Quelle: Unbekannt

In der Reihe "Im Gespräch" spricht der profilierte Autor am 19. Juli, im neuen Sparkassen-Gebäude in der Esslinger Bahnhofstraße über Bildungswahn, Elternängste und exzessive Nutzung elektronischer Geräte. Er gehört zu den bekanntesten Stimmen in Fragen der kindlichen Entwicklung. Wir verlosen Freikarten für Abonnenten der EZ.

EsslingenHerbert Renz-Polster ist Kinderarzt und Buchautor. Der gebürtige Waiblinger gilt als einer der profiliertesten Stimmen in Fragen der kindlichen Entwicklung. Seine Werke „Menschenkinder“ und „Kinder verstehen“ haben die Erziehungsdebatte in Deutschland nachhaltig beeinflusst. Der vierfache Familienvater ist am Donnerstag, 19. Juli, um 19.30 Uhr Gast eines Talk-Abends mit dem Titel „Wider den Bildungswahn – was unsere Kinder wirklich brauchen“, der im Rahmen der Reihe „Im Gespräch“ stattfindet. Veranstalter sind die EZ und die Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen.

Sie gehören zu den führenden Experten beim Thema Kinder und Erziehung. Wie kommt es, dass Sie sich in Ihrem nächsten Buch mit Rechtspopulismus beschäftigen?
Das mag ungewöhnlich klingen. Aber ich bin überzeugt, dass wir das Phänomen des Rechtspopulismus nur dann verstehen und erklären können, wenn wir uns die Kinderstuben der Menschen anschauen, die sich zum Rechtspopulismus hingezogen fühlen.

Es ist in gewisser Weise rätselhaft, warum sich gerade jetzt Menschen und Gesellschaften auf der ganzen Welt autoritären Führern zuwenden.
Daher ist mein Ansatz der umfassende Blick, der die Kindheit mit einschließt. Das wird in der Debatte oft ausgeblendet. Wenn man nur die Oberfläche betrachtet, kann man das Aufkommen des Rechtspopulismus nicht verstehen. Die ökonomischen, kulturellen und soziologischen Bedingungen, die wir haben, erklären es nicht. Kinder werden nicht als Rassisten oder beladen mit Vorurteilen geboren. Da spielen Ängste, Macht- oder Ohnmachterfahrungen eine Rolle. Zumal es in der Politik heute auch um Fragen geht wie: Wie groß bin ich? Wie stark? Genau das sind ja die Fragen, die in der Kindheit verhandelt werden, besonders in der Familie.

Wie erklären Sie sich das Erstarken autoritärer Bewegungen?
Autoritäre Dispositionen – die Rückversicherung durch äußere Ordnung, Stärke und Überlegenheit – sind unterschwellig vorhanden und schlummern. Unter bestimmten Bedingungen, die wie Katalysatoren wirken, kommen sie zum Vorschein. Die aktuellen Flüchtlingsströme lösen bei Menschen mit solchen Vorprägungen Unsicherheit, Angst und Abwehr aus. Dabei haben wir in Deutschland heute eigentlich ein geringeres Autoritarismus-Problem als in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Was glauben Sie, was los gewesen wäre, wenn wir in den 70er Jahren so eine Flüchtlingswelle wie die heutige gehabt hätten! Insofern bin ich da für Deutschland noch optimistisch, anders als etwa für osteuropäische Länder. Viele Menschen in Deutschland haben in ihrer Kindheit genügend Schutzfaktoren erworben, die sie fit für eine vielgestaltige und offene Gesellschaft machen.

Ihr eigentliches Thema ist die kindliche Entwicklung. In Ihren Büchern und Vorträgen wird häufig die Evolution als Erklärmuster für Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen genannt. Können Sie uns da ein Beispiel nennen?
Nehmen Sie den Schlaf von Babys und Kindern. Schlaf ist an sich paradox: Was uns zum Schlaf bringt, ist nicht Anspannung, sondern Entspannung. Wir Menschen, ob groß oder klein, können nicht entspannen, wenn wir uns nicht in Sicherheit fühlen. Das hat die Natur so eingerichtet. Im Schlaf sind wir wehrlos. Daher tun wir gut daran, wenn wir vor dem Schlaf sichere Bedingungen herstellen. Aber wie sorgt ein Kind für seine Sicherheit? Das Einzige, was Kinder tun können, ist, die Nähe vertrauter und verlässlicher Menschen zu suchen, ihrer Eltern. Wenn ihnen das nicht gelingt, schreien sie. Das ist ein Überbleibsel aus der Evolutionsgeschichte. So wie alle universellen Verhaltensweisen auf der ganzen Welt.

Ansätze wie der des Amerikaners Richard Ferber, wonach man Kindern antrainieren kann, alleine einzuschlafen, lehnen Sie demnach ab?
Aber ja. Das ist ein schlimmes Missverständnis, das die Kinder ausbaden müssen. Wir müssen Kindern weder das Essen noch das Laufen antrainieren. Und das Schlafen auch nicht. Dass Kinder nur in der Nähe ihrer Eltern einschlafen und schlafen möchten, hat sich evolutionsgeschichtlich bewährt. Sonst wären sie von Hyänen gefressen worden oder an Kälte gestorben. Auch bei anderen Dingen können wir die Kinder nicht verstehen, wenn wir nicht die Evolution betrachten. Dieses Erbe müssen wir ernst nehmen.

Wohl noch nie in der Geschichte der Menschheit haben sich Eltern so intensiv mit der Erziehung ihrer eigenen Kinder beschäftigt. Ist das eine gute oder eine schlechte Entwicklung?
Es ist das Beste, was Eltern tun können. Die Beschäftigung mit Erziehung und Entwicklung, das Hinterfragen hilft uns, Verhaltensweisen zu verstehen. So können wir Unsicherheiten und Ängsten entgegenwirken. Das ist das Wichtigste. Angst ist in der Erziehung kein guter Ratgeber.

Was erleben Sie bei Ihren Vorträgen? Wie verunsichert sind Eltern bei der Frage, wie Sie mit ihren Kindern umgehen sollen?
Ich sehe die Unsicherheit als ein großes Plus. Denken Sie nur daran, welchen Unsinn Eltern geglaubt und gemacht haben in Zeiten, als sich alle über die Erziehung einig waren. Eltern sind heute viel emanzipierter, aufgeklärter, entspannter. Bleiben wir beim Thema Schlaf. Ein großes Bett für alle, also für Eltern und Kinder, ist heute im Mainstream angekommen. Früher war man damit gleich ein Hippie.

Stichwort Helikopter-Mütter und Bildungshype: Welche Veränderungen nehmen Sie in dieser Hinsicht wahr?
Auch da hat es sich positiv entwickelt. In den 90er und 00er Jahren hat man völlig unreflektiert Dinge übernommen – von wegen wir müssen die Kinder beschleunigen, damit sie im globalisierten Wettkampf mithalten. Da wurde die Frühpädagogik komplett umgebaut, also möglichst früh anfangen mit der Bildung. Alles stand unter der Maxime Effizienz, Kontrolle, schnell zum Ziel kommen – und das war der Arbeitsplatz. Heute beobachte ich, dass man sich wieder besinnt. Um stark und kreativ zu werden, um seine Persönlichkeit zu entwickeln braucht es eine Kindheit, die den Namen auch verdient. Man darf auch wieder über das Spielen reden. Man erkennt, dass Kinder nicht dadurch wachsen, dass sie nur die Ziele der Erwachsenen erfüllen, sondern sich mit ihrer eigenen Agenda bewähren müssen.

Was viele Eltern heute umtreibt, ist die Frage, in welchem Maße ihre Kinder elektronische Medien konsumieren sollen und dürfen. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Wie in so vielen Erziehungsfragen gibt es da es kein Patentrezept. Wer zu lange in der heißen Badewanne sitzt, dem quillt die Haut auf. Ein allzu exzessive Nutzung elektronischer Medien tut Kindern sicher nicht gut. Letztlich ist das eine Frage, die sich die Eltern stellen müssen. Wenn sie stark eingespannt sind und nie Zeit für die Kinder haben, brauchen sie sich nicht wundern, wenn die Kinder sich in mediale Belohnungswelten zurückziehen.

Das Interview führte Gerd Schneider.

Verlosung von Eintrittskarten

Termin: Die Talk-Veranstaltung mit Herbert Renz-Polster hat den Titel „Wider den Bildungswahn – was unsere Kinder wirklich brauchen“. Sie findet am Donnerstag, 19. Juli, im neuen Sparkassen-Gebäude in der Esslinger Bahnhofstraße statt. Beginn 19.30 Uhr. Veranstalter sind die EZ und die Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen. Im Rahmen von AboPlus verlosen wir exklusiv an unsere Abonnenten 50 x 2 kostenlose Eintrittskarten.

So können Sie gewinnen: Rufen Sie an unter der Telefonnummer 0711 / 9310 205 an und nennen Ihren Namen und Ihre Anschrift. Den Gewinnern werden die Karten auf dem Postweg zugesendet. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Teilnahmeberichtigt sind nur Abonnenten der Eßlinger Zeitung. Mitarbeiter der EZ dürfen nicht teilnehmen.