Talk zur Arbeitswelt 4.0 (von links): Moderator Rafael Treite, Charlotte Knappertsbusch, Sigrid Witkowski, Alexander Schmid-Lossberg und Christoph Kübel Foto: Bulgrin - Bulgrin

Wie können Unternehmen die Digitalisierung nutzen, um ihrer Belegschaft die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern? Um die Arbeitswelt 4.0 ging es bei einer Tagung im Esslinger Neckar Forum.

EsslingenNur in vier von zehn Unternehmen können die Arbeitnehmer von zuhause aus arbeiten. Nur sechs Prozent der Eltern arbeiten im Home-Office, obwohl sich 25 Prozent diese Arbeitsform sehr gut vorstellen könnten. Und das in Zeiten, in denen die Digitalisierung schon rasant vorangeschritten ist. Die Zahlen, die Birgit Buschmann, Leiterin des Referats Wirtschaft und Gleichstellung im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium, nannte, belegt die Relevanz des zweijährigen Modellprojekts „familyNet 4.0“, das am Dienstag mit einer Tagung im Neckar Forum seinen offiziellen Auftakt hatte und mehr als 100 Teilnehmer – vor allem Frauen – aus den Personal- und Chefetagen von Unternehmen aus dem ganzen Land nach Esslingen geführt hat.

Das Projekt wird vom Wirtschaftsministerium gefördert und vom Bildungswerk der Baden-Württembergischen Wirtschaft, insbesondere der BBQ Berufliche Bildung GmbH, koordiniert. Es soll Unternehmen über die Chancen digitaler Lösungen wie mobiles Arbeiten oder Cloud Working bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beraten und in sogenannten „Innovation Labs“ Leitlinien und Kriterien für ein digitales familienbewusstes Unternehmen entwickeln. Und dabei „so nah wie möglich an der unternehmerischen Praxis sein“, wie es Stefan Küpper, Geschäftsführer des Bildungswerks, ausdrückte. Kooperationspartner sind Südwestmetall und der Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg.

Es geht um die Flexibilisierung des Arbeitsorts und um die Individualisierung der Arbeitszeit, um Lebensphasen wie die Familiengründung oder die Pflege von Angehörigen besser mit dem Beruf in Einklang zu bringen. Doch „die Flexibilitätsvorstellungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind nicht immer deckungsgleich“, weiß Küpper. „Es gilt, die Schnittstellen optimal zu nutzen.“ Mehr Arbeitszeitsouveränität, auch mal weniger als elf Stunden zwischen der letzten Mail und dem morgendlichen Antritt zur Geschäftsreise zu haben: Das zeichne zwar den digitalen Vertreter der modernen Arbeitswelt aus. Aber das „will nicht jeder“, sagte auch Oliver Stettes vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Es sei eine Herausforderung an die Führungskräfte, hier passgenaue Möglichkeiten zu finden.

Bei Bosch etwa hat man sich schon sehr früh um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bemüht, berichtete Geschäftsführer und Arbeitsdirektor Christoph Kübel. Und zwar unter Einbeziehung des Betriebsrats und der Mitarbeiter. Es gibt keine Präsenzpflicht mehr. Davon profitierten 30 000 Softworker, die teilweise„am liebsten nachts arbeiten“. Die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf Wert legten, arbeiteten jedoch nur ein oder zwei Tage zuhause und wollten die andere Zeit im Team im Büro verbringen. Und natürlich lasse sich Home-Office in der Fertigung nicht machen. Hier arbeite man gerade daran, die Schichtplanung per App aufs Smartphone zu bekommen und damit schnell Vertretungen zu organisieren, wenn ein Elternteil wegen eines kranken Kinds zuhause bleiben muss.

Charlotte Knappertsbusch, die bei den Chemie-Verbänden Baden- Württemberg fürs Personalmarketing zuständig ist, räumte ein, dass die mittelständischen Betriebe der Digitalisierung zwar positiv gegenüber stünden, jedoch keine Zeit hätten, den Wandel voranzutreiben. Der ist im Hause Springer schon weit fortgeschritten. „Wir haben uns mit Bild und bild.de selbst Konkurrenz gemacht“, so der Jurist Alexander Schmid-Lossberg, heute Berater der Axel Springer SE, der damals als Konzern-Personalchef die digitale Transformation des Unternehmens mitgestaltet hatte. 2008 habe man 14 Prozent des Umsatzes digital gemacht, heute seien es 72 Prozent. Die Werbeeinnahmen würden heute zu 90 Prozent auf digitalem Weg generiert, 2008 waren es noch 22 Prozent. Und das Ergebnis digital lag 2008 bei vier Prozent, heute liegt es bei 80 Prozent. Inwieweit der Wandel auch familienfreundlich gelungen sei, wollte Moderator Rafael Treite wissen. Schmid-Lossberg räumte ein, dass die Mitbestimmung schon mal den Fakten hinterhergehinkt sei, die Hälfte der Belegschaft ohnehin ohne Betriebsräte dastünde, man mit den anderen aber eine Palette von Vereinbarungen geschlossen habe. Aber ohne Familienfreundlichkeit könne man junge Kräfte ohnehin nicht mehr gewinnen. Es sei ist wichtig, die Mitarbeiter mitzunehmen und sie zu qualifizieren.

Das sagt auch Sigrid Witkowski, bei der CHT Germany GmbH in Tübingen, mit 2200 Mitarbeitern eine weltweit agierende Unternehmensgruppe im Chemiebereich, in der Personalentwicklung. Die Firma sucht mit ihrer Belegschaft individuelle Arbeitszeitmodelle – inklusive Home-Office, aber in verschiedenen Varianten.

In Workshops mit weiteren Experten wurde die Thematik noch vertieft.