Geselliges Beisammensein in der Nürtinger Stadthalle. Quelle: Unbekannt

Von Christian Dörmann

Das Vertrauen in die Führung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat in den vergangenen Jahren gelitten. Das sagt jemand, der selbst eine exponierte Position in einem großen Unternehmen bekleidet. Jörg Menno Harms ist Aufsichtsratschef der Hewlett-Packard GmbH, davor war er deren langjähriger Geschäftsführer. Und wenn er wie beim gestrigen Neujahrsempfang der Industrie-und Handelskammer Esslingen-Nürtingen in der Nürtinger Stadthalle K3N spricht, dann trifft er auf jede Menge Führungspersonal aus dem gesamten Landkreis. Vertrauen rechtfertigen, glaubwürdig handeln und in einer digital vernetzten Arbeitswelt die Steuerung eines Unternehmens zunehmend an Mitarbeiter, Gruppen und Teams abgeben: So sieht nach Einschätzung von Jörg Menno Harms eine zukunftsorientierte Führungsstruktur aus.

„Ethisches Führungsversagen“

Nach dem Steuerbetrug von Uli Hoeneß hat sich kein deutsches Dax-Unternehmen von ihm abgewandt. Und der Diesel-Skandal bei VW hat weiteres Vertrauen erschüttert. Jörg Menno Harms nennt das „ein weiteres trauriges Beispiel ethischen Führungsversagens“ und mahnt vor Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Verwaltung und aus anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens die Vorbildfunktion von Führungskräften an. Dazu gehöre es auch, Rechenschaft abzulegen, „und das nicht erst am jüngsten Tag“, so der Gastredner in seinem Vortrag zum Thema „Führung auf dem Weg ins digitale Zeitalter - Anspruch und Wirklichkeit“.

Tatsächlich liegen nach den Erfahrungen des Professors zwischen dem Anspruch, das Führungsverhalten dem Einfluss digital vernetzender Kräfte anzupassen, und der Realität gelegentlich Welten. Er stellt fest: „Führungskräfte müssen aufpassen, dass sie durch die Entwicklung nicht selbst ins Abseits geraten.“ Führung müsse öfter innehalten und rechtzeitig das eigene Verhalten überprüfen. Geradezu fatal sei dagegen eine Verhaltensstarre.

Wie macht man es besser? Indem das Management deutlich mehr Vertrauen und Offenheit praktiziere, meint Harms. „Entscheidungen müssen auf möglichst niedriger Ebene getroffen und es muss mehr in menschliches Führen investiert werden.“ Eine Führungskultur, die sich an Werten orientiert, und vom Management vorgelebt wird. Eine Vertrauenskultur, die nicht auf Stechuhren und überzogenen Kontrollen basiert, sondern eben tatsächlich auf Vertrauen. Teamgeist, der sich aber dann nicht entwickeln kann, wenn das Management feudale Privilegien pflegt. Solche Eckpunkte erkennt Harms als Voraussetzungen zukunftsgerichteter Führungsarbeit - hinzu kommt Integrität. Aber: „Was nutzt der Appell an das integre Verhalten beispielsweise der Vertriebsmitarbeiter, wenn der Vorstand das Bestechen von Auftraggebern stillschweigend duldet“?

Dass Führung sich ändern muss, ist seit Jahrzehnten bekannt. „Dennoch ist es erschreckend, wie langsam die Umsetzung in vielen der 3,5 Millionen deutschen Unternehmen sowie in den Organisationen der Zivilgesellschaft geschieht. Vielerorts wird noch geführt wie vor 70 Jahren“, kritisiert der Aufsichtsratsvorsitzende von Hewlett-Packard. Der vorherrschende Führungsstil sei immer noch Hierarchiebetont und eher an Macht und Kontrollen als an Vertrauen und Überzeugung orientiert. Harms: „Eine Kontroll- und Ordre-de-Mufti-Organisation wird aber nur eine angepasste Belegschaft erzeugen, die kein Risiko eingeht, und keine Fehler machen will und darf.“ So gelangt der Professor schließlich zu dem Fazit: „Risikofreude, Arbeitsfreiheit und -freude ermöglichen Kreativität, Erneuerung und Wachstum. Dann müssen wir um zukünftige Arbeitsplätze nicht besorgt sein.“

„Am Ball bleiben“

Kein wirtschaftlicher Erfolg ohne Veränderungen. Diese Botschaft verkündete gestern auch Heinrich Baumann, Präsident der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen. Für ihn ist die große Kernfrage: „Wie gelingt es uns, einen möglichen Strukturwandel so zu bewältigen, dass unsere Region weiterhin als das wirtschaftliche Herz Europas gilt, und wir nicht die Erfahrung des Ruhrgebiets machen müssen?“ Denn schließlich ist die starke Abhängigkeit vom Maschinenbau und Automobilsektor auch die strukturelle Schwäche speziell des Landkreises Esslingen. Seriöse Antworten könne der Blick in die Glaskugel nicht liefern, meint Baumann. „Umso wichtiger, dass wir hier aufmerksam am Ball bleiben.“ Das sei für die Unternehmen nicht einfach. Denn es bedeute, „in voller Fahrt herauszufiltern, was künftig gefragt sein wird, und wie sich Geschäftsmodelle verändern und schon jetzt Investitionsentscheidungen zu treffen, von denen niemand mit Sicherheit sagen kann, ob sich diese rentieren werden“. Und dies alles bei vollen Auftragsbüchern und hoher Auslastung der Betriebe. Klar ist für den IHK-Chef, dass die anstehenden Herausforderungen ohne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als wertvollstes Gut eines Unternehmens nicht zu bewältigen sind. Baumann: „Gelingt es uns nicht, sie auf diesem Weg mitzunehmen, haben wir ein Problem.“ Deshalb sei gute Führung wichtig, die überzeuge und gestalte, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befähige, diesen Weg zu gehen.