Arbeitslos, Gutverdiener, Single oder Familienmensch – die soziale Herkunft spielt bei der Vesperkirche keine Rolle. Foto: Dietrich - Dietrich

Gutes Essen genießen und in Kontakt mit Menschen kommen, die man sonst vielleicht nie treffen würde. Das ist das Konzept der Vesperkirche, das auch in diesem Jahr wieder viele Menschen anzieht.

EsslingenSetzt die große Straßenbaustelle der Esslinger Vesperkirche zu? Nein, es ist dort trotzdem jeden Tag voll. Aber es gibt schon Auswirkungen: „Es hat schon mal ein Mitarbeiter angerufen und gefragt, wie er denn in die Frauenkirche kommt“, sagt Bernd Schwemm, Projektleiter im sechsten Jahr. Wegen der Baustelle hat er den Essenslieferanten gewechselt. Bisher hat unter der Woche Daimler gekocht, am Wochenende Dienste für Menschen. Nun kocht Dienste für Menschen die ganze Zeit. Schwemm hatte Angst, dass Daimler bei der Anlieferung mit dem Laster nicht durchkommt, das Fahrzeug von der Kennenburg ist kleiner. „Daimler hatte volles Verständnis, unterstützt uns weiterhin mit einer Spende und mit Ausrüstung.“

Jeder Tisch hat einen Namen

An diesem Samstag gibt es 450 Essensportionen, jeden Tag sind 60 bis 70 Mitarbeiter im Einsatz. „Gefühlt sind die meisten Stammgäste“, sagt Schwemm zu den Besuchern. „Manchmal fragt man, warum ist der nicht da, dann heißt es, er sei im Gefängnis, krank oder tot.“ In der Vesperkirche wisse ein Gast nie, wer ihm gegenüber sitze, sagt Schwemm, und es sei auch völlig egal. Damit meint er nicht Gleichgültigkeit, sondern dass der soziale Status keine Rolle spielt. Vorurteile können entsetzlich weit in die Irre führen, Schwemm erzählt von der „Migrantin“, die am Ausgang als Spende einen 500 Euro-Schein aus der Tasche zog: „Ich finde gut, was ihr hier macht.“ Der Tischnachbar könnte auch ein Graf sein, das kam in den Vorjahren schon vor, oder jemand wie Gregor Gysi, der war auch schon mal spontan da.

Ein Stammgast, einst wohnsitzloser Straßenzeitungsverkäufer, hat nun Job und Wohnung. „Schön, dass sich etwas positiv entwickelt“, sagt Schwemm. Es gibt aber auch schwere Aufgaben: Eine Frau ist schwanger, ohne Wohnsitz und ohne Papa. Die Vesperkirche versucht, sie weiterzuvermitteln. Für Schwemm sind Menschen mehr als Fälle, Zahlen, Klienten. Deshalb hat er sich auch an den Tischnummern gestört, nun hat jeder Tisch zusätzlich einen Namen, von Willy Brandt über Rosa Parks bis Bill Gates. „Es sind alles Menschen, die sich für andere eingesetzt haben.“ Zu jedem Namen gibt es auf dem Tisch eine kurze Erklärung.

Barbara Fries fragt nach den Essenswünschen, sie ist einer von knapp 60 Mitarbeitern aus Esslingen-Berkheim und im dritten Jahr dabei. „Da ich gerne laufe, nehme ich meistens die Familientische. Das ist ein weiter Weg, aber es macht mir Spaß.“ Schwemm muss dringend weg, zwei Spülmaschinen leuchten Rot. „Das Spülnetz ist vom Milchreis verstopft“, vermutet er. Die Störung wird beim Spülteam noch für Nachsitzen sorgen: Während gegen 14.30 Uhr die Frauenkirche bereits für den nächsten Tag hergerichtet wird, stapelt sich vor dem Spülcontainer noch das Geschirr.

„Ihr seid Engel“

„Möchten Sie meinen Salat?“ Das Angebot der Frau vom Nachbartisch ist nett, aber nach Suppe, Krautwickel mit Kartoffelpüree und Milchreis nicht mehr nötig. „Das ist eine ganz bunte Mischung von Leuten hier, wunderbar“, stellt eine andere Besucherin fest. „Man wird immer frisch eingeteilt, das ist das Spannende daran“, berichtet Hannelore Ziegler aus Baltmannsweiler von ihrem Einsatz, nun im dritten Jahr. „Die meisten wollen richtig schaffen, deswegen kommt man ja. Ich füge mich allem.“ Heute hätte sie gar keinen Dienst, begleitet aber den Enkel, der am Kaffeeausschank sein Sozialpraktikum für die Schule macht.

Dirk Rupp hat es nicht an seinem Beratungstisch gehalten, den er für den Krankenpflegeverein „Miteinander – Füreinander RSKN“ besetzt, der heute an der Reihe ist. Rupp setzt sich zu den Leuten an die Tische, mit zwei Gästen entwickelt sich ein ernsthaftes seelsorgerliches Gespräch. Er trifft einen Mann, der bereits Erfahrung im Umgang mit Demenz hat und den er vielleicht für den Besuchsdienst gewinnen kann. „Das wäre ein sehr wertvoller Mitarbeiter.“ Eine Frau von über 90 Jahren vermittelt er an den Tagestreff St. Vinzenz.

Das Essen sei sehr gut, lobt Heinz Jeschonnek aus Berkheim. „Hier in der Kirche zu essen, ist für mich eine Genesung.“ Was er noch mehr schätzt: „Man hat viele Ansprechpartner.“ Beate Latendorf, heute eine der drei Tagesleiter, zitiert einen anderen glücklichen Gast: „Sie sind alle Engel für uns“, habe er den Mitarbeitern gesagt. „Wir haben so viele dankbare Menschen hier.“ Latendorf ist seit elf Jahren bei der Vesperkirche Esslingen. „Wir sind dauernd dabei, etwas zu verändern“, sagt sie. Auch wenn dann mal einer sage: „Das haben wir bisher immer anders gemacht.“ Sie versteht es, mit ganz verschiedenen Mitarbeitern zu jonglieren. „Wir hatten am gleichen Tag Schülerinnen vom Beruflichen Ausbildungszentrum BAZ und Führungskräfte vom Daimler.“ Es denke keiner, eine Führungskraft komme nicht mit einer Vesperkirche klar: „Die kann man überall einsetzen.“

Die Vesperkirche geht noch bis zum 7. April. Getränke gibt es ab 11.30 Uhr, Essenausgabe von 12 bis 14 Uhr.