortet. Die Signale aus den Finanzbehörden geben allerdings wenig Hoffnung, auf eine zeitnahe positive Antwort. Doch die Bäcker sind guter Dinge, dass sich vielleicht nach einiger Zeit Erleichterungen oder Ausnahmeregeln für sie ergeben. „Ich rechne eigentlich damit, dass die Bonpflicht früher oder später für die Bäcker aufgehoben wird, weil es in unserer Branche keinen Sinn macht“, sagt etwa Edith Cnossen von der gleichnamigen Esslinger Bäckerei.

Infos zur Neuregelung

Ob Bäcker, Metzger oder Imbissstube: Händler und Gastronomie müssen seit Jahresbeginn bei jedem Kauf einen Kassenbon ausgeben. Die neue Pflicht ist Teil eines bereits Ende 2016 beschlossenen Gesetzespakets, dem sogenannten Kassengesetz, mit dem Steuerbetrug an Ladenkassen eingedämmt werden soll. Der Staat verliert hohe Summen, weil Unternehmen ihre Umsätze nicht oder falsch erfassen – vor allem in der Gastronomie und anderen Branchen mit hohem Bargeldanteil. Die Steuergewerkschaft und einige Bundesländer bezifferten den Schaden in der Vergangenheit auf jährlich etwa zehn Milliarden Euro.

Durch eine technische Sicherheitseinrichtung (TSE) sollen Kassen fälschungssicher werden. Ursprünglich sollten sie bis zum Jahresbeginn die neuen Vorschriften erfüllen, das Finanzministerium räumte nun Zeit bis Ende September ein. Die Bonpflicht gilt trotzdem von Januar an. Mit dem Papierbeleg soll gesichert werden, dass ein Kaufvorgang tatsächlich in der Kasse erfasst wird – und der Verkäufer nicht nur so tut.

Die Chancen auf eine Ausnahme von der Bonpflicht stehen für viele der Bäcker wohl schlecht, wie eine Sprecherin des Finanzministeriums Baden-Württemberg zu verstehen gibt. Es gebe die Anweisung, sehr restriktiv zu bescheiden. Einen Härtefall geltend zu machen, sei beispielsweise schwierig, wenn schon elektronische Registrierkassen vorhanden seien, die Bons ausdrucken könnten. Derzeit würden alle eingehenden Anträge gesammelt und dann bearbeitet. Wann Antworten zu erwarten sind, dazu hatte die Sprecherin keine Informationen.(dpa/gg)