In seiner Geburtsstadt Mossul hat Mohammed Taher Al-Radwany erlebt, dass verschiedene Religionen auch friedlich zusammenleben können. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Der Dialog der Religionen liegt Professor Mohammed Taher Al-Radwany seit vielen Jahren am Herzen. „Mein Engagement hat viel mit meiner Herkunft und meinem Leben zu tun“ sagt er.

EsslingenAm Esslinger Grundlagenpapier über den Dialog der Religionen hat Professor Mohammed Taher Al-Radwany ebenso mitgewirkt wie an der Spendensammlung für die Tora-Rolle der jüdischen Gemeinde. Als der evangelische Dekan Bernd Weißenborn am Tag nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle spontan zu einer Mahnwache vor der Esslinger Synagoge aufrief, reihte sich der 83-Jährige selbstverständlich mit ein – und das nicht nur, weil er Dialogbeauftragter der Esslinger Fatih Moschee und Mitglied im Unterstützerkreis der Synagoge ist. „Mein Engagement im interreligiösen Dialog und meine Haltung haben viel mit meiner Herkunft und meinem Leben zu tun“, sagt der promovierte Paläontologe.

Geboren ist Mohammed Taher Al-Radwany in Mossul – jener Stadt im Nordirak, die die Terrorgruppe Islamischer Staat im Juni 2014 eingenommen hatte und die seit der Rückeroberung durch die Koalitionsstreitkräfte schwer beschädigt ist. „Mossul war eine Stadt, in der Juden, Christen, Jesiden und Muslime über Jahrhunderte hinweg immer friedlich zusammen gelebt haben. Sie war ja auch Bischofssitz verschiedener christlicher Kirchen“, erzählt Mohammed Taher Al-Radwany. „Daheim wurde uns der Respekt vor den anderen Religionen gelehrt und auch mit den Schiiten hat es nie Probleme gegeben.“ Noch gut erinnert er sich, wenn er als Kind mit seinem Vater, der als Arzt gearbeitet hat, über den Basar geschlendert ist. „Da saßen christliche, muslimische und jüdische Händler friedlich beieinander, manche waren direkte Geschäftspartner.“ Auch in der Schule habe es keine Rolle gespielt, welcher Religion oder Volksgruppe der Nebensitzer angehört. „Man war miteinander befreundet und hat nicht nach der Religion gefragt“, berichtet der 83-Jährige, der nach dem Schulabschluss zum Geologie-Studium nach Bagdad gegangen ist. Dank seiner sehr guten Leistungen hatte er bald ein Stipendium und die Zulassung in der Tasche, sein Studium an der Uni Bonn fortzusetzen. „So bin ich 1960 nach Deutschland gekommen.“ Fünf Jahre später lernte er in Tübingen seine Frau kennen. „Seither habe ich die evangelische Kirche im Haus“, sagt Mohammed Taher Al-Radwany und lacht. Nach der Promotion an der Uni Tübingen folgte er 1975 dem Ruf als Professor für Paläontologie an die Universität Mossul.

1990 wurde die Familie dann jäh auseinander gerissen. Im Juli hatte sich seine Frau gemeinsam mit den drei Töchtern auf den Weg zu ihren Eltern nach Esslingen gemacht. „Sie hatten ein Rückflugticket für den 16. August“, erzählt Al-Radwany. „Doch nach dem Einfall der irakischen Truppen in Kuwait am 2. August sind sie sicherheitshalber in Deutschland geblieben.“ Da er als Uni-Angehöriger nicht ausreisen durfte, sollte es neuneinhalb Jahre dauern, bis die Familie wieder vereint war. „Das war schon eine sehr schwere Zeit“ – vor allem emotional, aber auch finanziell. „Durch die Sanktionen gegen den Irak war die Uni ebenfalls am Boden. Wir hatten keine Gelder für die Forschung und Lehre mehr.“ Um sein Professorengehalt von umgerechnet 15 D-Mark aufzubessern, hielt sich der Wissenschaftler mit Übersetzungen und Deutschunterricht über Wasser. Und er nutzte die Zeit, um Islamwissenschaften zu studieren.

Der Auseinandersetzung mit der eigenen und anderen Religionen ist er nach der Emeritierung und der damit verbundenen Ausreisegenehmigung treu geblieben. „Die heiligen Bücher sind teilweise unzulänglich übersetzt. Das hat zu vielen Missverständnissen geführt und die christlich-islamische Begegnung negativ beeinflusst“, hat der Professor festgestellt. Um diese Missverständnisse auszuräumen, hat Mohammed Taher Al-Radwany, der Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für christlich-islamischen Begegnung und Zusammenarbeit in Stuttgart ist und sich zudem im Haus Abraham im Stuttgarter Lehrhaus engagiert, in den vergangenen zwei Jahren 15 Übersetzungen des Koran überarbeitet und miteinander verglichen. „Ich freue mich sehr, dass die evangelische Akademie in Bad Boll dieses Thema in größerem Rahmen aufgreifen möchte.“

Dass Menschen verschiedener Religionen nicht miteinander klarkommen, „liegt vor allem daran, dass Politik und Religion miteinander vermischt werden oder die Religion sogar politisch missbraucht wird“, sagt Al-Radwany. So hätten der IS oder andere terroristische Gruppen nichts mit dem Islam zu tun. „ISIS ist ein Machwerk der Geheimdienste. Denn Terror hat keine Religion, sondern ist ein Verbrechen gegen die Menschen und das Gute.“ Dass man Staaten kritisiert, gehört zu seinem demokratischen Selbstverständnis. „Ich übe Kritik an meinem Land, an Saudi-Arabien und auch an Israel“, sagt der Professor. Dabei gehe es ihm aber ausschließlich um die Politik. „Mit der Religion hat das gar nichts zu tun, und das Wichtigste ist, dass wir trotzdem Freunde bleiben.“ In seiner eigenen Gemeinde hat der 83-Jährige bisher keine Kritik an seinem Engagement vernommen. Wer den Islam kenne und verstanden habe, könne nichts gegen den Dialog einwenden. „Vor allem die jungen Leute sind wissbegierig. Sie lesen die modernen Übersetzungen des Koran und sind liberal“, berichtet Mohammed Taher Al-Radwany. „Wie überall gibt es auch bei uns Unwissende. Aber das sind Gott sei Dank nur wenige.“