Der etwas andere Blick auf die Wahl: Martin Mezger, Elisabeth Schweeger, Gerd Schneider, Friedrich Schirmer und Wolfgang Schorlau diskutierten in der WLB über die Herausforderungen der Bundestagswahl 2017. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Von Gesa von Leesen


Zum Auftakt der letzten Wahlkampfwoche haben in der Württembergischen Landesbühne (WLB) vier Kulturexperten über den Wahlkampf und die Lage im Land diskutiert. Auf Einladung der Eßlinger Zeitung trafen sich Elisabeth Schweeger, Leiterin der Akademie für Darstellende Kunst in Ludwigsburg, WLB-Intendant Friedrich Schirmer, der Stuttgarter Schriftsteller Wolfgang Schorlau und der Feuilleton-Leiter der EZ, Martin Mezger. Mit ihnen wolle man aus einer anderen Perspektive darüber reden, „was in unserem Land los ist“, sagte EZ-Chefredakteur Gerd Schneider, der die Veranstaltung moderierte, zur Begrüßung.

Aus der Auftaktfrage „Ist der Wahlkampf langweilig?“ entwickelte sich eine knapp zweistündige Plauderei über dies und jenes. Sowohl Schirmer als auch die Österreicherin Schweeger fanden die Unaufgeregtheit des Wahlkampfes angenehm. Schweeger, weil sie im österreichischen Wahlkampf gerade eine extreme Aggressivität erlebt, Schirmer, weil er den Pragmatismus der Kanzlerin mag, was er mehrmals betonte.

„Das Gejammer, der Wahlkampf sei langweilig, geht mir auf den Keks“, erklärte Mezger. „Denn Demokratie ist per se langweilig. Demokratie ist eine Veranstaltung des besseren Arguments.“ Ähnlich argumentierte Schorlau: „Wahlen sind keine Unterhaltungsveranstaltung.“ Auch wenn klar sei, wer Kanzlerin wird, sei die Wahl doch wichtig. Es komme darauf an, wer drittstärkste Fraktion wird, denn davon hänge ab, in welche Richtung der gesellschaftliche Diskurs gehen wird. Wenn teils offen nazistisch auftretende AfDler vom Rednerpult des Deutschen Bundestags sprechen dürften, „ist das eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsentwicklung“, sagte Schorlau.

Schirmer meinte dagegen, den rechten Rand habe es schon immer gegeben, nun zeige er sich eben. „Das finde ich erfrischend. Nun müssen wir Demokraten uns zeigen.“ Außerdem glaubt er, dass die AfD sich nach der Wahl in zwei Parteien aufspalte. „Das heißt doppelte Redezeit! Das ist auch ein Problem“, entgegnete Schweeger:

Warum hat eine Partei wie die AfD Zulauf? Für Mezger liegt eine Ursache in der mangelnden Emotionalisierung der Wähler durch die anderen Parteien. „Da gibt es ein Gefühl der Alternativlosigkeit: Merkel oder Schulz - ist doch egal. Da sehe ich ein großes demokratisches Problem“, sagte er, und Schweeger wandte ein: „Ich will gar nicht so viel Emotionalität.“ In den USA sei doch Trump ein Beispiel für zu viel Emotionalität. Mezger widersprach: „Nein. Trump ist ein Produkt der Ent-Emotionalisierung der Politik. Da haben die vernünftigen Kräfte eine Lücke gelassen, und in die ist Trump gegangen.“

Schorlau erklärte den Zulauf zur AfD mit sozialen Problemen. Merkel habe den Begriff der „marktkonformen Demokratie“ geschaffen, und diese Haltung habe Auswirkungen. Junge Leute hangelten sich von Job zu Job, es drohe Altersarmut vor allem für Frauen, drei Millionen Menschen hätten mehrere Jobs. „Aber das kommt überhaupt nicht zur Sprache. Das ist schon merkwürdig.“ Damit war er bei der SPD. Die hätte mit Martin Schulz kurz die Möglichkeit gehabt, nach der seiner Ansicht nach verheerenden Agenda 2010 wieder sozialdemokratisch zu werden. „Aber sie wollte nicht“, sagte Schorlau. Und obwohl es im Bundestag mit SPD, Linken und Grünen eine linke Mehrheit gebe, habe sie es nicht geschafft, diese zu organisieren. „Wenn die SPD jetzt abstürzt, hat sie sich das hart erarbeitet.“

SPD brauche pragmatische Frauen

Schirmer, der Martin Schulz stets mit den Begriffen „aus Würselen“ und „eitel“ verband, widersprach. Schulz habe nie eine Chance gehabt, sondern sei von Gabriel auf den Posten gehievt worden. Die SPD brauche pragmatische Frauen, dann hätte sie bessere Chancen. „Wir leben auf sehr hohem Niveau, zum Beispiel im Vergleich zu Afrika oder zum Osten“, sagte Schweeger - und an dieser guten Lage sei die Agenda 2010 als „kapitalistisches Projekt“ beteiligt. Apropos Kapitalismus: Mezger brachte Karl Marx ins Spiel. „Wir brauchen eine neue Kritik der politischen Ökonomie zur Analyse der Situation.“ Die gebe es, sagte Schweeger: „Aber die Strategie fehlt.“

Weitere Themen wurden gestreift, wie mögliche Koalitionen (Schirmer: „Wenn es keine Alternative gibt, macht die SPD wieder mit“), die Schwäche der Grünen (Schweeger: „Die sind in die Mitte gerückt“) oder das Elektroauto (Schweeger: „Das ist voll mit Müll“). In der kurzen Zuschauerfragerunde wurde unter anderem angemerkt, dass die etablierten Parteien darüber nachdenken sollten, warum so viele Leute die AfD aus Protest wählen und dass die Grünen in Stuttgart den ÖPNV nicht ausbauen.

ZuschauerReaktionen auf die Soiree

Monika Gleisner aus Deizisau: „Ich war vor allem wegen Herrn Schorlau hier. Das ist ein streitbarer Geist, immer prägnant. Die Frau Schweeger fand ich auch ganz kurzweilig. Ansonsten war es wie bei vielen anderen Debatten: Man war sich in vielen Dingen einig. Ich hätte mir mehr strittige Auseinandersetzung gewünscht.“

Angelika Hein-Röttger aus Esslingen: „Ich fand interessant, wie Leute aus der Kultur das Geschehen sehen. Allerdings war der Moderator zu sehr auf die eine Seite ausgerichtet, wo Herr Schirmer und Herr Schorlau saßen. Die andere Seite, Frau Schweeger und Herrn Mezger, hat er zu selten angesprochen. Insgesamt hat er zu wenig nachgefragt. Für die Zuschauer war zu wenig Zeit, da hätte es bestimmt noch interessante Anmerkungen und Gedanken gegeben.“

Erich Koslowski aus Esslingen: „Im Vergleich zum Streitgespräch Merkel - Schulz war das im Fernsehen etwas langweiliger. Gefallen hat mir Schorlau, der angebracht hat, dass die Probleme vieler Menschen nicht Thema sind im Wahlkampf. Genervt hat mich dieses „Uns geht es gut.“ Das wird auch sonst andauernd wiederholt. Was soll das? Das stimmt für viele nicht. Da hätte man nachfragen müssen, aber das ist nicht passiert. Schade, dass kein jüngerer Mensch aus der Kultur dabei war. Spannend wäre eine Diskussion gewesen über Methoden, Thesen oder Mechanismen, wie wir unsere Demokratie erhalten können.“

Jenny Kurrle aus Stuttgart: „Teilweise war es interessant, teilweise platt. Vielleicht, weil ein roter Faden fehlte. Dass nur eine Frau auf dem Podium saß, finde ich beschämend. Manche Männer haben sehr lange geredet. Ich hätte mir mehr von der Moderation erwartet.“