Carla Vogel freut sich, dass sie ihr Näh-Projekt jedes Mal auch tatsächlich an einem einzigen Kursabend fertig bekommt. Fotos: Weiß Quelle: Unbekannt

Von Gaby Weiß

„Was für einen Nähkurs würde ich mir wünschen, als Mutter und selbstständig Berufstätige mit wenig Zeit? Ich brauche ganz gewiss keinen Kurs über sieben Wochen, wenn ich eh nur dreimal kommen kann, und das angefangene Werk dann herumliegt und nicht fertig wird.“ Mit diesen Gedanken im Hinterkopf entwickelte Nadine Heidelberg ein Konzept für Nähkurse in ihrem „Wunderstoff“-Laden in der Hindenburgstraße. Maximal vier Teilnehmer treffen sich zum Nähen - und nach zwei Stunden konzentrierten Arbeitens sind Kinderrock, Wickelkleid, Loop-Schal oder Raglan-Shirt fertig. Erfolgsgarantie inklusive.

„Weder meine Mutter noch meine Oma konnten nähen, und im Handarbeitsunterricht in der Schule konnte ich nicht mal den Unterfaden aufspulen. Mir war klar: Nähen ist nichts für mich“, erzählt Nadine Heidelberg lachend. In der Elternzeit nach der Geburt ihrer ersten Tochter fing die studierte Betriebswirtin, die als Marketingreferentin gearbeitet hat, „aus dem Nichts heraus“ dann doch mit dem Nähen an: „Eine Pumphose fürs Baby - das ging schnell, das ging gut, das haben alle gelobt, und mir hat es Spaß gemacht.“ Sie nähte einfach weiter, ihre Leidenschaft für schöne Stoffe füllte die Regale, irgendwann meinte ihr Mann: „Du könntest ein Stoffgeschäft aufmachen.“ Diese Idee reifte, und im Oktober 2015 verwirklichte sie ihren Traum mit der Eröffnung von „Wunderstoff“, einem Laden „für Stoffverliebte und Nähverrückte“.

Die Damen sind in der Überzahl

Von Anfang an war Nadine Heidelberg klar, dass sie ihr Näh-Wissen und -Können, das sie sich selbst beigebracht und mittlerweile in Lehrgängen ausgebaut hat, in Kursen auch an andere Nähbegeisterte weitergeben will. Jeder Kursabend steht unter einem Thema: Beanie-Mütze, Damenrock, Wendetasche, Yoga-Hose, T-Shirt oder Jersey-Sonnenhut, vor Weihnachten werden Sachen genäht, die sich verschenken lassen. Je nach Schwierigkeitsgrad sind die Kurse für Anfänger, Fortgeschrittene oder Näherfahrene gedacht. Wer seinen Stoff im Laden selbst aussuchen will, kommt eine Viertelstunde vor Kursbeginn. Für alle anderen stellt Nadine Heidelberg passende Farb- und Muster-Kombinationen zusammen. Ein Ansichtsexemplar näht sie vorab, „gern in den Größen meiner Töchter, damit die auch etwas davon haben“, lacht sie verschmitzt. Für jede Teilnehmerin - die Damen sind eindeutig in der Überzahl - bereitet sie ein handgearbeitetes Schnittmuster in der gewünschten Größe vor. Wer hat, bringt seine eigene Nähmaschine mit. Wer keine hat, benutzt eine der „Wunderstoff“-Maschinen.

Die sommerlichen Kindershorts mit seitlich aufgesetzten Taschen, die an diesem Abend aus Jersey genäht werden, „lassen sich auch aus anderen Stoffen fertigen: Baumwolle, Leinen, Jeans. Man kann sie zur Bermuda verlängern, man kann einen anderen Bund nähen, man kann sie als Badehose verwenden“, erklärt Nadine Heidelberg am großen Zuschneidetisch den praktischen und vielseitigen Schnitt. Ein kontrollierender Blick, ob die VW-Bullis auf Anja Haugs Stoff alle richtig herum stehen, und ob die Igel auf Carla Vogels türkisfarbenem Stoff in dieselbe Richtung schauen, dann geht es ans Zuschneiden. Gerne dürfen die Teilnehmerinnen die einzelnen Arbeitsschritte als Gedächtnisstütze fotografieren. „Viele nähen die Sachen zum ersten Mal hier im Kurs, und dann noch mehrfach zuhause aus anderen Stoffen“, weiß Nadine Heidelberg.

Obwohl an den Kursabenden auch viel gelacht wird, bezeichnet sich Nadine Heidelberg als strenge Kursleiterin: „Auf bestimmte Sachen lege ich Wert, weil sich da Fehler böse rächen: Die Nahtzugaben müssen stimmen, sonst passt es nachher hinten und vorne nicht. Der Fadenlauf muss beachtet werden, sonst verzieht sich alles. Und aus Gründen der Sicherheit müssen Stecknadeln sorgfältig und richtig platziert werden, damit man nicht darüber näht und sie womöglich splittern.“ Aber pragmatisch, wie sie ist, kann sie manche Dinge auch locker sehen: „Dass ein Kinderhosenbund vorne einen Zentimeter höher ist als hinten, merkt keiner, wenn da erst Bauch und Windelpaket drinstecken. Wer zu streng mit sich ist, kann leicht verzweifeln und sich selbst im Weg stehen. Andere nähen einfach drauflos. Oh, die Pandabären im Muster treffen sich nicht exakt? Egal, es sind süße Pandabären.“ Carla Vogel hat erst vor eineinhalb Jahren mit dem Nähen begonnen: „Die Atmosphäre hier macht einfach Spaß. Hier kriegt man alles hin, und man bekommt an einem Abend sein Projekt auch wirklich zu Ende, das schafft man zuhause mit Kind nicht. Ich komme immer wieder in andere Kurse hierher, und jedes Mal lerne ich etwas Neues, was ich dann wieder einsetzen kann: Ein Bündchen mit Gummizug, demnächst das erste Mal etwas mit Reißverschluss.“

Im Kurs ist mehr Zeit als zuhause

Bianca Just schätzt es, dass sie beim Selbernähen Stoff und Schnitt individuell auswählen kann: „So ist es ganz nach meinem Geschmack, und meine Kinder erzählen stolz: Das hat meine Mama genäht.“ Weil sie beruflich sehr eingespannt ist, genießt sie es, sich für den Nähkurs auszuklinken: „Zuhause ist oft alles andere wichtiger, da bleibt das Nähzeug oft liegen, hier im Kurs finde ich die Zeit. Und an einem Abend ist ein Stück genäht, das meine Tochter morgen früh anziehen kann.“ Anja Haug ist im April zum ersten Mal überhaupt an einer Nähmaschine gesessen: „Ich habe an diesem ersten Abend gleich einen Rock genäht.“ Auch sie hat seither mehrere Kurse belegt: „Ich habe das hier gelernte Kosmetiktäschchen und den Schwimmbeutel schon vielfach für Freunde genäht. Und ich traue mir jetzt auch zu, zuhause allein etwas zu nähen.“

Nadine Heidelbergs „Wunderstoff“ in der Hindenburgstraße 56 macht bis zum 21. August Sommerpause. Danach ist der Laden wieder Dienstag und Donnerstag von 10 bis 18 Uhr, Mittwoch und Freitag von 10 bis 16 Uhr und jeden ersten Samstag im Monat von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Nähere Informationen und Anmeldung zu den Nähkursen unter www.wunderstoff.de

DAS SPRICHT FÜRS SELBERNÄHEN

„Nähen ist zur Zeit total in und liegt voll im Trend“, weiß Nadine Heidelberg, und sie kennt gute Gründe, die fürs Selbernähen sprechen: „Viele möchten lieber etwas Individuelles und Selbstgemachtes. Nicht jeder möchte nur Trend-Rosa und ‚Hello Kitty‘, und nicht jeder möchte das, was überall im Regal liegt.“ Die Teilnehmerinnen freuen sich über eine ganz persönliche Näharbeit: „Man kriegt oft Lob von anderen und wird gefragt: ‚Das ist toll, wo hast Du das gekauft?‘“ Außerdem beobachtet die Besitzerin des „Wunderstoff“-Ladens, dass das Bewusstsein für hochwertige Stoffe wächst: „Viele wollen sich absetzen von den Angeboten der Billigketten: Wenn ein T-Shirt nur drei Euro kostet, kann das kein hochwertiger Stoff sein. Unter welchen Arbeitsbedingungen solche Textilien entstehen, kann man sich denken. Und oft sind die Sachen noch falsch zugeschnitten, dann sitzt nach dem Waschen keine Naht mehr.“ Nadine Heidelberg setzt ganz bewusst auf Bio-Stoffe: „Sie sind zwar ein bisschen teurer, aber sie halten ewig. Was daraus genäht ist, lässt sich weitervererben.“ Für viele ihrer Teilnehmerinnen sei auch der individuelle Zuschnitt des Selbstgenähten wichtig: „Der menschliche Körper hat so unterschiedliche Proportionen. Beim Selbernähen kann ich das berücksichtigen: Lange Beine? Kurze Beine? Mehr Po? Breite Schultern? Alles kein Problem.“ Nähen, so Heidelberg, sei ein Hobby, das man das ganze Jahr über betreiben kann: „Im Sommer nähen wir die leichteren Shorts, Röcke oder T-Shirts, im Winter dann eben die dickeren Stoffe und vielleicht eher Hoodies, Sweat-Shirt-Hosen und -Jacken.“ Außerdem ist für die Stoff-Liebhaberin ganz klar: „Nähen macht einfach ganz viel Spaß. Man kann beim Nähen prima abschalten, denn man muss sich konzentrieren und kann nicht über Probleme nachgrübeln. Und Nähen macht glücklich. Man ist hinterher total stolz auf sein Werk.“