Manchmal muss man schwere Brocken aus dem Lebensweg räumen: Gunter Haug ist stets zu seiner Überzeugung gestanden. Foto: Köhler Quelle: Unbekannt

„Niveau ist mehr als eine Hautcreme“, sagt Gunter Haug. Dieser Satz verrät eine ganze Menge über den studierten Historiker, gelernten Journalisten und erfolgreichen Buchautor. Haug ist Schwabe im besten Sinne: bodenständig, blitzgescheit, aufrecht und unbeugsam. Ein Leben lang hat er sich für das eingesetzt, wovon er überzeugt ist. Und wenn er das Gefühl hatte, dass etwas aus dem Ruder lief, hat er beherzt die Stimme erhoben - auch wenn er sich dafür mit den Mächtigen und Einflussreichen im Land anlegen musste. Vieles von dem, was er privat und beruflich erlebt hat, findet sich in seinem neuen Buch wieder, das den Titel „Ohne Worte“ trägt. Im Esslinger Kabarett der Galgenstricke stellt Gunter Haug sein neues Buch am Sonntag, 22. Oktober, ab 10.30 Uhr vor.

Sie sind Anfang 60. Ist man damit nicht zu jung, um bereits seine Lebenserinnerungen zu schreiben?

Haug: Stimmt, das wäre tatsächlich viel zu früh. Deshalb ist es ja auch keine klassische Biografie, sondern eher eine Art Zeitreise zurück in die ruckzuck vergangenen sechs Jahrzehnte, bei der ich lediglich als eine Art Reisebegleiter fungiere.

Wie ist das, wenn man sein Leben Revue passieren lässt: War Ihnen alles noch präsent oder hat sich manches, was inzwischen in den unteren Schubladen der Erinnerung lag, erst beim Nachdenken über das, was war, wieder geklärt?

Haug: Beim Schreiben kommt die Erinnerung - und zwar so massiv, dass ich am Ende auch gut und gerne 1000 Seiten vollschreiben hätte können. Habe ich aber nicht, denn so wichtig sollte man sich selbst dann doch nicht nehmen.

Können Sie anderen empfehlen, sich auch irgendwann der eigenen Vergangenheit zu vergewissern? Blickt man dann anders auf das eigene Leben - und die Welt?

Haug: Man staunt. Unglaublich, was einem im Lauf der Zeit so alles widerfahren ist. Auch, wie sich die Welt verändert hat - nicht immer zum Guten, aber andererseits auch nicht nur, wie von Älteren ja gerne wieder und wieder behauptet wird, zum Schlechten. Es ist doch gigantisch, was sich gesellschaftlich seit (und dank) den 68-ern alles bewegt hat - auch, wenn wir gerade leider oft wieder die Rolle rückwärts erleben. Aber der Blick zurück zeigt: Nach jeder Revolution gibt es eine Phase der Restauration, die wieder von der nächsten Revolte abgelöst wird, wenn es die ewig Gestrigen zu doll treiben. Und ich spüre gerade: Da ist wieder etwas im Kommen. Dasmacht die nächsten Jahre spannend.

Sie könnten gewiss mehr als nur ein Buch über Ihr Leben schreiben. Wie haben Sie ausgewählt, was reinkommt und was nicht?

Haug: Na ja, manche Dinge gehen bloß mich etwas an. Deshalb habe ich alles ganz Private und Familiäre herausgelassen. Und weil man sich wie gesagt selbst nicht so wichtig nehmen sollte, habe ich beschlossen, vor allem die lustigen Episoden reinzuschreiben. Ich will meine Leser ja nicht langweilen, sondern zum Lachen bringen. Worüber ich echt gestaunt habe: Wie oft ich als eine Art treudoofer Parzival ahnungslos in irgendetwas reingestolpert bin. Das sind jetzt im Nachhinein betrachtet natürlich die Brüller in dem Buch. Damals habe ich nur blöd aus der Wäsche geguckt.

Als Journalist und Autor sind Sie ein Mann der Worte. Trotzdem heißt Ihr Buch „Ohne Worte“. Das müssen Sie uns erklären …

Haug: Das hängt mit einem Drama im Kindergarten in Untertürkheim-Luginsland zusammen, wo ich als Hauptdarsteller im Märchenspiel „Der Froschkönig“ meinen Text vergessen hatte. Ein Trauma, weswegen meine verheißungsvolle Schauspielerkarriere jäh zu Ende war und mir nur noch die Rolle als Schreiber geblieben ist.

Fehlen Ihnen manchmal die Worte, wenn Sie an Ihr wild bewegtes Leben denken?

Haug: Die Worte nicht, aber manchmal klappt einem schon die Kinnlade runter. Wenn ich beispielsweise daran denke, wie ich als blutjunger Reporter am Tag nach den Selbstmorden nach Stammheim geschickt worden bin und live von einem Geschehen berichten musste, über das wir vor den Gefängnistoren nicht die kleinste Kleinigkeit mitbekommen haben. Oder wie ich beim Fernsehdreh in der Tropfsteinhöhle meine fristlose Kündigung vom SWR überreicht bekommen habe. Oder wie man mir beim Gütetermin im Gericht 100 000 Euro auf den Tisch gelegt hat und sagte: „Nimm’s, sonst ist vielleicht alles weg.“ Und wie ich dann gesagt habe: „Mein Recht lasse ich mir nicht abkaufen.“ Das war mit zwei kleinen Kindern und einem nicht abbezahlten Haus im Nacken schon kess. Da bin ich noch heute stolz darauf.

Auch ein erfolgreicher Autor erlebt seine Enttäuschungen. Hadern Sie manchmal mit dem Schicksal?

Haug: Nur insofern, dass ich mir überlege: Ich hätte noch viel öfter den Mund aufmachen sollen, wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie ich das für anständig gehalten hätte. Man denkt in solchen Momenten immer: „Das wird schon.“ Aber Pustekuchen - das wird dann immer schlimmer. Deshalb: Wehret den Anfängen - sofort und entschieden.

Gunter Haug ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt. Wäre Ihre Karriere anders verlaufen, wenn Sie stromlinienförmig durchs Leben gegangen wären?

Haug: Logisch. Denn dann wäre ich ja Intendant geworden - das lag absolut im Bereich des Möglichen. Aber um welchen Preis ... Ich hätte mich bis zur Unkenntlichkeit verbiegen und verdrehen müssen und hätte mich morgens nicht mehr im Spiegel anschauen können. Der Preis war mir viel zu hoch, denn das mit dem guten Gefühl beim Aufstehen ist mir extrem wichtig.

Was raten Sie jungen Leuten: Sollen sie mit dem Strom oder wenn’s sein muss auch mal gegen den Strom schwimmen?

Haug: Bitte nicht alles schlucken und klein beigeben, sondern klar und deutlich Ross und Reiter benennen. Wer immer nur mit dem Strom schwimmt, der wird von ihm mitgerissen und macht die Strömung nur noch stärker. Und bei aller Angst um den Job, um die Karriere und um die Kohle: Das Wichtigste ist die Selbstachtung. Wenn ich die hergebe - was ist das dann für ein erbärmliches Leben?

Das Interview führte Alexander Maier.

Gunter Haug und sein neues Buch

Der Autor: Gunter Haug wurde 1955 in Bad Cannstatt geboren und hat in Tübingen Landesgeschichte, Neuere Geschichte und Empirische Kulturwissenschaften studiert. Von 1972 bis 2005 war er zunächst freier Zeitungsmitarbeiter, dann Zeitungs-, Radio- und Fernsehredakteur beim Alb-Boten, dem Südwestfunk, dem Süddeutschen Rundfunk und dem Südwestrundfunk. 1989 wurde Haug zunächst Leiter der SWF-Fernsehnachrichten, später Fernseh-Nachrichtenchef von SWF und SDR und schließlich ab 1994 Abteilungsleiter für landeskundliche Fernseh-Sendungen und Sondersendungen. Seit 2005 ist er freier Autor, Schriftsteller und Moderator. Er ist Ehrenbürger der Stadt St. Domingo auf den Philippinen.

Das Buch: Gunter Haugs neues Buch „Ohne Worte“, in dem er sein „turbulentes Leben zwischen Wicklesgreuth und Schwäbisch Sibirien“ schildert, ist in der Edition Inspiration erschienen und für 14,95 Euro im Buchhandel zu haben.

Die Lesungen: Bei den Galgenstricken liest Gunter Haug am Sonntag, 22. Oktober, ab 10.30 Uhr aus „Ohne Worte“. Außerdem ist er während der LesART am 2. Dezember beim Literaturfest im Esslinger Jazzkeller ebenfalls mit seinem neuen Buch zu Gast.