Seyran Ates ist überzeugt, dass der Islam sich reformieren lässt. Foto: Bail - Bail

Seyran Ates wirkt geerdet. Selbstbewusst und ruhig steht die Frau mit den kurzen grauen Haaren auf der großen WLB-Bühne und spricht selbst dann noch gelassen über Frauen und den Islam, als sie in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum schrill angegriffen wird.

EsslingenDie Sicherheitsvorkehrungen sind streng: Große Taschen von Besuchern werden vor Einlass mehrfach kontrolliert. Während die Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates auf der Bühne der WLB ihren Vortrag hält und mit dem Publikum diskutiert, wachen Personenschützer über die streitbare Frau mit türkisch-kurdischen Wurzeln. Seit Jahrzehnten kämpft sie gegen Unterdrückung von Frauen, gegen Ehrenmord und Zwangsheirat. Fundamentalisten bedrohen sie. 1984 überlebte sie einen politisch motivierten Anschlag schwer verletzt. Die Gründung der liberalen Ibn- Rushd-Goethe-Moschee in Berlin gemeinsam mit Gleichgesinnten im vergangenen Jahr brachte die konservativen Islamverbände gegen die 64-Jährige auf. Von ihrem Leben, ihrer Einstellung und ihrer Arbeit sprach Seyran Ates im Rahmen der Esslinger Frauenwochen, zu denen das Referat für Chancengleichheit und die ffortissimo-Frauen eingeladen hatten.

Seyran Ates wirkt geerdet. Selbstbewusst und ruhig steht die Frau mit den kurzen, grauen Haaren auf der großen Bühne und spricht selbst dann noch gelassen, als sie in der anschließenden Diskussion mit dem Publikum schrill angegriffen wird. Sie hat ein Ziel, nämlich weltweit die Gleichheit der Geschlechter zu fördern. „Klingt einfach. Aber es gibt Menschen, die das nicht toll finden“, so Ates und betont: „Ich kämpfe nicht gegen den Islam. Ich kämpfe gegen das Patriarchat.“

Die säkulare Gesellschaft in Europa sieht die Feministin als großartige Errungenschaft. „Auch, wenn wir in Deutschland hinterherhinken.“ Die katholische Kirche müsse da noch nachlegen, fordert sie und freut sich: „Unsere Moschee hat die katholische Kirche links überholt.“ Im Übrigen würde sie es sehr begrüßen, wenn es bald eine Päpstin geben würde. Der feine Humor, der in ihren Reden mitschwingt, ist fern jeglichen Dogmas, auch wenn sie sagt, dass „unsere kleine Moschee eine fundamentalistische Moschee ist, da wir uns an den Anfängen des Islam orientieren“. Und damals hätten Frauen und Männer in Mekka gemeinsam gebetet. Kritikern des gemeinsamen Gebetes hält sie entgegen, dass es sich am Ende nur um Sex drehe, wenn sich Männer angeblich in Anwesenheit betender Frauen nicht konzentrieren können. „Männer können sich nicht kontrollieren.“

Ihrer Meinung nach lässt sich der Islam reformieren und ist mit der Demokratie vereinbar. Diese Behauptung unterstrich die Religionskritikerin mit einem Abriss der Geschichte des Islam, der mit dem Fazit endete: „Es ist nicht richtig, dass Gott uns weniger liebt als die Männer.“ Aufklärung sei wichtig, dass alle Menschen die Religion verstehen. Deshalb sieht sie in Martin Luther und der Reformation große Vorbilder. In Anlehnung an Kant sagte sie: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Gerade in Zeiten des Terrors, in denen viele Menschen Gewalt mit dem Islam verbinden, sei es wichtig, den Islam-Verbänden Paroli zu bieten.

Ausbildung zur Imamin

Weil man für Erneuerungen Kenntnisse braucht, lässt sich Seyran Ates zur Imamin ausbilden. Um die Deutungshoheit des Korans nicht anderen überlassen zu müssen, lernt sie Arabisch. Auch das gefällt nicht jedem, wie in Esslingen deutlich wurde. Eine Frau fand das anmaßend. Die Leitung des traditionellen Freitagsgebets obliegt im orthodoxen Islam ausschließlich Männern, obwohl es der Koran nicht verbietet. Ates erklärte, dass der Begriff nicht geschützt sei und es in Deutschland 2800 Moscheen gebe, von denen einige durch Ingenieure und Maschinenbauer geleitet werden. „Daran stört sich auch niemand.“ Die Haltung der Verbände kritisiert sie offen. „Ich suche Streit“, gesteht sie an dem Abend. „Ich bin Anwältin. Ich verdiene damit mein Geld.“ Sie schätzt die Diskussion mit Andersdenkenden, trotz glühender Hassmails und offener Morddrohungen. Ihr Engagement brachte der Autorin zahlreicher Bücher und Vorkämpferin eines liberalen Islam das Bundesverdienstkreuz ein.