Heribert Prant Foto: Krytzner - Krytzner

Der Deutsche Mieterbund Esslingen-Göppingen hat am Samstag sein 100-jähriges Bestehen gefeiert. In seinem Festvortrag forderte der SZ- Journalist Heribert Prantl die Renaissance des sozialen Wohnungsbaus.

EsslingenAuskömmliche Arbeit und bezahlbares Wohnen sind zwei Grundvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben. Um diese Anforderungen zu unterstützen, wurde vor 100 Jahren der Mieterbund Esslingen-Göppingen gegründet. Am Samstag wurde groß gefeiert.

Udo Casper, Vorsitzender des Jubiläumsvereins, ist stolz auf die langjährige Geschichte des Mieterbunds. Die Situation von vor 100 Jahren ist fast mit der heutigen Lage vergleichbar: Schon damals befanden sich Mieter in einer schwierigen Situation. Der Erste Weltkrieg brachte den Wohnungsbau fast vollständig zum Erliegen und der Mangel an Wohnungen wurde zur existenziellen Bedrohung für die Bevölkerung. Udo Casper machte deutlich, dass kein soziales Mietrecht bestand. „Die Vermieter schlossen sich zusammen, um ihre Interessen noch wirkungsvoller zu vertreten.“ Es sei deshalb höchste Zeit gewesen, sich gegen die Übermacht zu wehren. Der junge Mieterverein beschränkte sich aber nicht nur auf Forderungen zur Verbesserung der Wohnungssituation. „Eine eigene Baugenossenschaft wurde gegründet und trug damit aktiv zur Überwindung der Wohnungsnot bei“. Im Lauf der Zeit sei aus der laienhaften Selbsthilfeorganisation ein professionell arbeitender regionaler Dienstleister und Interessenvertreter geworden, so Casper. Derzeit gibt es sechs Beratungsstellen in Esslingen, Göppingen, Geislingen, Nürtingen, Kirchheim und Ostfildern. Rund 7 000 Haushalte sind Mitglied im Mieterbund. Udo Casper nahm den neu eingesetzten Heimatminister beim Wort: „Heimat zu haben, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Dazu gehören angemessene und bezahlbare Wohnungen.“ Casper wünscht sich, dass die Politik den Zusammenhang erkennt und dementsprechend handelt.

Wilfried Wallbrecht, Erster Bürgermeister der Stadt Esslingen, weiß um die Wohnungsnot auch in Esslingen. Er versprach: „Die Stadt will lindern, aber was vor zehn Jahren falsch eingeschätzt wurde, kann nicht binnen kurzer Zeit korrigiert werden.“ Rolf Gaßmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbundes, sah die schwarzen Listen der Vereinigung Grund und Boden als Auslöser für die Gründung des Mieterbundes. Die schwarzen Listen seien damals schon für mögliche Mieter zum Hindernis geworden. Wie Gaßmann erläuterte, wurden diese Listen auch als Druckmittel eingesetzt: „Wer an der Wohnung oder an der Wohnsituation herumnörgelte, kam auf die schwarze Liste.“ Daher sei die Organisation der Mieter umso wichtiger, auch in der heutigen Zeit. Er lobte den Esslinger Mieterbund als aktiven Verein.

Heribert Prantl, mehrfach preisgekrönter Journalist der Süddeutschen Zeitung, ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es um innen- und rechtspolitische Themen geht. Der Professor mit zwei Doktortiteln setzte sich in seiner Festrede beim Mieterbund für bezahlbaren Wohnraum ein und wirft der Politik Versagen vor. Für die Kostenexplosion der Baulandpreise macht Prantl die Spekulationen verantwortlich. „Bei einer Steigerung um 34 263 Prozent bei den Grundstückpreisen erklärt es sich von selbst, warum sich keiner mehr das Leben in der Stadt leisten kann.“ Er forderte in seinem Vortrag, dass die sogenannten Boom-Städte wieder bezahlbaren Wohnraum schaffen und die Regionen in der Provinz die Verbindung zwischen Arbeit und Leben bilden sollen. Der Journalist stellte fest, dass die Mieten derzeit das Familieneinkommen auffressen. „Viele Mieter haben Angst, in zwei Jahren die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können.“ Die Folge sind Umzüge aufs Land. Die Wohnungsmisere treffe vor allem Arme und Arbeitslose existenziell. „Das ist für ein reiches Land wie Deutschland beschämend.“ Er erinnert daran, dass Eigentum auch verpflichte. „Die Bodenreform wurde wie kein anderes Thema so lange diskutiert und Maßnahmen daraus immer wieder aufgeschoben.“ Er sieht aber Lösungsansätze. „Eigentum ist nicht unumschränkt.“

Die Republik brauche dringend eine Renaissance des sozialen Wohnungsbaus. Die Obdachlosigkeit der Menschen werde in der Welt oft verharmlost. „Das sind Millionen Leben.“ Dabei bräuchten die Menschen eine Heimat. „Sie haben und brauchen Rechte. Das Recht auf Wohnen ist Menschenrecht.“ Prantl fordert die Politik auf, die soziale Ausgrenzung durch angemessenen Wohnraum zu verhindern: „Die beste Heimatpolitik ist eine gute Wohnungspolitik.“