Quelle: Unbekannt

„Macht allein durch Gnade.“ Aus diesem Grundsatz heraus wagte es der englische Theologieprofessor John Wyclif im Jahr 1370, den politischen Machtanspruch seiner Kirche in Frage zu stellen. Für ihn war klar: Jede menschliche Autorität ist von Gott selbst aus reiner Gnade verliehen worden. Von seinen Gedanken wollte man jedoch nichts wissen. Noch 30 Jahre nach seinem Tod hielt man es für nötig, ihn zum Ketzer zu verurteilen.

„Macht allein durch Gottes Gnade.“ Auf den ersten Blick hat dieser Grundsatz hat auch in einer parlamentarischen Demokratie wie der unseren nichts zu suchen. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, steht in Artikel 20 des Grundgesetzes. Durch Wahlen wird diese Macht dann an Parteien beziehungsweise konkrete Personen übertragen. Und das sicher nicht aus Gnade, sondern aus der Überzeugung heraus, dass der oder die Gewählte die Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft gut vertreten kann. Trotzdem ist etwas dran an dem Gedanken, dass Macht auf Gnade angewiesen ist. Keine Bundeskanzlerin, kein Minister, kein Vorstandsvorsitzender, auch kein amerikanischer oder türkischer Präsident kann davon ausgehen, so viel Sachkenntnis und Weisheit, Weitsicht, Mut und Unbefangenheit zu besitzen, dass er oder sie vor Fehlentscheidungen vollständig gefeit ist.

Die Einsicht, dass es vor allem der Gnade Gottes zu verdanken ist, wenn mächtige Menschen kluge Entscheidungen treffen, kann sowohl den Gewählten als auch den Wählern ab und zu den Kopf zurechtrücken. Sie macht Mut, die Gewählten manchmal ins Gebet einzuschließen. Und sie lässt hoffen!

Clemens Grauer, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Deizisau